Gerhard Hinrich Stolle – Biographie

Gerhard Hinrich Stolle wird am 27. November 1836 als erstes Kind von Johann Hinrich Stolle und Anna Maria Stolle in Hurrel geboren. Er ist der ältere Bruder von Johann Dierk Stolle, Ehlert Heinrich Stolle, Johann Hinrich Stolle Junior, Ehlert Diedrich Stolle, Gesine Wilkens und Tönjes Hinrich Stolle.

Drei Tage vor Gerhard Hinrichs Geburt heiratet der Komponist Richard Wagner in der Tragheimer Kirche in Königsberg die Schauspielerin Minna Planer. Nach der Trauung beziehen die Brautleute eine kleine, feuchte Wohnung in der Nähe der Kirche. Finanziell ist das junge Paar in jenen Monaten alles andere als auf Rosen gebettet: Wagners Ehefrau hat zwar ein Engagement am angesehenen Königsberger Stadttheater, doch er selbst – mit 23 Jahren völlig mittellos und noch ganz am Anfang seiner Karriere stehend – sucht nach einem grandios gescheiterten Intermezzo in Magdeburg händeringend nach einer neuen Beschäftigung. Da sich allen Bemühungen zum Trotz zunächst kein Erfolgserlebnis einstellt und Wagner zunehmend eifersüchtig auf Minnas Beschäftigung reagiert, kommt es schon im Sommer 1837 zu einer ernsten Ehekrise: Minna flüchtet zu ihren Eltern nach Dresden und kehrt erst zurück, als Wagner eine Anstellung als Musikdirektor in Riga erhält.

Das Engagement in der damals rund 60.000 Einwohner zählenden, zum Russischen Reich gehörenden Hafenstadt steht abermals unter keinem guten Stern. Zwar findet Wagner am Rigaer Stadttheater dank finanzkräftiger Förderer deutlich bessere Bedingungen vor als in Magdeburg und Königsberg und hat nebenher genügen Zeit, weiter an seiner tragischen Oper „Rienzi“ zu arbeiten. Schon im Mai 1839 jedoch verliert er seinen Posten als Musikdirektor wieder. Da er wie schon in den Jahren zuvor weit über seine Verhältnisse gelebt und Schulden angehäuft hat, bleibt ihm am Ende nur die Flucht vor seinen Gläubigern. Zusammen mit Minna überquert Wagner im Juli 1839 bei Nacht und Nebel die russisch-ostpreußische Grenze und schmuggelt sich in Pillau an Bord eines kleinen Segelschiffs, das beide nach London bringen soll. Die extrem stürmische, zeitweise lebensbedrohliche Überfahrt inspiriert ihn zu seiner späteren Erfolgs-Oper „Der fliegende Holländer“.

Von London aus reist das Paar weiter nach Paris, wo Wagner auf den künstlerischen Durchbruch hofft. Zunächst vergebens: Kein Opernhaus in der französischen Hauptstadt will die inzwischen fertiggestellte Tragödie „Rienzi“ auf die Bühne bringen. Im Frühjahr 1842 dann endlich die erlösende Zusage des Königlichen Hoftheaters in Dresden: Wagner siedelt in die sächsische Hauptstadt über, wo „Rienzi“ am 20. Oktober 1842 zur Uraufführung kommt. Am 2. Januar 1843 folgt „Der fliegende Holländer“. Noch einmal vier Wochen später ernennt das Hoftheater Wagner zum Königlich-Sächsischen Kapellmeister – sein Aufstieg zu einem der bedeutendsten Künstler des 19. Jahrhunderts beginnt.

Zu diesem Zeitpunkt steht Gerhard Hinrich kurz vor der Einschulung in die gemeinsam mit dem Nachbardorf Lintel betriebene Volksschule. Dorthin begleiten ihn aus Hurrel unter anderem die in etwa gleichaltrigen Jungen Hermann Barkemeyer, Hinrich Wilhelm Ellinghusen, Röbe Haverkamp, Tönjes Hinrich Haverkamp und Diedrich Wübbenhorst. Ob letzterer – später mit Anna Clauss verheiratet und Eigentümer des Wübbenhorst-Hofes am Brink – bereits damals in Gerhard Hinrichs unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, lässt sich nicht mehr mit absoluter Sicherheit feststellen. Direkt neben dem Wübbenhorst-Hof (heute: Birgit Ganteföhr) nämlich liegt ein Hof, als dessen Eigentümer zur Oldenburger Franzosenzeit Gerhard Hinrichs Großvater Johann Dierk Stolle genannt ist (heute: Hartmut und Ute Stolle). Möglich, dass Gerhard Hinrich und seine Geschwister dort geboren sind. Der Hurreler Chronik von Walter Janßen-Holldiek zufolge ist dieser Hof allerdings über längere Zeit verpachtet und wird 1855 an Tönjes Hinrich Wübbenhorst verkauft. Vielleicht verbringt Gerhard Hinrich seine Kinder- und Jugendjahre deshalb auch andernorts im Dorf – zum Beispiel auf dem heutigen Hof von Udo und Svetlana Wilkens, den bis zu seinem Tod im März 1840 Johann Gerd Nordfeld bewirtschaftet, Gerhard Hinrichs Großvater mütterlicherseits.

Wie und wo auch immer: Von seinen sechs Geschwistern sieht Gerhard Hinrich lediglich fünf aufwachsen: Im Januar 1849 stirbt im Alter von anderthalb Jahren der zweitjüngste Bruder Ehlert Diedrich. Ein weiterer Bruder – Johann Hinrich Junior – nimmt als Soldat am Preußisch-Österreichischen Krieg teil und erreicht deshalb nur knapp das Erwachsenenalter. Sein Lebensweg endet am 3. September 1866 mit 22 Jahren in einem Militärhospital in der badischen Stadt Neudenau. Über die genauen Hintergründe seines Kriegseinsatzes ist heute in der Familie allerdings nichts mehr bekannt.

Knapp drei Monate später heiratet Gerhard Hinrich Margareta von Seggern, eine abgehende Tochter des Von-Seggern-Hofes am Vossbarg (heute: Erwin und Christa Haverkamp). Noch immer ist nicht ganz klar, wo genau im Dorf Gerhard Hinrichs Eltern, seine verbliebenen Geschwister und er selbst zu diesem Zeitpunkt leben und wo folglich die aus der Ehe hervorgehenden Kinder Johann Hinrich (März 1868), Johanne Gesine (Oktober 1870) und Anna Gesine (Juni 1872) zur Welt kommen. Anhand entsprechender Kirchenbuch-Einträge der Gemeinde Hude einwandfrei nachvollziehen lässt sich jedoch, dass in der Familie in jenen Jahren wie andernorts im Dorf auch die Volksseuche Tuberkulose wütet: Ihr fallen nacheinander Tochter Johanne Gesine (April 1871), Ehefrau Margareta (September 1873) und schließlich auch die zweite Tochter Anna Gesine (Januar 1874) zum Opfer.

Ob Gerhard Hinrich mit dem ihm verbliebenen Sohn Johann Hinrich und seinen Eltern zu diesem Zeitpunkt bereits den heutigen Hof von Hartmut Stolle gepachtet hat? Hundertprozentig belegen lässt sich das nicht. Dafür spricht jedoch, dass dessen zwischenzeitlicher Eigentümer Johann Hinrich Harms – ein Schwiegersohn von Tönjes Hinrich Wübbenhorst – in Munderloh einen eigenen Hof bewirtschaftet und folglich nicht in Hurrel lebt. Von ihm kauft Gerhard Hinrich 1878 oder 1879 den besagten Stolle-Hof, so dass der Wohnsitz der Familie spätestens ab 1879 zweifelsfrei am Brink zu verorten ist.

Am 1. Juli 1875 heiratet Gerhard Hinrich Beta von Seggern, eine jüngere Schwester seiner verstorbenen Ehefrau. Aus dieser Verbindung gehen mit Meta Katharine (April 1876), Gerhard (März 1878), Heinrich (März 1881) und Bertha (Dezember 1885) vier weitere Kinder hervor. Im Juli 1884 – knapp anderthalb Jahre nach Richard Wagner und fünf Monate nach Gerhard Hinrichs Mutter Anna Maria – stirbt Tochter Meta Katharine, wie zuvor ihre beiden Halbschwestern ebenfalls an Tuberkulose. Gerhard Hinrich selbst stirbt am 4. Juli 1888 im Alter von 51 Jahren. Als Todesursache nennt das Kirchenbuch eine nicht näher beschriebene Unterleibs-Krankheit. Beerdigt ist Gerhard Hinrich fünf Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.