Gesine Vosteen – Biographie

Gesine Johanne Vosteen wird am 15. November 1908 als erstes Kind von Johann Hinrich Suhr und Sophie Gesine Suhr in Nutzhorn geboren. Sie ist die ältere Schwester von Hermann Suhr und Anna von Seggern.

In den Wochen um Gesines Geburt erschüttert die Daily-Telegraph-Affäre das Deutsche Reich. Ausgangspunkt sind mehrere Gespräche, das Kaiser Wilhelm II. zwischen November 1907 und August 1908 mit dem befreundeten britischen Oberst Edward Montagu-Stuart-Wortley geführt hat. Dessen Inhalte fasst letzterer mit Hilfe eines Journalisten des Daily Telegraph zu einem fiktiven Interview zusammen und schickt dem deutschen Monarchen das Ergebnis im darauffolgenden September mit der Bitte um Freigabe. Wilhelm wiederum leitet den Text an Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow weiter mit dem Auftrag, ihn zu prüfen. Bülow, der gerade Urlaub auf Norderney macht, delegiert diese Aufgabe an einen untergebenen Beamten, der nur einige kleinere stilistische Änderungen vornimmt. So gelangt der Text über Bülow – der später behauptet, ihn nicht gelesen zu haben – zurück zu Wilhelm und Montagu-Stuart-Wortley und findet schließlich am 28. Oktober 1908 seinen Weg in die britische Öffentlichkeit.

Wilhelms Intention: Der Enkel Queen Victorias möchte im von seinem Onkel Edward VII. regierten Königreich als Freund Großbritanniens erscheinen und dem Land so das Misstrauen gegenüber dem massiven Ausbau der deutschen Hochseeflotte nehmen. Dabei lässt er jedoch kaum ein Fettnäpfchen aus. Zunächst stellt er sich im eigenen Land als Angehöriger einer „Minderheit der besten Elemente“ hin – gerade in den mittleren und unteren deutschen Schichten gebe es große Vorbehalte gegen Großbritannien. Eine Sichtweise, die bei den eigenen Untertanen nicht sonderlich gut ankommt.

Mit seinen höchst undiplomatischen Äußerungen zum 1902 beendeten Burenkrieg vergrätzt Wilhelm sodann Briten, Franzosen und Russen gleichermaßen: So habe er damals alle Avancen Frankreichs und Russlands, in Südafrika eine anti-britische Allianz zu schmieden, brüsk abgelehnt. Und er habe nach Analyse der militärischen Lage einen Schlachtplan entworfen und an seine Großmutter Victoria geschickt, der dann in ganz ähnlicher Form zur Anwendung gekommen sei. Dafür solle man ihm auf der Insel gefälligst dankbar sein – und überhaupt diene die Aufrüstung der deutschen Flotte in erster Linie dem Zweck, an der Seite der Briten gemeinsamen Bedrohungen im Südpazifik zu trotzen. Eine Stelle, an der die japanische Regierung ganz genau hinhört und nicht sonderlich amüsiert ist.

Während sich das Ausland zunächst auffällig zurückhält, muss sich Wilhelm in Berlin Kritik von allen Seiten anhören. In einer zweitägigen, am 10. November beginnenden Reichstagsdebatte fordern ihn selbst konservative Abgeordnete auf, sein „persönliches Regiment“ künftig zurückzufahren. Wilhelm zeigt anfangs wenig Einsicht, er sieht Bülow als Hauptschuldigen und sich selbst als Opfer einer Verschwörung. Im weiteren Lauf der Affäre wird er jedoch zunehmend depressiv und denkt zeitweise sogar daran abzudanken. Die große Chance, in dieser Phase die nicht immer klar definierte Rolle des Parlaments in der 1871 bei Reichsgründung erlassenen Verfassung zu stärken, lassen die Parteien jedoch ungenutzt – zu groß sind die unterschiedlichen Auffassungen und das gegenseitige Misstrauen. Der linksliberale Politiker und Publizist Friedrich Naumann drückt es im Januar 1909 drastischer aus: Zu mehr Parlamentarismus und Demokratie fehle es den Deutschen ganz offensichtlich an der „nötigen politische Reife“.

Auch im Großherzogtum Oldenburg produziert die Daily-Telegraph-Affäre im Spätherbst 1908 Schlagzeilen. Inwieweit diese in Gesines Heimatgemeinde beachtet und diskutiert werden, lässt sich freilich nur vermuten. Gesines Eltern bewirtschaften in der Nähe des ehemaligen Adelsgutes Nutzhorn einen Bauernhof, ihre Mutter ist eine abgehende Tochter aus der in direkter Nachbarschaft gelegenen, 1872 gegründeten Bäckerei Meyer Mönchhof. Von frühester Kindheit an dürfte Gesine deshalb nicht nur so manche Stunde im elterlichen Kuhstall, sondern auch in der Backstube ihrer Großeltern verbringen.

Davon abgesehen ist über die vom Ersten Weltkrieg überschatteten Kinder- und Jugendjahre von Gesine in der Familie nicht mehr viel bekannt. Als einigermaßen gesichert darf aber gelten, das sie zwischen 1915 und 1923 die von ihrem Elternhaus knapp anderthalb Kilometer entfernt liegende Volksschule im Nachbarort Rethorn besucht, die heute eine Kindertagesstätte beherbergt.

Einen Beruf erlernt Gesine – wie bei den meisten weiblichen Schulabgängern ihrer Zeit üblich – nach dem Schulabschluss nicht. In ihrem Stammbuch findet sich an der entsprechenden Stelle lediglich die Bezeichnung „Haustochter zu Nutzhorn“. In den folgenden zwölf Jahren arbeitet sie aber vermutlich auf verschiedenen Höfen der näheren Umgebung und lernt bei einer dieser Gelegenheiten ihren künftigen Ehemann Erich Vosteen kennen.

Gesine und Erich heiraten am 10. Mai 1935 in Hude. Erich, der aus Kirchkimmen stammt, lebt zu dieser Zeit bereits auf dem Hof seines kinderlosen Onkels Hinrich Brinkmann in Hurrel (heute: Uwe und Inge Ramke). Dorthin folgt Gesine ihm, wo sie sich neben der täglichen Arbeit in der Landwirtschaft unter anderem auch um Erichs invalide Tante Gesine Margarethe Brinkmann kümmert – und um den Nachwuchs, der sich schon bald einstellt: Am 22. Juni 1936 kommt Tochter Gerda zur Welt, am 13. November 1937 – zwei Tage vor Gesines 29. Geburtstag – folgt Tochter Hilde.

Mit den sich unmittelbar vor Gesines 30. Geburtstag abspielenden Ereignissen der Reichskristallnacht, spätestens aber mit dem Einmarsch in Tschechien im Frühjahr 1939 zeichnet sich ab, dass die in Deutschland seit Anfang 1933 regierenden Nationalsozialisten weder vor Gewalt noch vor der Gefahr eines neuen Krieges zurückschrecken, um ihre menschenverachtenden Ziele durchzusetzen. Zu diesem im September 1939 beginnenden Krieg wird zunächst auch Erich einberufen. Der Abschied von Gesine und den Kindern ist jedoch nicht von langer Dauer, da die Wehrmacht ihn wegen seiner eingeschränkten Sehkraft schon bald wieder nach Hause schickt.

Die Besetzung Hurrels durch kanadische Truppen im April 1945 und das Kriegsende wenige Wochen später erlebt Gesine mit ihrer Familie unbeschadet zu Hause. Schon bald darauf kündigt sich an, dass diese Familie noch einmal wachsen wird: Gesine ist noch einmal schwanger, im April 1946 wird ihre dritte Tochter Elli geboren. Bereits einige Monate zuvor, an Gesines 37. Geburtstag am 15. November 1945, mussten die anderen Mitglieder ein Stück weit zusammenrücken: An diesem Tag erreicht der zwölfjährige, aus Westpreußen stammende Flüchtlingsjunge Heinrich Moddelmog Hurrel und verbringt die folgenden Jahre im Vosteen-Haushalt.

Die Zeit des Wiederaufbaus nach dem verlorenen Krieg und der Gründung der Bundesrepublik im Mai 1949 ist für Gesine geprägt durch die Arbeit auf dem nach dem Tod von Hinrich Brinkmann im März 1948 durch Zupachtung von 8 auf rund 16 Hektar vergrößerten Hof. Dass diese Jahre später als Wirtschaftswunder-Jahre in die Geschichtsbücher Einzug halten werden, erlebt sie nicht mehr mit: Am 11. Juli 1954 – eine Woche nach dem als Wunder von Bern gefeierten WM-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft über Ungarn – wird Gesine nach kurzer Bettlägerigkeit ins Krankenhaus eingewiesen, wo sie bereits am folgenden Tag an den Folgen einer zu spät diagnostizierten Thrombose stirbt. Beerdigt ist sie am 15. Juli auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.