Persönliche Erinnerungen an Frieda Barkemeyer

… von Irmgard Wachtendorf

Aufgezeichnet im Oktober 2015

Frieda Barkemeyer war meine Großmutter mütterlicherseits. Von meinem 15. Lebensjahr an habe ich ziemlich genau 20 Jahre mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, bis zu ihrem Tod im Oktober 1973. Hinzu kommen noch rund neun Monate nach meiner Geburt im Juli 1938, aber daran habe ich natürlich keine Erinnerung. Trotzdem möchte ich meinen Bericht mit diesem Zeitraum beginnen.

Der Herbst 1938 – sie stand damals kurz vor ihrem 55. Geburtstag – war für meine Großmutter keine einfache Zeit. Mein Vater Benno, der mit meiner Mutter Henny den Barkemeyer-Hof hätte übernehmen sollen, war auf den Hof seiner Eltern zurückgekehrt; ein anderer Erbe nicht in Sicht. Hinzu kam die Sorge um die Zukunft ihres Sohnes Karl. Das alles schlug ihr aufs Gemüt und machte zeitweise sogar einen Aufenthalt im Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg erforderlich. Dort hat sie in der Nacht vom 9. auf den 10. November aus nächster Nähe mitbekommen, wie die Oldenburger Synagoge in Flammen aufging und am nächsten Morgen die gefangen genommenen Juden durch die Innenstadt zum Gefängnis getrieben wurden. Von dieser Episode hat sie später oft erzählt.

Auch andere Erinnerungen, die meine Großmutter nach meinem Umzug nach Hurrel 1953 an langen Winterabenden weitergegeben hat, hatten eher einen traurigen Hintergrund. So hat sie oft erzählt, dass sie als junge Frau viele Monate lang in Schwarz herumlaufen musste. Das war damals nach dem Tod eines nahen Verwandten üblich, und sie hatte kurz hintereinander ihren Vater, ihren jüngeren Bruder Georg und ihre Großmutter verloren. Auch der Tod des älteren Bruders Heinrich ausgerechnet am Hochzeitstag ihrer Tochter Erna war in diesem Zusammenhang häufig ein Thema, ebenso die an Tuberkulose verstorbenen Kinder ihrer Mutter aus erster Ehe. Dass Heinrich noch einen nur sechs Monate alt gewordenen Zwillingsbruder hatte, hat sie dagegen nie erwähnt – vermutlich war das ihr und den anderen Geschwistern gar nicht bekannt.

Es gab am Herdfeuer aber auch die eine oder andere amüsante Anekdote zu hören. Zum Beispiel jene, in der meine Großmutter und ihre Schwester Gesine eines schönen Sommertags von Heinrich den Auftrag bekamen, auf einem Feld in der Nähe von Altmoorhausen Heu zu wenden. Sie mühten sich stundenlang ab und bekamen dann von ihrem Bruder, der kurz nach dem Rechten sah, zu hören, dass das so noch nicht reiche und sie das ganze Heu noch einmal wenden müssten. Doch die beiden dachten gar nicht daran und genossen stattdessen lieber die Sonne. Als Heinrich abends ein zweites Mal zur Kontrolle kam, war er zufrieden und sagte nur: „Na also, das sieht doch schon viel besser aus.“

Eine weitere, immer wieder gern erzählte Geschichte handelte von einer Fahrradfahrt nach Hude, die meine Großmutter unternahm, um dort eine neue Schürze zu kaufen. Es war Herbst 1923, die Zeit der Hyperinflation. Als Frieda in Hude ankam, waren die Preise bereits soweit gestiegen, dass sie sich das Gewünschte nicht mehr leisten konnte und mit leeren Händen den Heimweg antreten musste. Während der Fahrt sah sie dann, wie an der Hurreler Straße das Dach eines neuen Hauses gedeckt wurde – das Haus meiner späteren Schwiegereltern, Gerhard und Martha Wachtendorf.

Anders als mein Großvater Georg ging Frieda gerne aus und genoss es, entsprechend angezogen zu sein – vielleicht eine Folge der Trauerkleider-Episode in ihrer Jugendzeit. Ein ganz klein wenig eitel war sie auch: So konnte sie sich partout nicht damit abfinden, dass ihre Augen im Alter keine Brille mehr brauchten. Sie redete so lange auf mich ein, bis ich mit ihr zum Optiker nach Oldenburg fuhr, der ihr dann ein Gestell mit Fensterglas verkaufte. Bevor wir nach Hause zurückkehrten, tranken wir noch einen Kaffee in der Innenstadt – in einem Lokal, in dem sie während ihrer Dienstmädchen-Zeit offenbar regelmäßig verkehrt hatte. Obwohl dieser Abschnitt ihres Lebens über 70 Jahre zurücklag, konnte sie sich genau an einzelne Details der damaligen Einrichtung erinnern.

Sehr wichtig in den letzten Jahren ihres Lebens waren ihr die regelmäßigen Treffen mit den Schwestern Gesine und Martha, die abwechselnd bei ihr und bei Martha in Kirchhatten stattfanden. Auf einer der letzten Fahrten dorthin – im Juli 1973, Gesine war zu diesem Zeitpunkt schon verstorben – hatten wir auf dem Pohlweg einen Autounfall, bei dem sie sich die Schulter verrenkte. Ihr Ende beschleunigt hat das allerdings nicht: Kurz vor ihrem 90. Geburtstag waren Körper und Geist ganz einfach müde geworden.