… von Ute Schweers
Aufgezeichnet im März 2019
Adele Schweers war meine Großmutter väterlicherseits, ich habe mit ihr bis zu meinem Auszug zu Hause an der Pirschstraße knapp 20 Jahre unter einem Dach gelebt. Auch wenn meine Erinnerungen an sie größtenteils aus dieser Zeit stammen, war sie natürlich auch danach immer noch „meine“ Oma, und wir hatten bis zu ihrem Tod im April 2003 ein tolles Verhältnis zueinander.
Womit fange ich an? Am besten damit, wie ich Oma heute noch vor Augen habe: Sie trug immer eine Kittelschürze, zum Schutz der guten Kleidung darunter. Dazu eine Hornbrille, die auch ich gern mal auf der Nase hatte. Und sie hatte bis zum Schluss dunkle Haare und eine Dauerwelle.
Omas Revier war die Küche – und sie konnte wirklich gute Hausmannskost kochen. Mit meinen Kinderaugen gesehen war sie unser Familien-Ernährer. Aus nur einer einzigen Kartoffel konnte sie meterlange Kartoffelschalen-Schlangen schälen. Superdünn und ohne Sparschäler natürlich. Ich selbst kann bis heute nicht mit einem Schillermesser umgehen und danke dem Erfinder von Sparschälern. Und während ich damals im Garten auf der Turnstange meine Runden drehte, kochte Oma das Familien-Mittagessen und guckte aus dem Küchenfenster zu.
Unser Opa Fritz Sandhop hatte auch immer gut mit uns Kindern zu tun. Am schönsten war es eigentlich, wenn wir im Garten vor der Küche gespielt haben. Oder auch wenn wir reiten durften. Ja, wir waren glückliche Kinder, meine Geschwister Elke und Edo mit unseren Eltern Adda und Ingo und den beiden Großeltern, alle zusammen auf dem Hof und im Haus. Opa hat uns sogar ein Pony gekauft. Erst ein zu großes, das wurde dann getauscht, und es kam “Funny“. Ein kleines Shetlandpony, wer hatte das schon? Sogar einen Turn-Barren hatten wir in unserem Spiele-Garten.
Oma war der Küchenchef. In der Küche hatten wir einen richtigen Holzkohle-Ofen. Da wurde mit Holz und Briketts ordentlich eingeheizt. In der Küche war es immer kuschelig warm. Ihr Platz war genau da, vor diesem Ofen und vorm Tisch. Ich glaube, sie hat diesen Ofen geliebt. Im Winter stand immer irgendwas darauf – ein Topf mit Kartoffeln, Kakao, Tee, Wäsche oder auch mal ein Glas Nutella-Rest, welcher sich mit warmer Milch langsam vom Glas lösen sollte. Der Ofen hatte drei Ringe, um Töpfe in unterschiedlicher Größe zu platzieren. Vor eben diesem Ofen wurden täglich die Kartoffeln geschält. Wann ich erfahren habe, dass man auch Reis und Nudeln statt Kartoffeln als Beilage nehmen kann, weiß ich nicht – bei uns gab es mittags irgendwie nur Kartoffeln. Und am Abend Bratkartoffeln. Bratkartoffeln mit Spiegelei, Bratkartoffeln mit Hackgrütze und mit vielem mehr.
Mit Ausnahme von Hackgrütze war es immer leckeres Essen, das Oma kochte. Leider habe ich nie wieder so leckeren Birnenkuchen gegessen. Ich denke, das war ein Geheimrezept. Oder kennt das jemand?
Das Schönste war es jedoch, bei Oma auf dem Schoß zu sitzen und von ihr gewiegt zu werden. Das ist eine meiner schönsten Erinnerungen an Oma.
Omas Aufgabe bei den Tieren waren die Schweine und Hühner. Wie ich diese Schweine hasste. Wir hatten so an die 250 Schweine, und wenn Oma in den Stall ging, war das für mich eine nicht auszuhaltende Geräuschkulisse. Diese quiekenden Schweine kamen auf die Futterklappe und erschreckten mich. Es stank im Stall, und es war gruselig dunkel.
Keine Ahnung, ob Oma die Arbeit mochte, aber mir hat sie es so vermittelt. Wenn wir mal kleine Ferkel hatten, kamen diese unter eine Wärmelampe. Zuhause wurde auch kastriert, soweit ich mich entsinne, aber das habe ich aus meinen Erinnerungen wohl weitestgehend gestrichen. Vorn im Schweinestall waren die Hühner untergebracht, und Oma hat die Eier in ihrer Kittelschürze eingesammelt und zum Wohnhaus gebracht. Die Knickeier bekam der Hund. Freilaufende Hühner hatten wir in meiner Erinnerung nicht, aber eine Metallglocke zum Füttern stand da auch irgendwo herum. Auch eine Kartoffelsortiermaschine, an deren Einsatz ich mich aber ebenfalls nicht mehr richtig erinnern kann.
Flieder- und Holundersaft wurden im Sommer von Oma zubereitet; viele leckere Schätze aus dem Gemüsegarten wie Bohnen, Erbsen, Wurzeln und vieles mehr wurden „an die Seite“ gemacht, meist eingekocht. Äpfel und Kartoffeln wurden eingelagert, diese Schätze kamen dann in den Bunker.
Der Bunker stammte noch aus dem Krieg und wurde ursprünglich zum Schutz der Bewohner gebaut. Darüber wurde zuhause aber nur sehr selten gesprochen. Somit war es für uns Kinder nur ein Bunker, von dem man im Winter super mit dem Schlitten herunter rodeln konnte und der im Sommer eklig feucht war – eine Kellerassel-Hochburg. Ohne Kerze und später Taschenlampe beziehungsweise ohne Oma bin ich da nur ungern reingegangen.
Was es im Bunker nicht gab, wurde beim Bäckerwagen gekauft – lange Zeit dachte ich, es gäbe nur diese zwei Bezugsstellen für Lebensmittel. Der Verkaufswagen von Mehrings kam immer montags. Dort kauften Oma oder Mama den restlichen Bedarf für das tägliche Leben, und für uns Kinder – wenn wir nicht in der Schule oder im Kindergarten waren – gab es auch mal was Gummiges, Schokoladiges oder anderes Süßes. Gefahren wurde der Bäckerwagen von Alfred Wübbeler, später dann von Bodo und Ursel Mehrings selbst.
Beim Säen und Ernten durften wir Oma oft helfen. Dabei erinnere ich mich an eine geniale Logistik in der Vorgehensweise. Damit die frisch eingebrachte Saat nicht in die Erde getrampelt oder von Vögeln gepickt wurde, wurde sie wieder mit Erde bedeckt. Bevor dann die nächste Reihe gesät wurde, nutzte Oma ein breites langes Brett, kippte es längsseitig und deckte das Saatgut damit ab. Dann wurde das Brett wieder als Trittbrett genutzt. Dass diese Logistik nicht von Oma erfunden wurde, sondern schon viel älter sein musste, habe ich erst Jahre später festgestellt.
Oma und Opa waren einige Male in Urlaub. Ich erinnere mich unter anderem an Reisen nach Ruhpolding und nach Mecklenburg, die Heimat meines Opas Fritz Sandhop. Für mich war es ja mein Opa, da mein richtiger Opa im Krieg gefallen ist und ich ihn nie kennenlernen durfte. Aus Opas Heimat haben die beiden mir damals eine wunderschöne Puppe mit langen blonden Haaren mitgebracht. Bei der damals strengen Grenzkontrolle hat ein Zöllner einen Benzinkanister verschüttet, die Puppe kam deshalb bei mir mit einem extremen Benzingeruch an. Aber noch nie und nie wieder hatte ich so eine schöne Puppe – der Geruch gehörte einfach dazu. Auch mein Lieblings-Teddy „Kullerbauch“ kam aus der damaligen DDR.
Was ich verabscheute, waren Schlachttage, an denen es im Haus nach rohem Fleisch und Blut gerochen hat. Es war schrecklich kalt im Haus. Oma hat unter anderem Blut gerührt – igitt. Bei dem Gedanken wird mir schlecht. Oma war an solchen Tagen immer irgendwie anders, aufgeregt und angespannt. Es waren ja auch Massen an Fleisch, die da durch den Fleischwolf in Pelle gedreht werden mussten und anschließend im Hurreler Gefrierhaus landeten. Deswegen waren an diesen Tagen auch immer viele Helfer im Haus, vor allem Omas Tochter Lisa Wieting und meine andere Oma Käthe Wieting aus Steinkimmen.
Das Schlachten von Hühnern, verbunden mit dem Abbrennen von Federn, kann ich in Gedanken ebenfalls noch riechen. Für das Schlachten von Kaninchen liegt mir dagegen kein spezieller Geruch in der Nase. Dafür habe ich noch das Bild eines abgezogenen Kaninchens an einer Leiter vor Augen. Darf man heute so etwas eigentlich schreiben? Keine schönen Erinnerungen, aber damals gehörte es eben dazu.
Ich bedauere es zutiefst, nicht mehr Erinnerungen zu haben. Und vor allem, dass ich den – wenigen – Erzählungen von Oma so wenig Beachtung geschenkt habe. Doch der Grund dafür liegt auf der Hand. Von ganzem Herzen wünsche ich allen Kindern dieser Welt, sie mögen eine so wundervolle, angstfreie und gedankenlose Kindheit haben wie meine Geschwister und ich sie erleben durften Es gab schlicht keine Zeit für Geschichten aus Omas Leben – wir konnten die Kindheit in vollen Zügen genießen.
Von den wenigen, aber grausigen Kriegsgeschichten, von denen Oma mal erzählt hat, ist bei mir nichts hängen geblieben. Meine Welt mit Oma war bunt und einzigartig. Oma war „meine“ Oma. Danke für die wunderschöne, unvergessliche Zeit.