Johanne Strodthoff – Biographie

Erna Mariechen Johanne Strodthoff – Rufname Johanne – wird am 24. Dezember 1912 als viertes Kind von Friedrich Stöver und Marie Stöver auf dem gepachteten Bauernhof ihrer Eltern in Neustadt bei Ovelgönne geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Frieda Stöver, Heino Stöver und Erich Stöver und die ältere Schwester von Friedrich Edo Stöver, Martha Broers-Krumland, Helmuth Stöver und Werner Stöver.

Rund um den Heiligabend des Jahres 1912 herum berichten die Tageszeitungen im Deutschen Reich einmal mehr in aller Ausführlichkeit darüber, wie die kaiserliche Familie das Weihnachtsfest begeht. So überreicht Kaiserin Auguste Victoria nach der traditionellen Weihnachtsfeier im Neuen Palais von Potsdam Geschenke an die Dienerschaft, während Wilhelm II. den Soldaten der Leibkompanie des Ersten Garderegiments einen Besuch abstattet. Um 16 Uhr beginnt die Weihnachtstafel in der Jaspis-Galerie mit den Kronprinzen, um 17 Uhr begeben sich alle zur Bescherung in den Muschelsaal. Dort gibt es für die Damen Straußenfedern, Boas, glitzernde Fächer oder mit Pailletten bestickte Stoffe, während die Herren sich an einem neuen Ulster erfreuen oder an einem Reise-Toilettenkoffer mit Garnituren aus Silber und Elfenbein. Die Kinder bekommen unter anderem ein Kampfschiff auf Rädern, Zinnsoldaten und nachgebildete Säbel.

Das in scharfem Kontrast zur Weihnachtsbotschaft stehende Kinderspielzeug gibt recht präzise den Zeitgeist jener Jahre wieder. Seit Oktober 1912 tobt im Südosten Europas der Erste Balkankrieg, und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die hochgerüsteten Großmächte Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Frankreich und Russland nicht mehr nur Stellvertreter-Kriege führen, sondern gegeneinander ins Feld ziehen. Welche Folgen das haben könnte, bringt drei Tage nach Johannes Geburt ein Artikel der Vossischen Zeitung fast prophetisch auf den Punkt: „Es wäre eine Katastrophe, wie sie die Weltgeschichte noch nicht verzeichnet hat. Nicht bloß Millionenheere, zehnfach so stark wie in früheren Kriegen, würden einander gegenüberstehen, nicht bloß Menschenopfer ungezählt würden fallen, nicht bloß ein Aderlass würde es sein bis zur Blutleere, namenloses Unglück für Hunderttausende Familien, sondern ein Spiel um Sein oder Nichtsein für große Reiche.“

Eine Analyse, die sich nur anderthalb Jahre später mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs voll und ganz bewahrheitet. Johannes Erinnerungen an die ersten sechs Jahre ihres Lebens dürften deshalb geprägt sein von Notzeiten, Mangelwirtschaft und der Sorge um Vater Friedrich, der den Wahnsinn in den Schützengräben aus nächster Nähe miterlebt. Anderthalb Jahre nach seiner Rückkehr zieht die zu diesem Zeitpunkt achtköpfige Familie von Neustadt nach Rastede, wo Friedrich Stöver einen eigenen Hof gekauft hat. An das erste Weihnachtsfest am neuen Wohnort dürfte Johanne ebenfalls keine gute Erinnerung haben: Am 25. Dezember 1920 – ein Tag nach Johannes achtem Geburtstag – stirbt ihr bis dato jüngster Bruder Helmuth. Er wird nur sechs Monate alt. Im März 1922 macht dann der jüngste Bruder Werner die Familie komplett.

In den Wirren der Inflationszeit können Johannes Eltern ihren Besitz nicht halten. Schon 1924 steht deshalb der nächste Umzug an. Dieses Mal führt der Weg ins 20 Kilometer südöstlich von Rastede gelegene Hurrel auf den Hof von Diedrich Heinemann (heute: Ursula Schlake). In Hurrel beendet Johanne im März 1928 die Volksschule und arbeitet danach zunächst auf dem von den Eltern gepachteten Betrieb mit. In dieser Zeit lernt sie über ihre pferdebegeisterten Brüder Erich und Friedrich Edo ihren künftigen, um zehn Jahre älteren Ehemann Georg Strodthoff aus Bergedorf kennen.

Bevor Johanne Georg im Juli 1936 heiratet, arbeitet sie auf Vermittlung ihrer älteren Schwester Frieda noch mehrere Jahre im Haushalt des bekannten Rasteder Kunstmalers Wilhelm Morisse. Derweil bemüht sich Georg, für den aufgrund des in Bergedorf geltenden Jüngstenrechts keine Hoffnung auf die Weiterführung des elterlichen Hofes besteht, um eines der von den Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme mit Hochdruck vorangetriebenen Siedlungsprojekte in den Moorgebieten westlich von Oldenburg. Nachdem er für eine rund 14 Hektar große Parzelle im heutigen Ahrensdorf den Zuschlag erhalten hat, beginnt er – wie die anderen Siedler zunächst in einer primitiven, später zum Hühnerstall umfunktionierten Holzhütte hausend – unverzüglich mit der Kultivierung des Landes und dem Bau eines Wohn- und Wirtschaftsgebäudes.

Wilhelm Morisse stirbt nur zwei Monate nach Johannes Hochzeit und dem Umzug nach Ahrensdorf, das damals – benannt nach einem SA-Mann – noch Lüchtenborg heißt. Seine Witwe Luise, eine überzeugte Nationalsozialistin, bleibt jedoch mit Johanne in Kontakt und setzt sich dafür ein, dass deren im November 1937 geborene Tochter den Namen Sieglinde erhält. Überschattet wird Johannes erste Schwangerschaft vom Unfalltod der an ihrer Statt für Luise Morisse arbeitenden Schwester Frieda: Sie verunglückt am Morgen des 5. Juni 1937 auf dem Weg von Rastede nach Lüchtenborg mit dem Auto.

Noch vor der Geburt der zweiten Tochter Hildburg im Mai 1940 bricht der Zweite Weltkrieg aus, zu dem Georg aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und des Mangels an erfahrenen Moorbauern nicht eingezogen wird. So muss Johanne zwar nicht um ihren Ehemann bangen, wohl aber um ihre vier Brüder, von denen am Ende nur zwei – Erich und Friedrich Edo – nach Hause zurückkehren. Im April 1945 erlebt Johanne zudem aus nächster Nähe den erbittert geführten Kampf um den Brückenkopf Edewechterdamm mit.

Die ersten Nachkriegsjahre, in denen Johanne durch die Geburt des Sohnes Hans-Georg am letzten Tag des Jahres 1946 zum dritten Mal Mutter wird, sind in Ahrensdorf wie überall in Deutschland von bitterer Not und dem Wirtschaften mit dem Allernötigsten gekennzeichnet. Gerade, als es nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 endlich wieder aufwärts zu gehen scheint, trifft Johannes mittlerweile in Kreyenbrück lebende Eltern, die bereits vier ihrer acht Kinder und einen Schwiegersohn verloren haben, ein weiterer Schicksalsschlag: Am 17. Juni 1950 fällt Johannes Bruder Friedrich Edo beim Grünes holen für seine eigene Hochzeit aus einem Baum und bricht sich das Genick.

Im Zuge der Erschließung des Ortsteils Heinfelde gelingt es Johanne und Georg 1957, den Strodthoff-Hof um einige Hektar Land zu vergrößern. Sie bauen eine Scheune und einen neuen Hühnerstall, müssen aber letztlich erkennen, dass es darüber hinaus kaum Möglichkeiten gibt, den Betrieb aufzustocken und somit zukunftsfähig zu halten. Da aus diesem Grund auch der als Erbe vorgesehene Sohn Hans-Georg wenig Interesse an einer Übernahme zeigt, verpachten Georg und Johanne den Hof Mitte der 70er Jahre, bleiben aber weiter dort wohnen. Die neu gewonnene Freizeit nutzen sie für diverse Aktivitäten, wobei für Johanne die Arbeit im eigenen Garten zu den liebsten Beschäftigungen gehört. Ihr erster mehrtägiger Urlaub führt sie Anfang der 80er Jahre nach Bayern an den Königssee.

Kurz nach der im Juli 1986 in der Gaststätte Warnken in Edewechterdamm mit Nachbarn, Verwandten und Bekannten gefeierten Goldenen Hochzeit verlassen Georg die Kräfte, er stirbt im November des folgenden Jahres. Johanne verbleibt daraufhin – mit Unterstützung ihrer ganz in der Nähe wohnenden Kinder und der neun Enkel – weiter auf dem eigenen Hof. Sie selbst stirbt am 14. Februar 1998 nach einem Schlaganfall und wird vier Tage später auf dem Friedhof der Martin-Luther-Kirche Süddorf beerdigt.