Katharine Dreischmeier – Biographie

Katharine Johanne Dreischmeier wird am 16. November 1885 als zweites Kind von Hermann Lüers und Mathilde Lüers in Hurrel geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Anna Runge und die ältere Schwester von Diedrich Lüers, Rosa Buck, Claire Vèbre, Adele Raschen, Amalie Oldenburg und Martha Wachtendorf.

Drei Tage vor Katharines Geburt erklärt Serbiens König Milan I. dem benachbarten Fürstentum Bulgarien den Krieg. Die Vorgeschichte ist – wie fast immer auf dem Balkan im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert – etwas kompliziert. Nach einem im Frühjahr 1876 gescheiterten Aufstand bulgarischer Nationalisten gegen die fast 500 Jahre währende türkische Fremdherrschaft hatte Russland Partei für die Bulgaren ergriffen und im Frühjahr 1878 den Russisch-Osmanischen Krieg gewonnen. In der Folge war Bulgarien unabhängig geworden, auch wenn das auf diese Weise entstandene Staatsgebiet im Juli 1878 auf dem Berliner Kongress wieder ein Stück weit beschnitten wurde: Die überwiegend von Bulgaren bewohnte Provinz Ost-Rumelien blieb nach dem Willen der europäischen Großmächte als fortan autonomes Gebiet doch Teil des Osmanischen Reiches.

Nach einem Putsch in Ost-Rumelien erklärt die neue Provinzregierung im September 1885 den Beitritt zum Fürstentum Bulgarien. Ein Schritt, der zum Bruch mit Russland führt und auch in Österreich-Ungarn scharfen Protest hervorruft. Im Vertrauen auf Rückendeckung durch die kaiserlich-königliche Regierung in Wien und im Wissen, dass ein Großteil der weitgehend unerfahrenen bulgarischen Armee im Südosten des Landes an der Grenze zum Osmanischen Reich steht, rücken serbische Truppen nach der Kriegserklärung von Westen her Richtung Sofia vor. Nach einem Eilmarsch gelingt es bulgarischen Einheiten unter der Führung von Fürst Alexander I. jedoch, den Feind in der vom 17. bis zum 19. November geführten Schlacht bei Sliwniza kurz vor der Hauptstadt zurückzuschlagen. Nach weiteren Niederlagen müssen die Serben am 28. November kapitulieren. Den nun beginnenden Vormarsch der Bulgaren auf serbisches Staatsgebiet stoppt die Drohung Österreich-Ungarns, seinerseits in den Krieg einzugreifen. Am Ende stehen Anfang März 1886 der Frieden von Bukarest und vier Wochen später der mit dem Osmanischen Reich geschlossene Tophane-Vertrag, der den Anschluss Ost-Rumeliens an Bulgarien anerkennt.

Das Deutsche Reich hält sich aus dem Konflikt weitgehend heraus. „Der Balkan ist mir nicht die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert“, hatte Reichskanzler Otto von Bismarck bereits 1878 auf dem Berliner Kongress erklärt. Demzufolge taugen die Ereignisse vom November 1885 und die daraus resultierenden Verträge hierzulande kaum zum Tagesgespräch. Schon gar nicht in Katharines Familie, die Ende 1885 andere Sorgen hat: Erst im September ist in Hurrel Großvater Röbe Haverkamp gestorben, im Alter von gerade einmal 47 Jahren. Vermutlich ist das der Grund, warum Katharines Eltern mit der noch in Tweelbäke geborenen anderthalbjährigen Schwester Anna auf den Hof ihrer Großmutter Catharine Haverkamp an der Hurreler Straße gezogen sind. Wie viele der insgesamt neun Geschwister von Katharines Mutter Mathilde dort zu diesem Zeitpunkt noch mit im Haushalt leben, liegt heute im Dunkeln. Wahrscheinlich mindestens vier, denn Catharines und Röbes jüngste Kinder Meta Katharine, Diedrich, Georg und Martha Hermine sind erst zwischen 1872 und 1880 geboren.

Mit Diedrich (November 1887), Rosa (März 1890) und Clara (Oktober 1891) bringt Mutter Mathilde in Hurrel in den folgenden Jahren drei weitere Kinder zur Welt. Weil die Lebensverhältnisse dadurch immer beengter werden und als Hoferbe gemäß Jüngstenrecht Katharines Onkel Georg vorgesehen ist, sehen sich Mathilde und Hermann Lüers nach einer Alternative um. Noch vor Geburt der nächsten Tochter Adele im August 1893 pachten sie im 15 Kilometer entfernten Immer einen eigenen Hof. Ob Katharine 1892 zunächst noch mit den anderen Hurreler Kindern ihres Alters in Lintel eingeschult wird oder bereits am neuen Wohnort, ist heute nicht mehr bekannt. Derweil wächst die Familie weiter: Mit Amalie (Mai 1895) und Martha (Februar 1897) kommen noch einmal zwei Schwestern hinzu.

Als zweitälteste Tochter dürfte Katharine früh in die Bewirtschaftung des elterlichen Pachthofes einbezogen sein. Nach Schulabschluss und Konfirmation arbeitet sie dort vermutlich zunächst weiter, und vielleicht macht sie sogar noch den Umzug der Familie nach Kirchkimmen mit – dort pachten ihre Eltern kurz nach der Jahrhundertwende einen anderen, etwas kleineren Hof. Ganz in der Nähe wohnt Dietrich Dreischmeier, Katharines künftiger Ehemann. Dietrich ist kein gebürtiger Oldenburger, er stammt aus Bentorf im Fürstentum Lippe. Dort gibt es um 1900 viele Wanderziegler wie ihn, die saisonweise in ganz Norddeutschland und sogar in den Niederlanden oder Dänemark arbeiten. Auch Dietrichs Vater verdient lange Zeit auf diese Weise seinen Lebensunterhalt.

Wann Katharine und Dietrich einander zum ersten Mal über den Weg laufen und auf welcher der zahlreichen Ziegeleien in der Delmenhorster Geest letzterer damals beschäftigt ist, lässt sich nur vermuten. Wie auch immer: Nach Dietrichs Entscheidung, nicht mehr in die Heimat zurückzukehren, heiraten beide am 23. März 1909 in Ganderkesee. Danach lassen sie sich in Hude nieder, wo im Dezember 1910 Sohn Dietrich Hermann geboren wird und im März 1912 Tochter Agnes.

Nur wenige Wochen nach Agnes‘ Geburt tritt Dietrich eine neue Stelle als Ziegelmeister im Betrieb von Gerhard Oltmanns in Osterscheps an. Damit verbunden ist für die junge Familie der Umzug in eine Werkswohnung auf dem Ziegeleigelände. Dort bleibt Katharine mit den beiden Kindern auch wohnen, als Dietrich nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 zur kaiserlichen Armee einberufen wird. Zunächst im Ersatz-Bataillon des Oldenburgischen Infanterie-Regiments Nr. 91 heimatnah verwendet, tut er im weiteren Verlauf des Krieges in Meschede und Gronau Dienst – was für einen Einsatz an der hart umkämpften Westfront spricht. Nach dem mit Sowjetrussland geschlossenen Friedensvertrag von Brest-Litowsk hält Dietrich sich jedoch an der ehemaligen Ostfront auf, wie eine im August 1918 aus Kongress-Polen verschickte, in der Familie erhaltene Postkarte an Tochter Agnes belegt. Im Dezember 1918 kehrt er dann unversehrt nach Osterscheps zurück. Ein Glück, das viele andere nicht haben: Zu den mutmaßlich knapp 20 Millionen Kriegstoten gehören unter anderem Katharines einziger Bruder Diedrich Lüers und Dietrichs Arbeitgeber Gerhard Oltmanns.

Trotz der großen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit in den Gründungsjahren der auf den Trümmern des Kaiserreichs entstehenden Weimarer Republik nehmen Dietrich und Katharine zügig den Bau eines eigenen Hauses in Angriff. Es entsteht in Jeddeloh, wo Dietrich ab 1920 in der Ziegelei von Hermann Friedrich Oltmanns arbeitet. Auch privat sind die frühen 20er Jahre für Katharine eine turbulente Zeit: Im Juli 1921 stirbt Vater Hermann, im Oktober 1923 dann Mutter Mathilde. Hinzu kommen Sorgen um Tochter Agnes, die nach einer Masernerkrankung auf einem Auge erblindet.

Der Hyperinflation von 1923 folgt in Deutschland ein relativ langer Aufschwung, den die in den USA ausbrechende Weltwirtschaftskrise allerdings Ende 1929 abrupt beendet. Inwieweit Katharines Familie davon betroffen ist, lässt sich aus heutiger Sicht nur schwer abschätzen. Zwar kriselt es auch in der Ziegelproduktion, doch Dietrich scheint seinen Arbeitsplatz zu behalten. Mehr noch: Auch Sohn Dietrich Hermann findet in der Ziegelei Oltmanns Beschäftigung – das bezeugt eine 2004 veröffentlichte Firmen-Chronik, in der ein um 1930 herum aufgenommenes Foto von ihm zu sehen ist.

Mit der im ganzen Reich grassierenden Massenarbeitslosigkeit geht eine politische Radikalisierung einher, die schließlich im Januar 1933 zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führt. Nur ein Jahr später gibt es in Katharines Familie einen weiteren Verlust zu beklagen: Im März 1934 stirbt Schwester Clara, die nach Ende des Ersten Weltkriegs mit ihrem französischstämmigen Ehemann Jean Vèbre nach Straßburg gezogen ist. Mit Clara – oder Claire, wie sie sich seit ihrer Heirat nennt – hat Katharine all die Jahre zuvor ebenso engen Briefkontakt gehalten wie die anderen fünf Schwestern. Auch die in Deutschland gebliebenen Geschwister verstehen sich untereinander zeitlebens gut – inklusive Hugo Lüers, dem unehelichen Sohn der ältesten Schwester Anna, der mit den jüngeren Schwestern Adele, Amalie und Martha wie ein Bruder bei den Großeltern Hermann und Mathilde Lüers in Kirchkimmen und Vielstedt aufgewachsen ist.

Im November 1938 – nur wenige Tage nach der Reichspogromnacht – wird Katharine zum ersten Mal Großmutter. Das sogar doppelt: Dietrich Hermanns Ehefrau Emma bringt die Zwillinge Anne und Dieter zur Welt. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits absehbar, dass der NS-Staat frontal auf einen neuen kriegerischen Konflikt zusteuert. Er beginnt am 1. September 1939, und Dietrich Hermann Dreischmeier nimmt daran von Anfang an teil. Die Ängste, die Katharine 25 Jahre vorher um Ehemann Dietrich auszustehen hatte, gelten nun ihrem Sohn. Doch auch dieser hat Glück: Zwar wird er noch wenige Wochen vor Kriegsende an der zusammenbrechenden Ostfront verwundet, kehrt aber schon im Juni 1945 aus dem Lazarett nach Hause zurück. Drei Monate später wird er mit der Geburt von Katharines drittem Enkel Wilfried erneut Vater.

Hurra, wir leben noch? Sollte Katharine dieses durchaus verständliche Gefühl zu Beginn der Nachkriegszeit empfunden haben, so ist es nur von kurzer Dauer. Im Juli 1947 stirbt Ehemann Dietrich, am Heiligabend desselben Jahres völlig überraschend auch Sohn Dietrich Hermann – an einer simplen Blinddarm-Entzündung. Ein tragischer Tod, der wie viele ähnlich gelagerte Fälle die mitunter katastrophale medizinische Versorgung in jener vom Mangel gekennzeichneten Übergangsphase zu neuen staatlichen Strukturen aufzeigt.

Die letzten Lebensjahre verbringt Katharine weiter mit der Familie in ihrem Haus in Jeddeloh: Sie selbst bewohnt mit Tochter Agnes und dem 1949 hinzukommenden Schwiegersohn Adolf Fechtmann die untere Etage, Schwiegertochter Emma mit den drei Kindern die obere. Dort stirbt Katharine nach kurzer Krankheit am 17. Februar 1950. Beerdigt ist sie vier Tage später auf dem Neuen Friedhof in Edewecht.