Hannelore Marhold wird am 8. Oktober 1938 als einziges Kind von Friedrich Pförtner und Annemarie Pförtner in Oldenburg geboren.
Einen Tag vor Hannelores Geburt hält der Wiener Erzbischof Theodor Innitzer im Stephansdom eine an die Jugend gerichtete Andacht zum traditionellen Rosenkranzfest. Angesichts des nach dem Anschluss Österreichs ans nationalsozialistische Deutschland ausgesprochenen Verbots katholischer Einrichtungen hatte Innitzer ursprünglich nur mit wenigen hundert Teilnehmern gerechnet. Erschienen sind jedoch mindestens 7.000 Jugendliche. Der Kardinal nutzt die Gelegenheit und ruft seine Zuhörer mit den Worten „Einer ist euer Führer; euer Führer ist Christus“ zu geistigem Widerstand gegen die Nazi-Ideologie auf. Nach der Andacht versammeln sich daraufhin etliche Teilnehmer vor dem Erzbischöflichen Palais und skandieren in Abwandlung eines gängigen, auf Adolf Hitler gemünzten Rufes „Wir wollen unseren Bischof sehen“.
Eine bemerkenswerte Kehrtwende im Verhalten des Kardinals: Im März 1938 hatte Innitzer für Hitler noch die Glocken läuten lassen und dem „von Gott gesandten Führer“ im Hotel Imperial einen offiziellen Besuch abgestattet. Seine Hoffnung, durch diese unter anderem auch von Papst Pius XI. kritisierte Anbiederung staatliche Repression gegen Österreichs Katholiken abzuwenden, ging jedoch nicht auf. Klöster und andere Einrichtungen wurden enteignet, kircheneigene Zeitungen zunächst zensiert und danach wie katholische Vereine und Stiftungen ganz verboten. Für Innitzer offenbar das Signal zur Umkehr.
Die Reaktion der düpierten Reichsgau-Führung unter Gauleiter Josef Bürckel folgt auf dem Fuße. Am Abend des 8. Oktober 1938 stürmt eine aus rund 100 Hitlerjugend– und SA-Mitgliedern gebildete Schlägertruppe das Erzbischöfliche Palais und verwüstet es. Innitzer selbst kann sich mit einigen Mitarbeitern gerade noch rechtzeitig vor dem entfesselten Mob in Sicherheit bringen. Hilfe von der Ordnungsmacht darf er nicht erwarten: Polizeichef Otto Steinhäusl sitzt zum Zeitpunkt des Angriffs im Kaffeehaus und wartet seelenruhig ab, bis die mit Bürckel vereinbarte Zeitspanne für die inszenierte Ausschreitung abgelaufen ist. Nach 40 Minuten schickt er einige Beamte vorbei, die den Schaden in Augenschein nehmen. Für den 13. Oktober ruft der Gauleiter dann zu einer Gegen-Demonstration auf, deren Teilnehmer mit einer am Galgen baumelnden Puppe des Kardinals an Innitzers Amtssitz vorüberziehen.
Von der Obrigkeit gesteuerte Gewaltexzesse wie diese sind nur wenige Wochen später im gesamten Großdeutschen Reich zu erleben. Anlass dazu bieten die tödlichen Pistolenschüsse des staatenlosen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris. Sie lösen die Reichspogromnacht aus, in deren Verlauf Tausende von jüdischen Synagogen, Geschäftsräumen und Wohnungen zerstört werden. Dabei kommen Schätzungen zufolge bis zu 2.000 Menschen zu Tode, mindestens 30.000 jüdische Mitbürger werden interniert. Auch in Hannelores Heimatstadt Oldenburg, wo die jüdische Gemeinde im Jahre 1938 rund 280 Mitglieder zählt.
Von Hannelores Zuhause an der Cloppenburger Straße bis zur Synagoge an der Peterstraße sind es knapp vier Kilometer. Bemerken ihre Eltern in der Nacht auf den 10. November 1938 den Feuerschein des brennenden Gotteshauses? Sind sie vielleicht sogar Zeugen, als am Morgen des nächsten Tages die jüdischen Männer vom Pferdemarkt an den noch glimmenden Trümmern vorbei zum Gerichtsgefängnis getrieben werden? Letzteres ist eher unwahrscheinlich – als Inhaber eines am Wohnhaus angeschlossenen Lebensmittelladens werden Friedrich und Annemarie Pförtner den Vormittag über wie üblich im Geschäft zu tun haben. Eine Routine, die für Hannelores Vater allerdings schon bald jäh unterbrochen wird: Nach Ausbruch des durch den deutschen Überfall auf Polen ausgelösten Zweiten Weltkriegs erhält er einen Stellungsbefehl zur Wehrmacht. In den folgenden Jahren bekommt Hannelore ihn nur selten zu Gesicht.
Wie Hannelore vor diesem Hintergrund ihre frühe Kindheit erlebt, lässt sich aus heutiger Sicht nur vermuten. Dasselbe gilt für die Umstände ihrer Einschulung. Sie steht im Frühjahr 1945 an – also zu einer Zeit, in der überall in Deutschland die letzten Reste staatlicher Ordnung zusammenbrechen. Am 2. und 3. Mai 1945 besetzen kanadische Truppen Oldenburg. Die Stadt ist zwar von größeren Zerstörungen verschont geblieben, wird aber noch in den letzten Kriegswochen Ziel mehrerer Luftangriffe. Einer davon trifft nicht nur die vom Pförtnerschen Laden gerade einmal 600 Meter entfernte Hindenburg-Kaserne, sondern auch die umliegenden Wohngebiete am Klingenbergplatz. Für Hannelore und Mutter Annemarie sind das mit Sicherheit beängstigende Momente. Ihr Haus wird jedoch nicht getroffen, der Geschäftsbetrieb kann weiterlaufen. Kurz nach der Kapitulation der Wehrmacht kehrt zudem Vater Friedrich unversehrt nach Hause zurück. Zwei Faktoren, die die auch in Oldenburg an allen Ecken und Enden zu spürenden Entbehrungen der ersten Nachkriegsjahre für die Familie halbwegs erträglich machen.
Ohne Geschwister aufzuwachsen bedeutet für Hannelore, von Kindesbeinen an im elterlichen Betrieb mitzuhelfen – aber eben auch, bei entsprechendem Interesse an der Materie frei von Existenzängsten zu sein. Als sie konfirmiert wird und die Schule verlässt, gibt es in Oldenburg noch mehr als 200 Lebensmittelgeschäfte. Wirtschaftlich halbwegs vernünftig geführt, bietet jeder dieser klassischen Tante-Emma-Läden seinen Besitzern die Chance auf einen auskömmlichen Verdienst. Insofern ist es nur konsequent, dass Hannelore beruflich zunächst ihren Eltern nacheifert und bei ihnen eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau beginnt. Schon wenige Jahre nach Lehrabschluss dürfte ihr allerdings dämmern, dass der Branche ein markanter Einschnitt bevorsteht. In Oldenburg geben dabei Anni und Friedrich Eklöh mit ihrem 1955 auf Selbstbedienung umgestellten Laden an der Langen Straße den Trend vor.
Noch bevor sich dort der überregional tätige Coop-Konzern einkauft und in der Stadt weitere Supermärkte ihre Pforten öffnen, lernt Hannelore ihren künftigen Ehemann Klaus Marhold kennen. Vermutlich im elterlichen Geschäft, dient ihr Auserwählter doch als Zeitsoldat in der seit 1958 wieder militärisch genutzten Hindenburg-Kaserne. Klaus Marhold stammt aus Wilhelmshaven und hat sich nach einer Ausbildung zum Orthopädie-Schuhmacher für vier Jahre bei der 1955 neu aufgestellten Bundeswehr verpflichtet.
Nach der Hochzeit am 5. Mai 1960 beziehen Hannelore und Klaus eine über dem elterlichen Laden liegende Dachgeschosswohnung. Sechs Monate später bringt Hannelore Sohn Peter zur Welt, im Januar 1962 dann Tochter Ursula. Während Hannelore weiter im Geschäft mitarbeitet, kommt Klaus zunächst in der Oldenburger Filiale des Hertie-Konzerns unter und wechselt bald darauf als Sachbearbeiter zum örtlichen Finanzamt. Im November 1966 stirbt Hannelores Vater Friedrich, im September 1967 Mutter Annemarie. Die Frage, was auf lange Sicht mit dem geerbten Laden passieren soll, schiebt sie danach zunächst einmal vor sich her.
Eine Entscheidung fällt im Laufe von Hannelores letzter Schwangerschaft, die tragisch endet: Die zweite Tochter Stefanie stirbt noch am Tag ihrer Geburt. Da Hannelore und Klaus – sie ursprünglich evangelisch, er katholisch – mit der Kirche gebrochen haben, findet ihr Begräbnis auf der Ahnenstätte in Hurrel statt. In unmittelbarer Nähe haben Hannelore und Klaus kurz zuvor ein Haus (heutige Eigentümer: Timo und Svenja Brinkmann) gekauft, das über kurz oder lang zum neuen Lebensmittelpunkt der Familie werden soll. Um die beiden Kinder nicht mitten in der Grundschulzeit aus ihrem gewohnten Umfeld herausreißen zu müssen, verschiebt sich der Umzug allerdings bis zu den Sommerferien des Jahres 1972. Hannelore bleibt danach Eigentümerin des Hauses an der Cloppenburger Straße und verpachtet dessen Räume an Marianne Menke aus Hemmelsberg, die dort bis zu ihrem nicht minder tragischen Unfalltod im Januar 1973 eine später von diversen anderen Pächtern fortgeführte Gaststätte betreibt.
Ein dritter Schicksalsschlag trifft wiederum direkt Hannelores Familie, geht aber – da es weder Tote noch Verletzte zu beklagen gibt – vergleichsweise glimpflich aus. Am 28. Februar 1974 zerstört ein Feuer den Dachstuhl des gerade anderthalb Jahre zuvor bezogenen Heimes. In den folgenden Monaten wohnt Hannelore mit Klaus und Ursula auf dem Hof von Hinrich und Hilda Helms, Peter auf dem Hof von Erwin und Wilma Wiemer. Eine im Hurreler Sand selbstverständliche Form der Nachbarschaftshilfe, die alle vier dankbar in Anspruch nehmen.
Während Klaus weiter auf dem Finanzamt in Oldenburg arbeitet, findet Hannelore in der näheren Umgebung Anstellung: zunächst in der Huder Imbissstube von Hermann und Mariechen Röben, dann im Restaurant „Zur Pferdetränke“ von Helga und Fred Aufdemkamp an der Hurreler Straße und schließlich im Büro der Schmiede Osterloh. In den Hurreler Anfangsjahren begleitet sie an den Wochenenden hin und wieder Klaus zu den Wettbewerben der Soldatenkameradschaft in Hude, in der er mittlerweile sehr aktiv ist. Später bleibt sie allerdings in ihrer freien Zeit lieber zu Hause und widmet sich mit großer Leidenschaft dem eigenen Garten.
Der Wegzug von Ursula nach Berlin markiert im Familienleben eine Zäsur, der nach der Hochzeit von Peter mit Christiane Kollmann aus Sandhatten ein zweiter – von allen Beteiligten allerdings als sehr positiv empfundener – Einschnitt folgt. Die Geburt von Peters und Christianes Tochter Kira im März 2003 macht Hannelore zum ersten und einzigen Mal zur Großmutter. Die nur wenige Kilometer entfernt aufwachsende Enkeltochter entwickelt sich rasch zu einem Fixpunkt, dem sie und Klaus fortan viele andere, plötzlich als nicht mehr so wichtig erachtete Dinge unterordnen.
Der kurz vor Kiras Ankunft erfolgte Rückzug aus dem Arbeitsleben ist sowohl für Hannelore als auch für Klaus von gesundheitlichen Problemen begleitet. Hannelore muss sich zunächst einer Krebs-Diagnose stellen, der einige Jahre später eine Aorta-Operation folgt. Klaus erleidet derweil einen leichten Schlaganfall, der ihn künftig in seiner Bewegungsfreiheit einschränkt. Sein plötzlicher Tod unmittelbar vor Beginn des Corona-Lockdowns im März 2020 kommt dennoch überraschend.
Der Verlust des Partners, nicht enden wollende Kontaktbeschränkungen und schließlich die Gewissheit, dass der zunächst besiegt geglaubte Krebs zurückgekehrt ist und gestreut hat – die folgenden anderthalb Jahre sind für Hannelore nicht eben einfach. Dennoch hält sie mit Unterstützung der Familie am Leben fest, so lange es eben geht. Weil sie nicht mehr alleine zu Hause wohnen kann, erfolgt Mitte November 2021 nach einem kurzen Aufenthalt in der Kurzzeitpflege in Wüsting der Umzug in das Senioren-Zentrum „Haus am Wald“ in Immer. Dort stirbt Hannelore am 4. Dezember 2021. Beerdigt ist sie wie zuvor Tochter Stefanie und Ehemann Klaus auf der Ahnenstätte Hilligenloh.