Gesine Adeline Mindermann wird am 7. April 1905 als siebtes Kind von Johann Friedrich Wachtendorf und Metta Wachtendorf auf dem elterlichen Hof in Lintel geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Hinrich Wachtendorf, Anna Borgmann, Clara Osterthun, Hermann Wachtendorf, Gerhard Wachtendorf und Johann Wachtendorf.
Drei Tage vor Gesines Geburt erschüttert ein Erdbeben die Punjab-Region in Britisch-Indien. Am stärksten betroffen ist das Kangra-Tal, die Ortschaften Kangra, Dharamsala und zahlreiche kleinere Dörfer werden nahezu vollständig zerstört. Schätzungen zufolge kommen dabei knapp 20.000 Menschen ums Leben. Eine humanitäre Katastrophe – aber beileibe nicht die einzige, die das „Kronjuwel des britischen Empire“ in jenem Frühjahr heimsucht: An verschiedenen Brennpunkten Indiens tobt die Beulenpest, seit Jahresbeginn hat die Seuche bereits mehr als 400.000 Opfer gefordert.
Eine eindringliche Warnung, dass der seit dem Mittelalter gefürchtete „Schwarze Tod“ keinesfalls besiegt ist. Auch in Europa nicht: Nur knapp etwa entgeht Großbritannien, wo ein indischer Matrose das Virus 1896 einzuschleppen drohte, an der Schwelle zum 20. Jahrhundert einer größeren Epidemie. Lokale Ausbrüche gibt es in jenen Jahren unter anderem in Porto und in Glasgow.
Das 1871 gegründete Deutsche Reich bleibt von der Pest glücklicherweise verschont. Dafür verbreitet sich hierzulande Anfang 1905 mit der epidemischen Genickstarre eine andere, häufig tödlich verlaufende Infektionskrankheit aus. In der besonders stark betroffenen Provinz Oberschlesien stecken sich amtlichen Angaben zufolge bis Ende März mehr als 1.000 Menschen an, knapp 600 von ihnen sterben. Auch in Mecklenburg und der Nachbar-Provinz Österreich-Schlesien häufen sich die Krankheitsfälle.
Abgesehen von der seit Jahrzehnten grassierenden Tuberkulose ist das Großherzogtum Oldenburg, zu dem Lintel gehört, im Frühjahr 1905 weitgehend seuchenfrei. Gleichwohl hängt Gesines neugeborenes Leben schon bald an einem seidenen Faden. Noch während Mutter Metta mit ihr im Kindbett liegt, bricht nämlich auf dem Wachtendorf-Hof ein Feuer aus, das laut Überlieferung ihres Neffen Heinrich Osterthun in der Scheune kampierende Landstreicher oder Wandergesellen unachtsam in Gang setzen. Gesines Vater ist an jenem Morgen Richtung Hude unterwegs, um auf dem Gemeindebüro den Nachwuchs anzuzeigen, und kann nicht helfen. Den von Heinrich Osterthun hinterlassenen Aufzeichnungen zufolge gelingt es jedoch dem just in jenem Moment vorbeikommenden Briefträger, Frau und Kind gerade noch rechtzeitig vor den Flammen in Sicherheit zu bringen.
Nach dem Brand bauen Gesines Eltern den 1825 begründeten Hof einige hundert Meter weiter südwestlich Richtung Lindhorn wieder auf. Dort verbringt Gesine ihre Kinder- und Jugendjahre und besucht vermutlich ab 1911 wie schon ihre älteren Geschwister die knapp zwei Kilometer entfernt gelegene Volksschule in Lintel. Inwieweit dabei der drei Jahre später ausbrechende Erste Weltkrieg – an dem Vater Johann Friedrich und der älteste Bruder Hinrich als Soldat teilnehmen – den täglichen Schulbetrieb beeinflusst, ist nicht überliefert.
Nach dem Schulabschluss geht Gesine in einem Huder Haushalt an der Parkstraße in Stellung. Als ihre Mutter nach einem Schlaganfall zum Pflegefall wird, kehrt sie jedoch wieder auf den elterlichen Hof zurück. Bald darauf lernt sie Heinrich Mindermann kennen, der auf einem von seiner Schwester Katharine Schnakenberg und ihrem Ehemann Klaus gepachteten Betrieb an der Hurreler Straße arbeitet, dem „Huder Grashaus“.
Gesine und Heinrich heiraten im Mai 1928 und ziehen zu Gesines Eltern auf einen kleinen Hof in Hurrel, den ihr Vater im Jahr zuvor nach der Übergabe des Haupthofes an seinen jüngsten Sohn Johann von Dietrich Schütte gekauft hat (heute: Egon Wachtendorf und Elke Brumund). Während Heinrich sich mit seinem Schwiegervater um den zügig von zwei auf acht Hektar vergrößerten Betrieb kümmert, übernimmt Gesine die Pflege ihrer ans Bett gefesselten Mutter.
Die Ankunft der Zwillinge Gisela und Anneliese am 24. August 1930 ändert alle weiteren Zukunftspläne. Bei der um vier Wochen zu frühen Geburt im Städtischen Klinikum in Delmenhorst fügen die Ärzte Gesine irreparable Schäden an der Hüfte zu, darüber hinaus erleidet sie einen lebensbedrohlichen Blutsturz. Erst sechs Wochen nach der Niederkunft kann sie das Krankenhaus verlassen, bleibt aber auf Dauer gehbehindert. Letzteres gibt den Ausschlag, dass Gesine und Heinrich zugunsten von Gesines Bruder Gerhard auf die Übernahme des Hofes verzichten und Anfang 1932 mit den beiden Töchtern zunächst nach Vielstedt ziehen und im Jahr darauf in eine Mietwohnung des Optiker- und Uhrmachermeisters Heinrich Essmann in Hude (heute: Rose Optik).
Während sich Gesine um die Kinder kümmert, arbeitet Heinrich wieder auf dem Hof seiner Schwester. Schon 1934 – ein Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten – wechselt er zur Reichsbahn und bedient dort ab 1935 auf den Bahnhöfen von Bookholzberg und Schierbrok die Schranken. Damit verbunden ist für die Familie der Umzug in eine Eisenbahner-Wohnung in Kamern. Eine unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 begonnene Ausbildung als Zugführer bewahrt Heinrich zunächst vor einer Einberufung, die ihn aber im Herbst 1944 doch noch ereilt. Danach müssen Gesine, Gisela und Anneliese drei Jahre ohne Ehemann beziehungsweise Vater auskommen: Erst 1947 kehrt Heinrich aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.
Da Heinrich gleich wieder bei der Bahn unterkommt und 1948 sogar Beamter wird, gehören für seine Familie die gröbsten Existenzsorgen bald der Vergangenheit an. Gesundheitlich hilft dies Gesine allerdings nicht auf die Beine. Im Gegenteil, ihr Zustand verschlechtert sich ab 1949 rapide: Zu den Gehbeschwerden gesellen sich eine Gelbsucht, ein erneuter Blutsturz und schließlich Anfang 1951 die Diagnose Krebs. Dieser lässt sich angesichts der latenten Blutarmut nur eingeschränkt behandeln, Aussicht auf Heilung besteht deshalb kaum. So erlebt Gesine nach der Geburt des ersten Enkelkindes Rolf im November 1949 zwar auch noch die Ankunft der Enkeltöchter Ingrid (März 1952) und Gunda (Oktober 1953), stirbt aber am 25. April 1955 nur wenige Wochen nach ihrem 50. Geburtstag. Beerdigt ist sie vier Tage später auf dem Friedhof der Auferstehungskirche in Bookholzberg.