Clara Neuhaus – Biographie

Clara Johanne Neuhaus wird am 24. April 1900 als fünftes Kind von Bernhard Wiedau und Catharine Wiedau auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Heinz und Alke Brinkmann) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Adele Brinkmann, Georg Hinrich Wiedau, Johanne Grummer und Martha Mahlstedt und die ältere Schwester von Bertha Wiedau.

Vier Tage nach Claras Geburt schreibt sich mit Georgine Sexauer in Heidelberg die erste Frau an einer deutschen Universität zum Studium ein, die dabei von vornherein per Gesetz die gleichen Rechte genießt wie ihre männlichen Kommilitonen. Möglich macht dies ein am 28. Februar 1900 vom Großherzogtum Baden verabschiedeter Erlass – der wiederum auf die Petition einer anderen Frau zurückgeht: Johanna Kappes, Absolventin des ersten deutschen Mädchengymnasiums in Karlsruhe, studiert bereits seit dem Wintersemester 1899/1900 als Gasthörerin in Freiburg, darf unter diesem Status aber kein Examen ablegen. Auf Fürsprache diverser Förderer hin lenkt die badische Landesregierung schließlich ein und ermöglicht Kappes und vier weiteren Gasthörerinnen sogar rückwirkend die Immatrikulation zum Oktober 1899. Sämtliche von ihnen bis dahin erbrachten Leistungen werden also anerkannt.

Neben Sexauer, die Kurse in Philologie und Germanistik belegt, immatrikulieren sich Anfang Mai 1900 in Heidelberg noch drei weitere Frauen, allesamt an der medizinischen Fakultät: Rahel Goitein, Irma Klausner und Else von der Leyen. Zusammen mit ihren Freiburger Kommilitoninnen bilden sie die Speerspitze des Frauen-Studiums in Deutschland – argwöhnisch beäugt von ihren häufig in Verbindungen organisierten männlichen Mit-Studenten und auch vielen Professoren. Tatsächlich hinkt das Deutsche Reich in puncto Gleichberechtigung an der Universität anderen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder den USA deutlich hinterher. Im deutschen Sprachraum kommt der Schweiz eine Vorreiterrolle zu, wo Frauen schon seit 1864 ihr Examen ablegen können. Eine Möglichkeit, die vor allem von vielen Russinnen genutzt wird, denn Zar Nikolaus II. geriert sich in dieser Frage noch ein Stück weit rückständiger als andere Regenten seiner Zeit und lässt nicht einmal Gasthörerinnen zu.

Zu einem großen Teil beruht die Ablehnung weiblicher Studenten natürlich auf der chauvinistischen Annahme, dass Frauen per se nicht in der Lage sind, im Berufsleben gleichwertige Leistungen zu erbringen wie ein Mann. Eine irrige Vorstellung, die zumindest die ersten Heidelberger Medizinerinnen gründlich widerlegen. Alle drei meistern ihr Staatsexamen mit Bravour und leisten auch später Beachtliches. Was durchaus weitere Ressentiments schürt, denn nicht wenige Männer fürchten um ihre Privilegien. Trotzdem bröckelt in den folgenden Jahren ganz allmählich der Widerstand gegen die promovierte Frau: Nach dem Großherzogtum Baden und dem Königreich Württemberg (1904) etwa räumt 1908 auch Preußen noch vorhandene rechtliche Stolpersteine aus dem Weg.

Zu diesem Zeitpunkt besucht Clara in Hurrel schon seit zwei Jahren die örtliche Volksschule. Dort dürfte der Gedanke an ein Studium für sie, ihre Schwestern und Mitschülerinnen wie Hermine Busch, Anna Schweers, Bertha Schweers oder Sophie Tönjes jedoch ein Thema aus einer gänzlich anderen Welt sein. Zwar existiert im nahegelegenen Oldenburg mit der Cäcilienschule bereits eine höhere Mädchenschule. Der Erwerb des Abiturs als mittlerweile zwingende Studienvoraussetzung ist dort jedoch nicht möglich. Immerhin gibt es 1908 im Großherzogtum Oldenburg an drei Orten (Cloppenburg, Vechta und Neuenburg) eine Seminarausbildung für angehende Lehrerinnen.

Doch auch an den Besuch einer solchen Einrichtung dürfte Clara in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg keinen Gedanken verwenden. Insgeheim rechnet sie vermutlich damit, eines Tages den elterlichen Hof an der Pirschstraße übernehmen zu können. Im Prinzip stehen die Chancen dafür gut: In der Gemeinde Hude gilt das Jüngstenrecht, und sowohl ihr einziger Bruder Georg Hinrich als auch die jüngere Schwester Bertha sind 1894 beziehungsweise 1906 im Säuglingsalter verstorben. Doch es kommt anders. Zwar hat Claras älteste Schwester Adele den elterlichen Hof schon bald nach der Konfirmation verlassen und bewirtschaftet seit 1920 mit Ehemann Friedrich Brinkmann einen in der Nachbarschaft gelegenen Hof an der Ortstraße (heute: Uwe und Inge Ramke). Vater Bernhard hat sich jedoch auf Adele und Friedrich als Nachfolger festgelegt und lässt sich von dieser Entscheidung nicht wieder abbringen.

Eine in Hurrel zu Beginn des 20. Jahrhunderts gar nicht einmal so unübliche Abweichung von der Norm – ganz ähnliche Erfahrungen haben in den Jahren zuvor unter anderem auch Friedrich Schwarting und Friedrich Wilkens gemacht. Ersterer entscheidet sich daraufhin 1905 für den Besuch des für Männer deutlich leichter zugänglichen Lehrerseminars in Oldenburg, letzterer 1911 für eine Auswanderung in die USA.

Wann Clara zum ersten Mal über eine Auswanderung nachdenkt, lässt sich aus heutiger Sicht nur vermuten. Die schwierigen Nachkriegsjahre mit der Hyperinflation und der sich anschließenden schweren Krise der Landwirtschaft, der nicht wenige junge Frauen aus den umliegenden Dörfern ohne eigenen Hof durch Hollandgängerei zu entfliehen suchen, geben wahrscheinlich den ersten Anstoß. Entscheidend dürfte jedoch sein, dass Claras angehender Ehemann Heinrich Neuhaus – seit 1913 mit seiner Familie auf einem von Carl Schwarting gepachteten Hof in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft (heute: Jörg und Monika Wittkopf) ansässig – einen Bruder und eine Schwester hat, die diesen Weg bereits vor ihm gegangen sind.

Als Clara und Heinrich am 18. März 1927 in Hude heiraten, dürfte die Entscheidung, es den beiden nachzutun, bereits gefallen sein. Die folgenden Monate sind ausgefüllt mit Vorbereitungen, und Mitte September 1927 beginnt die Reise ohne Wiederkehr: Clara und Heinrich gehen in Bremerhaven an Bord des Auswandererdampfers „München“. Wie es ihnen auf der Überfahrt ergeht, schildert Clara nach der Ankunft in einem ausführlichen Brief an ihre Schwester Martha.

Nach der Ankunft in New York geht es mit dem Zug über Chicago und Austinville nach Kesley in Iowa: Dort hat sich nach seiner Auswanderung Heinrichs Bruder Johann mit Ehefrau Gesine und den Kindern Helmut und Henry als Farmer niedergelassen. Ganz in der Nähe pachten Clara und Heinrich eine kleine Farm. Ein hoffnungsvoller Anfang, der aber schon bald von den Auswirkungen der 1929 beginnenden Weltwirtschaftskrise überschattet wird. Eine für alle Amerikaner schwierige Zeit, die auch im ländlich geprägten Iowa ihre Spuren hinterlässt. Zweimal müssen Clara und Heinrich angesichts des in der Landwirtschaft grassierenden Preisverfalls neu beginnen, bevor die von Präsident Franklin Delano Roosevelt eingeleiteten New-Deal-Reformen Wirkung zeigen.

Möglicherweise ist es auch eine Folge der katastrophalen wirtschaftlichen Lage, dass Clara und Heinrich zunächst keine Kinder bekommen. Dann, im Alter von 37 Jahren wird Clara doch noch schwanger. Am 20. August 1938 kommt Tochter Clara Mae zur Welt. Nur ein Jahr später beginnt in der alten Heimat der Zweite Weltkrieg. Als dieser im Frühjahr 1945 mit dem totalen Zusammenbruch des Dritten Reiches endet, dürfte Clara trotz mancher zwischenzeitlicher Zweifel heilfroh sein, 1927 den Sprung über den Atlantik gewagt zu haben. Achtzehn Jahre nach der Ankunft in Iowa haben sie und Heinrich genug gespart, um sich rund zehn Kilometer nördlich von Kesley in Dumont eine eigene Farm kaufen zu können. Obwohl das Geld dadurch zunächst weiter eher knapp ist, unterstützt sie die Familien ihrer Schwestern mit regelmäßigen Care-Paket-Sendungen.

Die folgenden, vom beginnenden Ost-West-Konflikt und der McCarthy-Ära geprägten Jahre widmen Clara und Heinrich ganz der Arbeit auf ihrer Farm. Im Frühjahr 1960 kehrt Tochter Clara Mae, die nach ihrem Schulabschluss 1956 zunächst als Sekretärin bei der United States Navy in Washington und ab 1958 im Landwirtschaftsministerium in Des Moines gearbeitet hatte, für ihre Hochzeit mit Darland Woodley nach Dumont zurück. Beide bewirtschaften danach eine eigene Farm im Nachbarort Bristow, wobei Clara Mae anfangs noch nebenbei in einer Holzhandlung in Dumont arbeitet und während dieser Zeit regelmäßig zum Mittagessen bei ihren Eltern einkehrt.

Mit der Geburt von Enkelin Darla wird Clara 1961 zum ersten Mal Großmutter. Das zweite Enkelkind Clark folgt 1963. Zwei Jahre später erleidet Heinrich einen Schlaganfall, von dem er sich nur mühsam erholt. Nach einem weiteren Schlaganfall ist Clara dann im Dezember 1967 plötzlich Witwe. Ihren Ruhestand verbringt sie zunächst weiter in Dumont. Als Tochter Clara Mae und Schwiegersohn Darland 1982 jedoch aus beruflichen Gründen rund 800 Kilometer weiter südlich nach Willow Springs in Missouri ziehen, folgt sie ihnen. Dort stirbt sie am 16. April 1986, kurz vor ihrem 86. Geburtstag. Beerdigt ist Clara wenige Tage später auf dem Friedhof von Dumont.