Johanne Haverkamp – Biographie

Johanne Gesine Haverkamp wird am 6. Januar 1906 als zweites Kind von Hinrich Kreye und Sophie Margarete Kreye auf dem elterlichen Hof in Bergedorf bei Ganderkesee (heute: Ewald Kreye) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Dietrich Kreye und die ältere Schwester von Heinrich Kreye.

Den ganzen Januar 1906 über hält die Revolution von 1905 das Russische Reich in Aufruhr, wechseln sich Aufstände und Staatsterror ab. Nachdem im Dezember 1905 der Versuch gescheitert ist, das Regime von Zar Nikolaus II. gewaltsam zu stürzen und durch eine Republik zu ersetzen, schlagen die Regierungstruppen zurück – es kommt zu zahlreichen Verhaftungen und vereinzelt auch zu Massenerschießungen.

Trotzdem sieht sich Nikolaus II. Anfang März 1906 gezwungen, eines seiner im Oktober-Manifest gegebenen Versprechen einzulösen und mit der Duma erstmals in der Geschichte des Landes ein vom Volk gewähltes Parlament einzurichten. Bereits im Juli 1906 löst er es jedoch wieder auf und ändert nach einem kurzen Intermezzo mit einer sozialistischen Mehrheit das Wahlrecht derart, dass die Duma ab November 1907 von konservativen, nationalistischen und regierungstreuen Abgeordneten dominiert wird. Damit ist die Revolution vorerst gescheitert, einer ihrer Protagonisten – Wladimir Iljitsch Lenin – flieht außer Landes und propagiert fortan vom schweizerischen Genf aus die Weltrevolution.

Zwar kann Anfang 1906 im von Kaiser Wilhelm II. regierten Deutschen Reich von einem revolutionären Umsturzversuch nicht die Rede sein. Gleichwohl rumort es auch dort: In Hamburg etwa ruft die SPD zum ersten politischen Generalstreik auf, dem am 17. Januar je nach Quelle zwischen 30.000 und 80.000 Arbeiter folgen. Anlass ist der Plan des Hamburger Senats, die Einkommensgrenze, ab der Bürger wählen dürfen, drastisch von 1.200 auf 2.500 Mark pro Jahr anzuheben. Gegen Abend geraten die den ganzen Tag über anhaltenden Proteste gegen den „Wahlrechtsraub“ mehr und mehr außer Kontrolle: Auf Gewalt folgt Gegengewalt, es gibt zahlreiche Verletzte und mindestens einen Toten. Letztlich stärkt die Eskalation jedoch die Position des Senats, der das umstrittene Gesetz am 28. Februar 1906 wie geplant verabschiedet.

Im von Hurrel knapp zehn Kilometer entfernt gelegenen Bauerndorf Bergedorf sind – anders als im gleichnamigen Hamburger Stadtteil – sozialistisch motivierte Umsturz-Phantasien 1906 ganz sicher kein Thema. Obwohl sie die meisten Bewohner ganz konkret betrifft, dürfte dasselbe für eine weitere, kurz zuvor vom Reichstag in Berlin beschlossene Gesetzesänderung gelten. Sie senkt das Mindestalter für die Beschäftigung von Kindern in Familienbetrieben der Landwirtschaft von zehn auf neun Jahre, hat aber wie das dadurch gelockerte, 1904 eingeführte Kinderschutzgesetz kaum praktische Auswirkungen: Eine wirksame Kontrolle findet nicht statt, so dass wie eh und je auch deutlich jüngere Familienmitglieder zur Mithilfe im Stall und auf den Feldern eingespannt werden.

Johannes Eltern machen da mit Sicherheit keine Ausnahme – zumal Vater Hinrich nebenbei noch als Zimmermann arbeitet und es folglich auf jede helfende Hand ankommt. Ganz besonders nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, dem Hinrich Kreye im August 1916 als Soldat zum Opfer fällt. Wie die Familie nach diesem Schicksalsschlag über die Runden kommt, lässt sich nur erahnen. Außer Bruder Dietrich, der den Hof später übernimmt, steht aber ohne Zweifel auch Johanne früh in der Verantwortung.

Unter welchen Umständen Johanne nach Kriegsende, Schulentlassung und Konfirmation ihren künftigen Ehemann Bernhard Haverkamp aus Hurrel kennenlernt, ist nicht überliefert. Nach der im Mai 1929 gefeierten Hochzeit zieht Johanne auf den Haverkamp-Hof an der Pirschstraße, den Bernhard seit dem Tod seines Vaters Bernhard Senior im Februar 1915 zusammen mit Mutter Gesine bewirtschaftet.

Mit einer Fläche von rund 100 Hektar gehört der Haverkamp-Hof zu den größten und ältesten Betrieben des Dorfes. Das macht ihn zwar nicht immun gegen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen sich die Landwirtschaft weit über die Grenzen des Freistaats Oldenburg hinaus seit Ende der Hyperinflation konfrontiert sieht. Gleichwohl entledigt diese Basis Johanne auf einen Schlag jeglicher Existenzsorgen, die sie noch einige Jahre zuvor gehabt haben mag und die beispielsweise 1927 Bernhards ehemalige Nachbarin Clara Neuhaus und ihren Ehemann Heinrich zur Auswanderung in die USA bewogen hat.

Die Ehe mit Bernhard bleibt kinderlos – was Johanne im Anfang 1933 etablierten, von Gebär-Stolz und Mutterkreuz-Kult geprägten NS-Staat nicht eben zum Vorbild macht. Ob ersteres an ihr nagt, lässt sich rückblickend und von außen betrachtet nur schwer einschätzen. Dass sie dessen ungeachtet manchmal mit ihrem Schicksal hadert, darf jedoch als Gewissheit gelten – schließlich lässt Bernhard sie schon in den 30er Jahren oft mit seiner nach und nach erblindenden Mutter und der Arbeit auf dem Hof alleine, um sich ausgiebig eigenen Interessen wie der Jagd oder dem sportlichen Wettkampf im Schützen- und Reiterverein zu widmen.

Als im September 1939 mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg beginnt, bleibt Bernhard von einer Einberufung verschont. Mitten im Krieg stirbt dann nach der zuvor zu Johannes Schwägerin Klara Schweers nach Oldenburg gezogenen Schwiegermutter auch ihre eigene Mutter in Bergedorf. Ihr älterer Bruder Dietrich wiederum fällt noch wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, über seinen Tod erhält die Familie erst Jahre später endgültig Gewissheit.

In den 50er und 60er Jahren beschränken sich Bernhard und Johanne darauf, ihren in punkto Größe noch immer stattlichen Besitz zu verwalten, sie investieren – angesichts eines fehlenden Erben verständlich – nur das Nötigste. Trotzdem hat Johanne mehr als genug zu tun, denn Bernhard denkt gar nicht daran, seine Gewohnheiten zu ändern und ist entsprechend viel unterwegs. Johanne hingegen verlässt Haus und Hof mit zunehmendem Alter immer seltener. Häufiger zu Gesicht bekommen sie in den 70er Jahren außer den direkten Nachbarn und Verwandten nur noch jene Hurreler, die regelmäßig ihre Kühe zur Besamung durch einen der wenigen noch im Dorf aktiven Zuchtbullen vorbeibringen.

Im Mai 1979 feiern Johanne und Bernhard im Gasthof von Bodo und Ursel Mehrings mit zahlreichen Gästen Goldene Hochzeit. Bald darauf erkrankt Johanne schwer. Sie stirbt am 22. Januar 1980 nur wenige Wochen nach ihrem 74. Geburtstag und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.