Johann Heinrich Tönjes – Biographie

Johann Heinrich Tönjes wird am 17. April 1838 als erstes Kind von Hinrich Tönjes und Anna Tönjes auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Ingo Stöver und Sara Bolte) geboren. Er ist der ältere Bruder von Johann Tönjes, Bernhard Tönjes, Meta Barkemeyer, Diedrich Tönjes, Hinrich Tönjes Junior, Hermann Tönjes, Anna Sophia Tönjes, Catharine Schwarting und Sophie Wilkens.

Fünf Tage nach Johann Heinrichs Geburt geht im Hafen von New York eine spektakuläre Wettfahrt zweier Dampfschiffe zu Ende. Gegeneinander angetreten sind die von der British and American Steam Navigation Company (B&A) gecharterte „Sirius“ und die „Great Western“ des britischen Eisenbahn-Ingenieurs Isambard Kingdom Brunel – jeweils mit dem Ziel, erstmals vollständig ohne Segel den Atlantik zu überqueren. Dabei ist die „Great Western“ haushoher Favorit: Sie verfügt über die deutlich leistungsstärkeren Maschinen und ist mit ihrem Kohle-Bunker von 800 Tonnen speziell für den Transatlantik-Passagierdienst ausgelegt. Die „Sirius“ hingegen verkehrt normalerweise zwischen London und der irischen Hafenstadt Cork und kommt nur deshalb zum Einsatz, weil das ursprünglich vorgesehene B&A-Schiff „British Queen“ nicht rechtzeitig fertig wird.

Während die „Sirius“ wie geplant am 4. April 1838 von Cork aus in See sticht, verzögert sich die Abfahrt der „Great Western“ in Avonmouth aufgrund eines Feuers im Maschinenraum um mehrere Tage. Erst am 8. April startet sie ihre Aufholjagd. Danach aber macht sie beständig Boden gut. Der nur wenig hochseeerfahrenen Crew der „Sirius“ unter Leitung von Kapitän Richard Roberts wiederum bereiten böige Winde und hohe Wellen mehr und mehr Probleme. Dass Roberts kurz vor New York gar die Kohle ausgeht und er sich – vor die Wahl gestellt, den Rekordversuch abzubrechen und die aus Sicherheitsgründen mitgeführten Segel zu hissen oder Teile des Inventars zu verfeuern – für Letzteres entscheidet, steht zwar im Mittelpunkt der meisten historischen Rückblicke zu diesem Thema. Ob dies den Tatsachen entspricht oder ob es sich eher um eine nachträglich gestrickte Legende handelt, vermag mehr als 180 Jahre später jedoch niemand mehr mit Gewissheit zu sagen. Fakt ist, dass die „Sirius“ ihr Ziel vier Stunden vor der „Great Western“ erreicht und von tausenden Schaulustigen begeistert gefeiert wird.

Verlierer Brunel kann sich damit trösten, den Ausrüstungs-Standard für eine ganze Generation künftiger Atlantik-Dampfer gesetzt zu haben. Ferner wird ihm der Geschwindigkeits-Rekord für die absolvierte Strecke zuerkannt, der immerhin mehr als zwei Jahre lang Bestand hat. Neben der „Great Western“ und der „British Queen“ bedient von 1840 an auch der kanadisch-britische Reeder Samuel Cunard das neue Geschäftsfeld. Die „Sirius“ kehrt derweil nach Europa zurück und pendelt fortan zwischen Cork und Glasgow, bis sie 1847 vor der südirischen Küste an einer Klippe zerschellt. Ihrem ehemaligen Kapitän bringt die gelungene Pionierfahrt von 1838 ebenfalls kein Glück: Der anschließend von Roberts gesteuerte B&A-Dampfer „President“ verschwindet im März 1841 mit ihm, 80 weiteren Besatzungsmitgliedern und 28 Passagieren an Bord spurlos auf dem Nordatlantik.

Der rätselhafte Untergang der „President“ bleibt nicht das einzige größere Schiffsunglück jener Epoche. Inwieweit entsprechende Meldungen in den Dörfern des Großherzogtums Oldenburg diskutiert geschweige denn überhaupt registriert werden, lässt sich nur vermuten. In Hurrel zumindest dürfte Anfang der 1840er Jahre kaum absehbar sein, dass diverse Bewohner in den folgenden Jahrzehnten als Nordamerika-Auswanderer via Segler oder Dampfschiff ihrer Heimat den Rücken kehren werden – ebenso wenig, dass mit Johann und Bernhard Tönjes gleich zwei Mitglieder aus Johann Heinrichs Familie in vorderster Front dabei sind. Bevor es soweit ist, besucht Johann Heinrich jedoch gemeinsam mit den beiden 1840 und 1843 geborenen Brüdern die Volkschule im benachbarten Lintel. Zu seinen in etwa gleichalten Mitschülern gehören unter anderem Hermann Barkemeyer, Röbe Haverkamp, Gerhard Hinrich Stolle und Diedrich Wübbenhorst.

Von Johann Heinrichs neun Geschwistern sterben zwei noch im Kleinkind-Alter: Hermann (Juli 1854) und Anna Sophia Catharina (September 1855). Die jüngste, im Juli 1861 geborene Schwester Sophie wiederum lernt ihren Vater nicht mehr kennen: Hinrich Tönjes stirbt knapp fünf Monate zuvor im Alter von 52 Jahren, ohne dass das Kirchenbuch der Gemeinde Hude eine Todesursache nennt. Ob Johann Heinrich – beim Tod des Vaters 22 Jahre alt – beide Ereignisse noch auf dem elterlichen Hof miterlebt oder bereits andernorts in Stellung ist, liegt heute im Dunkeln. Ebenso, ob Johann und Bernhard Tönjes 1861 schon in den USA leben oder nicht. Chancen auf eine Übernahme dürfte sich aber schon vorher keiner der drei Älteren ausgerechnet haben, denn gemäß Jüngstenrecht steht der Hof dem 1849 geborenen Bruder Hinrich Junior zu.

Für das folgende Jahrzehnt sind aus Johann Heinrichs Leben keinerlei Hinweise überliefert, die auf seinen Aufenthaltsort oder seine Beschäftigung schließen lassen. Irgendwann im Frühjahr 1873 erhält er dann mit den in der Heimat verbliebenen Familienmitgliedern von Bruder Bernhard die traurige Nachricht, dass Johann Tönjes an Pocken erkrankt und in einem Hospital in Chicago verstorben ist. Möglicherweise lebt Johann Heinrich zu diesem Zeitpunkt bereits in Lintel, denn im Dezember desselben Jahres heiratet er die dort ansässige Witwe Marie Gesine Haverkamp. Seine künftige Ehefrau lebt mit fünf zwischen 1861 und 1868 geborenen Kindern auf dem Hof ihres 1869 verstorbenen Ehemanns Heinrich Haverkamp (heute: Ralf und Jannik Haverkamp).

Der etwas außerhalb des Dorfkerns gelegene Haverkamp-Hof gehört zu den ältesten Siedlungsplätzen Lintels, seine Bebauung reicht bis in die Römische Kaiserzeit zurück. Seit rund 400 Jahren ist er in Besitz jener Familie, deren jüngster männlicher Spross Johann Heinrichs Stiefsohn Georg ist. Dieser ist als Grunderbe gesetzt – ungeachtet der Tatsache, dass Johann Heinrich und Marie Gesine in den folgenden Jahren mit Carl Heinrich (November 1875) und Gustav Heinrich (April 1878) zwei Söhne bekommen. Beiden ist jedoch kein sonderlich langes Leben beschieden: Carl Heinrich stirbt im August 1876, Gustav Heinrich im Januar 1882.

Johann Heinrich und Marie Gesine bewirtschaften den Haverkamp-Hof bis zu Georgs Hochzeit mit Metta Tönjes aus Bergedorf im Mai 1892. Danach kaufen sie eine kleine Landstelle an der Parkstraße in Hude. Das Jahr 1892 hat für Johann Heinrich noch aus einem anderen Grund eine besondere Bedeutung: Im Januar ist in Hurrel Mutter Anna Tönjes gestorben. An der am 14. Februar 1893 auf dem elterlichen Hof vorgenommenen Aufteilung des Erbvermögens unter den Geschwistern nimmt er nicht nur in eigener Sache, sondern auch als Generalbevollmächtigter seines in Chicago lebenden Bruders Bernhard teil. Sehr wahrscheinlich ist Johann Heinrich da bereits bewusst, dass ihm selbst aufgrund einer schon weit fortgeschrittenen Darmkrebs-Erkrankung nur noch eine kurze Lebensspanne zur Verfügung bleibt.

Johann Heinrich stirbt am 29. April 1893 – zwölf Tage nach seinem 55. Geburtstag und exakt an jenem Tag, an dem seine jüngste Schwester Sophie in Bremerhaven zusammen mit ihrem Verlobten Heinrich Wilkens und 1.234 anderen Passagieren das Auswanderer-Schiff „H.H. Meier“ betritt und Deutschland als drittes Familienmitglied Richtung USA verlässt. Beerdigt ist er vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.