Gesine Wilkens – Biographie

Gesine Wilkens wird am 27. August 1847 als fünftes oder sechstes Kind von Johann Hinrich Stolle und Anna Maria Stolle in Hurrel geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Gerhard Hinrich Stolle, Johann Dierk Stolle, Ehlert Heinrich Stolle und Johann Hinrich Stolle Junior, die Zwillingsschwester von Ehlert Diedrich Stolle und die ältere Schwester von Tönjes Hinrich Stolle.

Das Jahr 1847 geht als ausgesprochenes Krisenjahr in die deutsche Geschichte ein. Witterungsbedingte Missernten und die seit 1844 grassierende Kartoffelfäule hatten schon 1846 zu einer Verknappung der wichtigsten Grundnahrungsmittel geführt. Daraufhin sind deren Preise massiv gestiegen – was es ärmeren Schichten der Bevölkerung zunehmend unmöglich macht, ihre Familien ausreichend mit Essbarem zu versorgen. Als Notnahrung dienen unter anderem aus Queckenwurzel gebackenes Brot, Disteln und Brennnesseln.

Ab Frühjahr 1847 entlädt sich der Zorn der Betroffenen in gewalttätigen Protesten. In Rogowo in der preußischen Provinz Posen rotten sich Anfang März mehrere tausend Menschen zusammen und plündern Bäckereien sowie die Lager von Getreidehändlern. In Städten wie Breslau oder Stuttgart kommt es zu ähnlichen Tumulten, Berlin erlebt am 21. und 22. April 1847 sogar eine „Kartoffel-Revolution“. Dabei nimmt die Berliner Polizei mindestens 300 Personen fest. Sie erhalten vor Gericht teils langjährige Zuchthausstrafen, die meisten von ihnen gelangen aber durch eine Amnestie aus Anlass des Geburtstags von Preußens König Friedrich Wilhelm IV. am 15. Oktober 1847 wieder auf freien Fuß.

Die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes reagieren auf den Notstand, indem sie vergünstigt Getreide abgeben, Ausfuhrverbote für Lebensmittel erlassen und das Brennen von Kartoffelschnaps verbieten. Hinzu kommen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie das Anlegen von Straßen und Eisenbahnlinien. Die dafür gezahlten Löhne reichen jedoch bei weitem nicht aus, um den Lebensunterhalt einer Arbeiterfamilie zu bestreiten. Deshalb reißen die Proteste nicht ab. Teilweise sind sie auch politisch motiviert: Auf der am 12. September 1847 abgehaltenen Offenburger Versammlung etwa fordern die Teilnehmer neben anderen Grund- und Menschenrechten die Pressefreiheit. Ein Nährboden, aus dem sich wenig später die Märzrevolution von 1848 speist.

Während die letztlich weitgehend erfolglosen Demokratisierungs-Versuche noch in vollem Gange sind und die Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung die Paulskirchen-Verfassung ausarbeiten, stirbt im Januar 1849 in Hurrel Gesines Zwillingsbruder Ehlert Diedrich. Über die Todesursache gibt das Kirchenbuch der Gemeinde Hude keine Auskunft. Überhaupt liegt heute vieles über Gesines frühe Lebensjahre im Dunkeln – unter anderem auch, wo genau im Dorf sie aufwächst. Zwar ist ihr Großvater Johann Dierk Stolle – nicht zu verwechseln mit Gesines Bruder gleichen Namens – 1807 als Eigentümer eines heute von Hartmut Stolle bewirtschafteten Hofes am Brink genannt, der spätestens ab 1879 Gesines ältestem Bruder Gerhard Hinrich gehört. Der Hurreler Chronik von Walter Janßen-Holldiek zufolge befindet sich dieser Hof jedoch zum Zeitpunkt von Gesines Geburt schon seit längerem in Pächterhand, bevor er 1855 an Tönjes Hinrich Wübbenhorst verkauft wird. Letzteres wiederum ein Name, der in Hurrel wie so viele andere Namen im Laufe der Jahrhunderte mehrfach anzutreffen ist. Ein Träger ist zum Beispiel Gesines Urgroßvater mütterlicherseits – möglicherweise ein Vorfahr des für 1855 genannten Käufers? Auch das weiß 160 Jahre später niemand mehr so genau.

Gut möglich, dass Gesine auf dem heutigen Hof von Udo und Svetlana Wilkens laufen lernt – diesen bewirtschaftet nämlich ihr Großvater mütterlicherseits, Johann Gerd Nordfeld, von 1816 bis zu seinem Tod im März 1840 als Pächter. Vielleicht führen dort danach noch eine Weile Gesines Eltern Regie, bevor der Hof 1856 von ihrem späteren Ehemann Tönjes Hinrich Wilkens Junior übernommen wird.

Bis Gesine und Tönjes Hinrich im Februar 1873 heiraten, vergehen von da an noch 17 Jahre – ebenfalls eine Zeitspanne, für die über Gesines Leben und ihr unmittelbares Umfeld kaum gesicherte Fakten überliefert sind. Eine der wenigen Gewissheiten betrifft ihren 1844 geborenen Bruder Johann Hinrich: Er stirbt im September 1866 unmittelbar nach Ende des Deutschen Krieges, an dem er allem Anschein nach als Soldat teilgenommen hat, in einem Militärhospital im badischen Neudenau.

Für den 17 Jahre älteren Tönjes Hinrich ist der Bund mit Gesine bereits die dritte Ehe – aus einer der beiden früheren Beziehungen stammen der elfjährige Sohn Johann Heinrich und die achtjährige Tochter Catharine. Bereits im August 1873 wird Gesine selbst zum ersten Mal Mutter: Tochter Anna kommt zur Welt, gefolgt von Gesine Christine (Juli 1875), Bernhard (Oktober 1877), Hinrich (Juni 1880) und Friedrich (April 1889).

Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts beginnt im Deutschen Reich mit einer Zäsur: Genötigt von Kaiser Wilhelm II. tritt am 18. März 1890 Otto von Bismarck nach 19-jähriger Amtszeit als Reichskanzler zurück. Vom Anbruch einer neuen Zeit kündet auch – ganz in Gesines Nähe – die Eröffnung einer Benzinfabrik in Hude noch im selben Jahr. Während das für die Produktion der schon bald in ganz Norddeutschland bekannten Marke Hudolin erforderliche Rohbenzin per Schiff und Kesselwaggon aus den USA herangeschafft wird, verlassen in der Gegenrichtung nach wie vor regelmäßig Auswandererschiffe die Häfen von Bremerhaven und Nordenham.

Eines dieser Schiffe besteigen Anfang April 1893 Gesines Stiefsohn Johann Heinrich und Tochter Anna. Begleitet werden sie von ihren ebenfalls aus Hurrel stammenden Verlobten Sophie Tönjes und Heinrich Tönjes. Johann Heinrichs und Sophies Weg führt nach Chicago, Anna und Heinrich gründen eine Farm in Nebraska. Beide Paare heiraten bald nach ihrer Ankunft in den USA. Vier Jahre später heiratet auch die jüngste Tochter Gesine Christine. Dieses Mal bleibt der Abstand zum Elternhaus allerdings denkbar gering: Ehemann Hinrich Schweers stammt aus der direkten Nachbarschaft und bewirtschaftet dort einen knapp 20 Hektar großen Hof (heute: Ingo und Edo Schweers).

Wann genau Tönjes Hinrich und Gesine den Wilkens-Hof an Sohn Bernhard und dessen Frau Anna übergeben, ist nicht überliefert. Offiziell tritt der Erbfall erst im November 1910 ein, als Tönjes Hinrich 80-jährig an Altersschwäche stirbt. Gesine – damals 63 Jahre alt – bleibt auch in den folgenden Jahren in die Bewirtschaftung des Hofes eingebunden, erlebt 1911 die Auswanderung des jüngsten Sohnes Friedrich, 1912 die Erweiterung des Haupthauses, im August 1914 den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und schließlich im November 1918 das Ende des Kaiserreichs. Am 6. August 1920 beendet dann ein Schlaganfall ihr Leben. Beerdigt ist sie vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.