Johanne Christine Osterloh wird am 30. Dezember 1878 als neuntes Kind von Johann Hinrich Heinemann und Christine Heinemann auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Ursula Schlake) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Louise Piening, Johann Heinemann, Meta Gesine Heinemann, Mathilde Gesine Heinemann, Diedrich Heinemann, Magdalene Sparke, Gerhard Friedrich Heinemann und Frieda Looschen.
Im Dezember 1878 geht für den deutschen Kaiser Wilhelm I. ein Jahr zu Ende, in dem er dem Tod zweimal nur haarscharf entrinnt. Das erste Mal – am 11. Mai – gibt der aus Leipzig stammende Klempnergeselle Max Hödel auf der Berliner Prachtstraße „Unter den Linden“ mehrere Revolverschüsse auf Wilhelm ab, als dieser in einer offenen Kutsche an ihm vorüberfährt. Der Attentäter verfehlt jedoch sein Ziel und wird unmittelbar nach der Tat von der Polizei festgenommen. Am 2. Juni wiederum feuert Karl Eduard Nobiling, ein republikanisch gesinnter Staatswissenschaftler, an annähernd gleicher Stelle zweimal mit einer Schrotflinte auf den Kaiser und verletzt ihn schwer. Bis zur vollständigen Genesung vergehen fast fünf Monate.
Als Wilhelm am 5. Dezember 1878 nach Kuraufenthalten in Baden-Baden und Wiesbaden die Regierungsgeschäfte wieder aufnimmt, ordnet er die Prägung einer dreistufigen Ehrenmedaille an. Sie soll an Persönlichkeiten verliehen werden, die sich „bei der Bewältigung der Folgen des Attentats vom 2. Juni 1878 und in diesem Zusammenhang durch besondere Hilfeleistungen verdient gemacht haben“. Insgesamt lautet der Auftrag auf 12 Medaillen in Gold, 125 in Silber und 600 in Bronze, die Wilhelm am 30. Dezember – also an Johannes Geburtstag – offiziell stiftet. Die ersten Ehrungen nimmt er bereits am Neujahrstag 1879 im Kreis der Familie vor. Weitere Medaillen gehen in den folgenden Wochen an Ärzte, Krankenschwestern und Hofbedienstete sowie an Soldaten jener Einheiten, die Wilhelm über mehrere Wochen hinweg an seinem Krankenbett auf Schloss Babelsberg bei Potsdam bewacht haben.
Anders als in Berlin, wo unmittelbar nach dem Juni-Attentat hochrangige Delegationen aller Großmächte die Balkan-Krise beenden und eine neue Friedensordnung für Südosteuropa festlegen, geht es 1878 in der näheren Umgebung von Hurrel eher beschaulich zu. In Oldenburg wird Anfang November die Friedenssäule eingeweiht, die an die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges erinnern soll. In Hude eröffnet derweil das Haus am Bahnhof seine Pforten und veranstaltet im Obergeschoss regelmäßig Tanzabende. Beides dürfte aber in Hurrel – wenn überhaupt – nur am Rande Gesprächsthema sein.
Zum Tanzen ist in Johannes Familie in den ersten Jahren nach ihrer Geburt vermutlich niemandem so recht zumute. Dafür dürfte die Arbeit auf den Feldern, in die mit einiger Sicherheit auch die 1878 noch lebenden fünf Geschwister von frühen Kindesbeinen an einbezogen werden, zu beschwerlich sein. Zwei ihrer Schwestern lernt Johanne nie kennen: Mathilde Gesine ist im November 1867 noch im Säuglingsalter an der im Kirchenbuch der Gemeinde Hude häufig genannten „Brustkrankheit“ gestorben. Hinter der heute nicht mehr gebräuchlichen Bezeichnung verbirgt sich in den meisten Fällen Tuberkulose. Meta Gesine, gerade neun Jahre alt geworden, kostete im Mai 1873 die Ansteckung mit Scharlach das Leben. Spätestens mit Beginn der 80er Jahre zeichnet sich zudem ab, dass schon bald ein weiterer Todesfall hinzukommen wird: Johannes Vater Johann Hinrich leidet an Magenkrebs, er stirbt im Oktober 1882 kurz vor ihrem vierten Geburtstag.
Alles andere als einfache Zeiten also – obwohl Johannes Familie das Privileg besitzt, seit 1852 den ältesten und damit auch einen der größten Höfe des Dorfes zu bewirtschaften. In jenem Jahr hat Johannes Großtante Lücke Wübbenhorst ihren in Neuenwege geborenen Neffen Johann Hinrich Heinemann mangels eigener Nachkommen zum Haupterben eingesetzt. Finanziell müsste Mutter Christine deshalb einigermaßen abgesichert sein, so dass sich der Ausfall der Haupt-Arbeitskraft durch die Anstellung von Knechten und Mägden kompensieren lässt.
Vermutlich ab Frühjahr 1885 besucht Johanne die von ihrem Elternhaus rund zwei Kilometer entfernt liegende Volksschule in Lintel. Ein Weg, den sie unter anderem mit den in etwa gleichaltrigen Dorfkindern Annchen Barkemeyer, Meta Barkemeyer, Annchen von Seggern, Bernhard Wilkens und Hinrich Wilkens zurücklegt. Noch bevor sie die Schule abschließt, stirbt im Juli 1891 ihr von Mutter Christine als Hoferbe eingesetzter Bruder Gerhard Friedrich mit 18 Jahren an einer im Kirchenbuch nicht näher bezeichneten Herzkrankheit. Da Frauen in jenen Jahren in der Erbfolge keine Rolle spielen, hat dieser Tod auf Johannes weitere Lebensplanung jedoch keine Auswirkungen – ihr nächstälterer, 1868 geborener Bruder Hermann Diedrich springt ein.
Ob Johanne nach Konfirmation und Schulabschluss zunächst weiter auf dem elterlichen Hof mitarbeitet oder ob sie irgendwo in der näheren Umgebung in Stellung geht, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren – ebenso wenig, wann und bei welcher Gelegenheit sie ihren künftigen Ehemann Dietrich Osterloh aus Sandersfeld kennenlernt. Die beiden heiraten am 4. Juni 1903, woraufhin Johanne auf den Osterloh-Hof (heute: Ingo und Elke Haverkamp) übersiedelt. Dort kommt am 22. Juni 1904 Tochter Gesine zur Welt.
Gesine bleibt ein Einzelkind – was als Indiz dafür gelten könnte, dass es möglicherweise mit Johannes Gesundheit in jenen Jahren nicht zum Besten steht. Es läge gewissermaßen in der Familie, denn zwei weitere ihrer Geschwister sterben krankheitsbedingt vor Erreichen des 40. Lebensjahres: Hermann Diedrich erliegt im Januar 1908 wie sein jüngerer Bruder Gerhard Friedrich einer Herzschwäche. Magdalene, seit der 1893 gefeierten Hochzeit mit Heinrich Sparke Hausherrin auf dem heutigen Hof von Gerold und Annegret Sparke, verliert im April 1910 den Kampf gegen die Tuberkulose.
Der Osterloh-Hof in Sandersfeld kann auf eine ähnlich lange Historie zurückblicken wie der Hof von Johannes Eltern, auch er ist bereits im Oldenburger Salbuch von 1428 verzeichnet. Bewirtschaftet wird er bei Johannes Ankunft von Schwiegermutter Gesine Schwarting und ihrem zweiten Ehemann Heinrich Schwarting. Ob im Juni 1903 deren gemeinsame 18-jährige Tochter Anna Catharine noch mit im Haushalt lebt, lässt sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Erbberechtigt ist Johannes Ehemann Dietrich, der aus Gesine Margarethes erster Ehe mit Hermann Osterloh stammt.
Dietrich ist Jahrgang 1872, was ihn vor einer Einberufung zum im August 1914 ausbrechenden Ersten Weltkrieg bewahrt. Auch Tochter Gesine muss in dieser Hinsicht naturgemäß nichts befürchten, so dass Johanne in den folgenden vier Jahren sicher weniger Ängste auszustehen hat als die meisten Nachbarn und Verwandte. Eine schwierige und von vielerlei Versorgungs-Engpässen geprägte Zeit bleibt es allemal. Gleiches gilt für die Nachkriegsjahre und den holprigen Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, der im Herbst 1923 in der Hyperinflation gipfelt. Eine Katastrophe, die Schwiegermutter Gesine Margarethe nicht mehr miterlebt: Sie stirbt im April 1920 an einem Schlaganfall.
Mitte der 20er Jahre kehrt im neu errichteten Freistaat Oldenburg wie in ganz Deutschland allmählich wieder Ruhe ein. Zwar entfachen die vielbeschworenen „Goldenen Zwanziger“ auf dem Land deutlich weniger Aufbruchsstimmung als in Städten wie Berlin oder München. Aber auch in Sandersfeld tut sich etwas: Mit Johann Haverkamp, den Tochter Gesine im Mai 1926 heiratet, kommt es auf dem Osterloh-Hof zu einem Generations- und Namenswechsel. Durch die Geburt von Enkelin Hanna wird Johanne im Oktober 1927 Großmutter. Schon bald nach der Geburt des zweiten Enkelkindes Gerda im April 1929 verdüstert sich jedoch das Umfeld wieder – die Weltwirtschaftskrise wirft ihre Schatten voraus. Am Ende steht der Sturz der ersten deutschen Republik, die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler leitet im Januar 1933 das Dritte Reich ein.
Wirtschaftlich geht es in den 30er Jahren zunächst wieder bergauf. Schon bald zeigt sich jedoch der verbrecherische Charakter des NS-Regimes – nach innen durch rigorose Gleichschaltung und die Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten, nach außen durch völkerrechtswidrige Aktionen wie den Anschluss Österreichs oder die Zerschlagung Tschechiens. Drei Monate vor der Geburt von Johannes fünftem Enkelkind Bernhard beginnt im September 1939 mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Zu diesem Zeitpunkt wohnt Johanne mit Dietrich und Heinrich Schwarting bereits in einem zum Haverkamp-Hof gehörenden Heuerhaus, in dem alle drei weitgehend autark wirtschaften und mehrere Kühe, Schweine und Hühner halten.
Bange Stunden erlebt Johanne in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1942: Auf ihrem Rückweg von Bremen legen alliierte Bomberpiloten den Haverkamp-Hof in Schutt und Asche. Erst nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 kann Schwiegersohn Johann den Neubau abschließen.
Währungsreform, Gründung der Bundesrepublik Deutschland, Wirtschaftswunder – der letzte Abschnitt in Johannes Leben verläuft wieder in deutlich ruhigeren Bahnen. Seit dem Tod von Heinrich Schwarting im November 1948 wohnt sie allein mit Dietrich im nach und nach modernisierten Heuerhaus. Dort stirbt sie am 12. Oktober 1957 nach längerer Krankheit. Beerdigt ist Johanne drei Tage später auf dem Neuen Friedhof in Ganderkesee.