Pauline Emma Frieda Härtig – Rufname Frieda – wird am 27. Februar 1901 als Pauline Emma Frieda Hillmann in Strans im Landkreis Bunzlau in Niederschlesien geboren. Über ihre Eltern und die Zahl ihrer Geschwister ist in der Familie nichts mehr bekannt.
Einen Tag vor Friedas Geburt werden in Mailand die Leichname von Giuseppe Verdi und seiner Ehefrau, der Opernsängerin Giuseppina Strepponi, in die Gruft der Casa di Riposo überführt. Der wohl berühmteste Komponist Italiens war am 27. Januar im Alter von 87 Jahren gestorben, Strepponi bereits im November 1897. Mehr als 300.000 Trauernde säumen den Weg vom Cimitero Monumentale bis zum Eingang der Gruft, um einen letzten Blick auf die beiden Särge zu werfen. Ein Ensemble aus mehr als 850 Sängerinnen und Sängern inklusive Orchester lässt den „Gefangenen-Chor“ aus Verdis Oper „Nabucco“ erklingen, dem das „Miserere“ aus „Il Trovatore“ folgt. Initiiert hat die Umbettung die italienische Regierung – Verdi selbst war eher an einem bescheidenen Begräbnis gelegen.
Giuseppe Verdi ist nicht der einzige berühmte Tote des noch jungen Jahres 1901. Fünf Tage vor ihm stirbt auf der Isle of Wight Queen Victoria, die zuvor 63 Jahre lang Großbritannien regierte. Ihr Begräbnis am 2. Februar in London gerät zum wohl größten Treffen europäischer Monarchen-Familien, das die britische Hauptstadt bis dahin gesehen hat. Kein Wunder, gilt Victoria doch bis heute als „Großmutter Europas“, die ihre Nachkommen geschickt mit Mitgliedern des kontinentalen Hochadels verkuppelt hat. Zu ihren 42 Enkelkindern gehört unter anderem der deutsche Kaiser Wilhelm II. – mit dem sie zeitlebens ein ganz besonderes Verhältnis verbindet.
Als Wilhelm von Victorias nahendem Tod erfährt, sagt er die in Berlin bereits geplanten Feierlichkeiten zu seinem 42. Geburtstag ab und reist unverzüglich nach London. Dort vom designierten König Edward VII. zunächst alles andere als freundlich empfangen, erwirbt er sich am Sterbebett der Großmutter durch eine ganz gegen seine sonstige Art an den Tag gelegte Zurückhaltung Respekt. Den er allerdings mit gewohnt schneidigem und überheblichem Auftreten wieder verspielt, als Edward fünf Wochen später nach Cronberg reist, um auf Schloss Friedrichshof seine schwerkranke Schwester Victoria – Wilhelms Mutter – zu besuchen. Nach Victorias Tod am 5. August 1901 kühlt das Verhältnis zwischen den beiden Herrschern und damit auch zwischen Deutschland und Großbritannien mehr und mehr ab.
Von den beschriebenen Ereignissen dürfte zumindest der Tod der „Kaiserin Friedrich“, wie Wilhelms Mutter in Deutschland genannt wird, auch in Friedas schlesischer Heimat für Gesprächsstoff sorgen. Im ganzen Reich herrscht sechs Wochen lang Landestrauer, bis zur Beerdigung am 13. August in Potsdam steht das öffentliche Leben komplett still. Eine kaiserliche Anordnung, die Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln oder Leipzig aber sicher härter trifft. Strans ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Dorf mit vielleicht 400 Einwohnern, rund 20 Kilometer nördlich von Bunzlau und 120 Kilometer nordwestlich der Landeshauptstadt Breslau gelegen.
Unter welchen Umständen Frieda in Strans aufwächst und wie sie den ab Sommer 1914 auch zwischen Deutschland und Großbritannien geführten Ersten Weltkrieg erlebt, liegt heute komplett im Dunkeln. Nach Schulabschluss und Konfirmation geht sie aber vermutlich zunächst auf einem der rund um Bunzlau gelegenen Gutshöfe in Stellung und erlebt dort das Ende des Kaiserreichs und die Ausrufung der Republik.
Eine erste Wende nimmt Friedas Leben, als sie unmittelbar nach Abklingen der deutschen Hyperinflation mit ihrer im August 1924 geborenen Tochter Martha schwanger wird. Über Marthas Vater gibt es keine gesicherten Informationen, ebenso wenig darüber, wo Frieda mit ihr die nächsten Jahre verbringt. Verbürgt ist lediglich, dass sie am 22. Juni 1929 im Nachbardorf Kosel – knapp drei Kilometer von Strans entfernt – Willi Härtig heiratet.
Willi stammt aus dem östlich von Bunzlau gelegenen Dorf Rosenthal, er arbeitet Informationen der Familie zufolge in der Nähe der Kreisstadt als Gutsverwalter. Die äußeren Umstände für die neu geschlossene Ehe könnten auf den ersten Blick günstiger sein – nur vier Monate nach der Trauung beginnt mit dem Schwarzen Donnerstag an der Wall Street in New York die Weltwirtschaftskrise, die mit leichter Verzögerung auch auf Deutschland übergreift und rasch zu Massenarbeitslosigkeit und damit verbunden zu politischer Radikalisierung führt. In der schlesischen Provinz dürften die Folgen allerdings weniger gravierend gewesen sein, zumal Willi seine Arbeit als Gutsverwalter fortsetzen kann. Finanziell sind Willi und Frieda in den folgenden Jahren deshalb sogar in der Lage, in Bunzlau ein eigenes Haus zu bauen oder zu kaufen. Dort werden bis Dezember 1939 die gemeinsamen Kinder Waltrauth, Arthur, Margarete und Wanda geboren.
Wann genau Willi nach Ausbruch des von den seit 1933 regierenden Nationalsozialisten losgetretenen Zweiten Weltkriegs zur Wehrmacht eingezogen wird, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Von da an zieht Frieda ihre vier jüngsten Kinder weitgehend alleine auf. Die älteste Tochter Martha befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits im rund 600 Kilometer entfernten Hurrel, wo sie im Mai 1944 Friedel Timmermann heiratet und auf dessen Hof an der Hurreler Straße lebt (heute: Kerstin und Thomas Schwantje).
Als Anfang 1945 die russische Front immer näher rückt, entschließt sich Frieda zur Flucht. Eilig packt sie das Nötigste auf einen Pferdewagen und schließt sich mit den Kindern einem Treck an, der sie zunächst nach Bautzen bringt. Derweil versinkt Bunzlau in Schutt und Asche: Am Ende des Krieges sind 60 Prozent der Bebauung zerstört.
Ihre weitere Flucht führt Frieda in den kommenden Monaten bis nach Hurrel, wo sie mit den Kindern zunächst auf dem Hof von Schwiegersohn Friedel und später in einer großen, gemeinsam mit der Familie von Paul Moskwa bewohnten Baracke Unterschlupf findet. Die folgenden Jahre sind für Frieda gekennzeichnet vom typischen Überlebenskampf einer vielköpfigen Flüchtlingsfamilie in der Nachkriegszeit – und der Sorge um Ehemann Willi, der erst Ende der 40er Jahre aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft freikommt und sich ebenfalls bis nach Hurrel durchschlägt.
Im Juni 1954 feiert Frieda mit Willi in Hurrel Silberhochzeit. Letztlich bleibt die Gemeinde Hude in ihrem Leben jedoch nur eine Zwischenstation: Im Herbst 1959 zieht sie mit Willi, Sohn Arthur und Tochter Margarete nach Schalksmühle im Sauerland, wo sie noch einige Jahre im örtlichen Stahlwerk Kuhbier & Söhne arbeitet. Sie stirbt am 22. April 1973 in ihrer neuen Heimat und wird dort wenige Tage später auf dem Friedhof der Evangelischen Kirchengemeinde beerdigt.