Erwin Schnell – Biographie

Erwin Wilhelm Schnell wird am 17. Mai 1923 als erstes Kind von Arthur Schnell und Frieda Schnell in Deichshausen bei Lemwerder im Landkreis Wesermarsch geboren. Er ist der ältere Bruder von Helmuth Schnell.

Im Mai 1923 bewegt vor allem ein Thema die 1918 nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg gegründete Weimarer Republik: die Anfang des Jahres vollzogene Besetzung des Ruhrgebiets durch belgische und französische Truppen. Mit dieser Aktion wollen die einstigen Kriegsgegner die pünktliche Zahlung der im Versailler Vertrag vereinbarten Reparationen erzwingen. Die von Reichskanzler Wilhelm Cuno geführte deutsche Regierung reagiert mit scharfem Protest und ruft zum passiven Widerstand auf – kann aber nicht verhindern, dass große Mengen der laufenden Bergbau-Produktion in die Nachbarländer abtransportiert werden. Anfang Mai sind es bereits 12.500 Tonnen Kohle und Koks pro Tag. In der Nacht auf den 15. Mai 1923 besetzen französische Truppen auch das Fabrikgelände von BASF in Ludwigshafen und die Hoechster Farbwerke.

Am 19. Mai unternehmen bewaffnete Separatisten, die für eine autonome Rheinische Republik kämpfen, in Trier einen Putschversuch. Der Umsturz scheitert zwar am Widerstand der Bevölkerung und der deutschen Polizei, doch zur Ruhe kommt die Region das ganze Jahr über nicht: Im Oktober etwa setzen Separatistengruppen in Aachen und Duisburg die örtliche Verwaltung ab und hissen die grün-weiß-rote Flagge der von ihnen angestrebten Republik – letztlich jedoch ohne weiterreichende politische Folgen. In München wiederum kommt es am 8. November unter Führung des NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler zum blutig niedergeschlagenen Bürgerbräu-Putsch. Begleitet werden die Ereignisse jenes Herbstes von der galoppierenden Inflation: Ein Liter Vollmilch kostet Mitte November 280 Milliarden Mark, ein Kilogramm Roggenbrot 470 Milliarden Mark. Erst mit Einführung der Rentenmark stabilisieren sich ab Anfang 1924 die Verhältnisse.

Von all dem bekommt Erwin selbstverständlich nichts mit. Vermutlich wird er auch an sein Heimatdorf in der Wesermarsch keine konkreten Erinnerungen haben. Kurz nach der Geburt des jüngeren Bruders Helmuth im August 1924 siedelt die Familie nämlich nach Hemmelsberg über, wo Vater Arthur einen kleinen Bauernhof gekauft hat (heutiger Besitzer: Stefan Beckemeyer). Im damals noch Neu-Moorhausen genannten Nachbardorf von Hurrel wächst Erwin auf und besucht dort acht Jahre lang die Volksschule. Mitten in diese Zeit fällt im Januar 1933 die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler – als Erwin die Schule verlässt, hat der einstige Putschist die im Laufe der Weltwirtschaftskrise erneut ins Trudeln geratene Republik längst in eine menschenverachtende und unverhohlen mit Krieg drohende Diktatur umgewandelt.

Den Einmarsch in Polen, der Anfang September 1939 den Zweiten Weltkrieg auslöst, erlebt Erwin als 16-jähriger Landwirtschaftslehrling. Wann er selbst in den Krieg hineingezogen wird, ist in der Familie nicht mehr bekannt. Sehr wahrscheinlich erhält er jedoch bereits vor dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 einen Stellungsbefehl. Wenig später lernt er auf einer seiner Radtouren von Hemmelsberg in die in Delmenhorst gelegene Ausbildungskaserne seine künftige Ehefrau Sophie Mönnich aus Hurrel kennen. Viel Zeit, Zukunftspläne zu schmieden, bleibt den beiden freilich zunächst nicht: Schon bald nach ihrer ersten Begegnung wird Erwin an die Ostfront versetzt.

Was er in den Weiten Russlands in den folgenden Jahren sieht und erlebt, liegt heute weitgehend im Dunkeln. Erwin übersteht zwar den Krieg, spricht aber später wie die meisten Heimkehrer kaum darüber. Eine der wenigen innerhalb der Familie überlieferten Erzählungen handelt von der überraschenden Begegnung mit einem einzelnen Rotarmisten, die für beide Seiten glimpflich verläuft: Erwin und sein Gegenüber flüchten in verschiedene Richtungen, ohne auch nur einen Schuss aufeinander abgegeben zu haben.

Die im Hungerwinter 1946/47 gipfelnde Not der ersten Nachkriegsjahre verhindert eine schnelle Hochzeit mit Sophie. Erst am 30. Mai 1947 treten beide in Hude vor den Traualtar. Da Sophie als jüngste Tochter eines Tages den von ihren Eltern Johann und Anna Mönnich geführten Hof erben wird, zieht Erwin unmittelbar nach der Trauung nach Hurrel – bewirtschaftet aber gleichzeitig auch den elterlichen Hof in Hemmelsberg weiter. Zusammengenommen haben beide Betriebe eine Fläche von 32 Hektar, was für damalige Verhältnisse recht komfortabel ist.

Dem Bau einer Scheune auf dem Mönnich-Hof 1952 folgen familiäre Veränderungen: Erwins Mutter Frieda stirbt im Januar 1954 nach längerer Krankheit, auch Vater Arthur zieht nun nach Hurrel. Da Erwin und Sophie die Hoffnung auf eigenen Nachwuchs aufgegeben haben, adoptieren sie zudem im Sommer 1954 den sechs Monate alten Säugling Werner Kayser, der seit dem Tod seiner Mutter in einem Kinderheim in Oldenburg lebt.

Bereits seit der Wiedereröffnung im April 1950 ist Erwin im Schützenverein Hurrel aktiv und bekleidet dort unter anderem das Amt des zweiten Schießwarts. Im Juli 1956 erringt er zum ersten Mal die Königswürde. Zwei weitere Königstitel folgen in den Jahren 1959 und 1963. Zwischen 1963 und 1973 amtiert er zudem als zweiter Vorsitzender des Vereins. Auch in den benachbarten Schützenvereinen von Altmoorhausen-Hemmelsberg und Sandersfeld ist Erwin in jenen Jahren aktiv.

Zu einer Lebensaufgabe entwickelt sich für Erwin die ehrenamtliche Arbeit im Reichsbund (heute: Sozialverband Deutschland). Dort wird er bereits in den 50er Jahren Mitglied. Im Januar 1964 wählt ihn die Ortsgruppe Hude zum zweiten Vorsitzenden – ein Amt, das er fast 20 Jahre lang ausfüllt. Im März 1966 übernimmt Erwin darüber hinaus für einige Jahre die Leitung des übergeordneten Ortsgruppenverbandes Oldenburg-Land. Zuhause auf dem durch mehrere Landkäufe noch einmal um rund 10 Hektar gewachsenen Hof halten ihm derweil Sophie, Schwiegermutter Anna und – nach seiner Hochzeit mit Christa Einemann im Mai 1972 – Sohn Werner den Rücken frei. Vater Arthur ist 1964 gestorben, Schwiegervater Johann 1968.

Schon bald nach ihrer 1972 zeitgleich mit Werners und Christas Hochzeit gefeierten Silberhochzeit entfremden sich Erwin und Sophie zunehmend voneinander. Als der aus Hannover stammende Bauingenieur Marius Eriksen 1976 sein Büro nach Oldenburg verlegt und Mitarbeiter sucht, bewirbt sich Erwin auf einen ausgeschriebenen Posten in der Hausverwaltung – und kommt fortan fast nur noch an den Wochenenden nach Hause. Auch aus der Hurreler Dorfgemeinschaft zieht er sich in dieser Zeit mehr und mehr zurück.

Im Januar 1986 stirbt Sophie nach kurzer, aber schwerer Krankheit. Die daraus erwachsenden Erbauseinandersetzungen mit Sohn Werner, die letzterer für sich entscheidet, machen beiden gesundheitlich zu schaffen. Anfang der 90er Jahre muss sich Erwin, durch einen bereits in jungen Jahren erlittenen Herzinfarkt vorbelastet, einer Bypass-Operation unterziehen. Die letzten Lebensjahre, in denen sich das zeitweise sehr angespannte Verhältnis zur Familie wieder normalisiert, verbringt Erwin mit seiner neuen Lebensgefährtin Olga Fechner in Oldenburg. Er stirbt am 20. September 1999 nach einem kurzen Pflegeheim-Aufenthalt in Ganderkesee an Altersschwäche und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.