Erich Hohlen – Biographie

Erich Wilhelm Johann Karl Hohlen wird am 31. Juli 1912 als viertes Kind von Wilhelm Hohlen und Johanne Hohlen auf dem elterlichen Pachthof in Delfshausen geboren. Er ist der jüngere Bruder von Martha Kleinschmidt, Johann Hohlen und Alma Heinemann und der ältere Bruder von Heino Hohlen.

Einen Tag vor Erichs Geburt stirbt in der japanischen Hauptstadt Tokio Kaiser Mutsuhito, der 122. Tennō des Landes. Er hat Japan 45 Jahre lang regiert und dabei Schritt für Schritt in die Moderne geführt. So empfing Mutsuhito 1868 mit dem niederländischen Diplomaten Dirk de Graeff van Polsbroek den ersten europäischen Gesandten an seinem Hof und ebnete Japan 1890 den Weg zur konstitutionellen Monarchie. In seine Amtszeit fallen weitreichende Verwaltungsreformen sowie die Einführung eines nach deutschem Vorbild modellierten Zivilrechts. Unter Mutsuhito steigt Japan auch zur Industrie- und Seemacht auf: Es gründen sich einige noch heute tätige Großkonzerne wie Hitachi, Mitsui, NEC oder Suzuki, und mit dem Sieg im Russisch-Japanischen Krieg und der Annexion Koreas etabliert sich Japan als politischer Machtfaktor im Fernen Osten.

Mutsuhitos Sohn Yoshihito, der noch am selben Tag den Thron besteigt, setzt den pro-westlichen Kurs seines Vaters fort. Die einige Jahrzehnte zuvor noch sehr guten Beziehungen zum Deutschen Reich sind zu diesem Zeitpunkt aber bereits ausgesprochen frostig – was zu einem guten Teil auf Kaiser Wilhelm II. und dessen Warnungen vor einer „gelben Gefahr“ zurückgeht, die den „zivilisierten Völkern“ Europas mit dem Erstarken Japans drohe. In China, wo Deutschland 1898 im Süden der Shandong-Halbinsel das Schutzgebiet Kiautschou errichtet, prallen die kolonialen Interessen der beiden Großmächte zudem seit der Jahrhundertwende direkt aufeinander.

Diese Konstellation und Wilhelms offen zur Schau gestellte Geringschätzung alles Fernöstlichen tragen mutmaßlich dazu bei, dass Japan sich im unmittelbar nach Erichs zweitem Geburtstag ausbrechenden Ersten Weltkrieg auf die Seite Großbritanniens, Frankreichs und Russlands schlägt und Deutschland am 23. August 1914 den Krieg erklärt. Unmittelbar darauf beginnt die Belagerung Kiautschous, bei der 3.000 Soldaten der Kaiserlichen Marine 50.000 Japanern und Briten gegenüberstehen. Obwohl Wilhelm seinen Männern äußersten Widerstand befiehlt, muss der deutsche Gouverneur Alfred Meyer-Waldeck die Kolonie den Angreifern am 7. November 1914 übergeben. Kurz zuvor waren schon die Marshall-Inseln und weitere unter deutscher Vorherrschaft stehende Gebiete wie der Karolinen-Archipel, die Marianen und die Palau-Inseln an Japan gefallen.

In der deutschen Heimat stehen im Herbst 1914 weniger diese Verluste im öffentlichen Interesse als die Truppenbewegungen an der West– und Ostfront. Dort bestimmen der rasch in einem Grabenkrieg feststeckende Vormarsch in Nordfrankreich und die Befreiung Ostpreußens nach der Schlacht bei Tannenberg die Schlagzeilen. Ob Erichs Vater – damals 35 Jahre alt – als Soldat am Kriegsgeschehen teilnimmt, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Eben so wenig, ob Erich schon im Frühjahr 1918 oder erst ein Jahr später in die örtliche Volksschule eingeschult wird. Zwischen diesen beiden Datenpunkten liegt der Anfang November 1918 geschlossene Waffenstillstand von Compiègne, dem die Abdankung Kaiser Wilhelms und die Ausrufung der Weimarer Republik folgen.

Ebenfalls im Dunkeln liegt heute, wie Erichs Familie, zu der von September 1922 an auch Marthas unehelich geborener Sohn Ferdinand gehört, die von politischen Unruhen und Hyperinflation geprägten Anfangsjahre der Republik erlebt. Zwar bessert sich Anfang 1924 mit Einführung der Rentenmark die wirtschaftliche Lage. Vom Aufschwung der vor allem Großstädter elektrisierenden „Goldenen Zwanziger“ kommt jedoch auf dem Pachthof seiner Eltern nur wenig an. Wer dagegen regelmäßig vorbei schaut, ist die nahegelegene Jade, die immer mal wieder über ihre Ufer tritt und die Ernte beeinträchtigt. Deshalb beschließt Vater Wilhelm 1927, die Pacht zu beenden. Überliefert aus jener Zeit ist, dass Erich und seine Geschwister wegen des Hochwassers im Winter des Öfteren mit Schlittschuhen direkt von der Diele des Hohlen-Hofes bis vor den Eingang der Volksschule fahren können, ohne zwischendurch einen Fuß auf die Erde setzen zu müssen.

Auf der Suche nach einem neuen Wirkungskreis wird die Familie rund 30 Kilometer südöstlich von Delfshausen fündig. In Hurrel hält Heinrich Ahrens nach einem Pächter für seinen 1911 von Vater Hermann übernommenen Hof (heute: Rolf Ahrens und Sonja Kosmann) Ausschau. Die Chemie zwischen Verpächter und Pächtern scheint zu stimmen, es kommt ein längerfristiger Vertrag zustande. Heinrich Ahrens zieht sich derweil mit Ehefrau Anna in ein neuerrichtetes Altenteiler-Haus (heute: Erika und Gerhard Ahrens) zurück.

Bei der Ankunft in Hurrel ist Erich 14 oder 15 Jahre alt, hat die Schule also bereits abgeschlossen. Somit arbeitet er vom ersten Tag an eng mit seinen Eltern und der vier Jahre älteren Schwester Alma auf dem Hof zusammen. Letztere findet schnell Anschluss an ihre Altersgruppe im Dorf und heiratet nur etwas mehr als ein Jahr nach dem Umzug Friedrich Heinemann, dessen verwitwete Mutter Anna ein Altenteiler-Haus am Voßbarg (heute: Gerd und Erika Heinemann) bewohnt. Eine Hochzeit, die den Grundstein für eine weitere Verbindung in der engeren Verwandtschaft legt: Friedrichs jüngerer Bruder Diedrich lernt im Laufe der Feierlichkeiten Erichs aus der Nähe von Rodenkirchen stammende Kusine Frieda Müller kennen. Beide werden ein Paar und heiraten im Dezember 1934.

Henny Albers, Erna Barkemeyer, Henny Barkemeyer, Anni Bleckwehl, Martha Heinemann, Erna Lange, Johanne Mönning, Johanne Stöver, Adele Stolle, Henny Wilkens, Anna Witte – an jungen Mädchen im heiratsfähigen Alter herrscht Anfang und Mitte der 1930er Jahre in Hurrel kein Mangel. An Kontaktmöglichkeiten auch nicht. Zumindest nicht für Erich, kommt er in seiner zwischenzeitlich angenommenen Stellung als Milch-Fuhrmann doch täglich auf viele Höfe beziehungsweise an vielen Sammelstellen vorbei. Diejenige, deren Herz er letztlich erobert, ist aber wie Erich selbst eine Zugereiste: Frieda Harms aus Ofenerdiek, die zu jener Zeit als Magd auf dem Hof von Johann Heinemann arbeitet (heute: Günter und Renate Heinemann).

Erich und Frieda heiraten am 16. Dezember 1939. Ein Datum, das sie sich nicht unbedingt selbst ausgesucht haben: Frieda ist im siebten Monat schwanger, und Erich muss jederzeit damit rechnen, in den seit September 1939 tobenden Zweiten Weltkrieg hineingezogen zu werden. Anders als 25 Jahre zuvor der Erste Weltkrieg hat sich dieser Konflikt lange vor dem ersten Schuss abgezeichnet – arbeiten doch die seit 1933 regierenden Nationalsozialisten quasi vom Tag ihrer Machtübernahme an ebenso konsequent wie skrupellos daran, die von ihrem Führer Adolf Hitler in seiner Programmschrift „Mein Kampf“ formulierten Ziele wie die „Entmachtung des Weltjudentums“ oder die „Gewinnung neuen Lebensraumes im Osten“ mit Gewalt in die Tat umzusetzen.

Nach der Geburt von Tochter Helga im Februar 1940 bleibt Erich noch ein wenig Zeit mit der Familie – vermutlich, weil Bruder Heino inzwischen der Wehrmacht angehört und er selbst als Milch-Fuhrmann als unabkömmlich gilt. Im Sommer 1941 wird er dann zur Kriegsmarine eingezogen und zunächst im besetzten Norwegen stationiert. Frieda zieht derweil mit Helga in eine im Oldenburger Stadtteil Ofenerdiek gelegene Mietwohnung, so dass Erich in seinen meist kurz bemessenen Urlauben nur noch selten auf dem Pachthof der Eltern in Hurrel vorbeischaut. Sehr wahrscheinlich im Zuge des Sturzes des mit Hitler verbündeten italienischen Diktators Benito Mussolini im Juli 1943 und der sich daran anschließenden deutschen Besetzung des Landes verschlägt es Erich nach Italien, wo er im weiteren Kriegsverlauf in alliierte Gefangenschaft gerät. Erst im Frühjahr 1946 kehrt er nach Oldenburg zu Frau und Kind zurück und nimmt vorübergehend seine alte Tätigkeit als Milch-Fuhrmann in Hurrel wieder auf.

Losgelöst vom in ganz Deutschland herrschenden Chaos der Stunde Null ist Oldenburg 1946 eine Stadt im Umbruch. Weitgehend unzerstört geblieben, beherbergt sie diverse Besatzungsbehörden und nimmt neben rund 5.000 „Displaced Persons“ aus ganz Osteuropa mehr als 40.000 Geflüchtete aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten auf. Dadurch wächst das einst eher beschauliche Provinzstädtchen kurzerhand zur Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern heran. Die Wohnungsnot ist enorm, wobei Erich und Frieda noch Glück haben: Sie können zunächst in ihrer Ofenerdieker Unterkunft bleiben und sich bald über weiteren Nachwuchs freuen: Im Februar 1947 kommt Sohn Erich Junior zur Welt.

Zwei Jahre später entsteht auf Initiative des SPD-Ratsherrn Jan Koopmann im Richtung Wiefelstede gelegenen Stadtteil Alexandersfeld ein neues, in erster Linie auf weitgehend mittellose Alt- und Neubürger zugeschnittenes Baugebiet. Mit viel Eigenleistung und Gemeinschaftssinn der späteren Bewohner nimmt dort die aus zunächst 91 Häusern bestehende Koopmann-Siedlung Gestalt an. Später kommen noch einmal 113 Eigenheime hinzu. Erich und Frieda gehören zu den Siedlern der ersten Stunde und beziehen im Dezember 1949 ihr knapp 900 Quadratmeter großes Grundstück an der Dringenburger Straße. Beruflich hat Erich zu dieser Zeit bereits fest in der Baubranche Fuß gefasst. Zunächst ist er bei einer Hochbau-Firma in Etzhorn beschäftigt, ab Mitte der 1950er Jahre dann beim Tiefbau-Spezialisten Heinrich Hecker. Für Hecker arbeitet er unter anderem am Umbau der Oldenburgischen Glashütte mit, später steigt er dort zum Platzmeister auf.

Mit der Geburt von Gerold (April 1954) sowie den Zwillingen Werner und Linda wird Erich bis Oktober 1955 noch dreimal Vater. Das schafft so nicht vorhergesehene Platzprobleme, doch Enge erzeugt bekanntlich Nähe – was letztlich charakteristisch für die gesamte Koopmann-Siedlung ist: Dort wird das Miteinander auch nach Abschluss der Bauarbeiten großgeschrieben, und durch sein schwungvolles Handharmonika-Spiel bereichert Erich in den folgenden Jahren so manches Nachbarschaftsfest. Dasselbe gilt für Familienfeiern. Mit seinen Geschwistern bleibt Erich lebenslang in Kontakt, ebenso mit den 1954 von Hurrel nach Lintel gezogenen Eltern. Sie sterben 1956 und 1958, Vater Wilhelm durch einen tragischen Verkehrsunfall. Zwei weitere innerfamiliäre, viel zu frühe Todesfälle jener Jahre: Im September 1954 stirbt Erichs Schwager Friedrich Heinemann kurz vor seinem 53. Geburtstag, im Februar 1963 dann dessen Sohn Helmut im Alter von nur 33 Jahren.

Zu diesem Zeitpunkt ist Erich schon selbst schwer krank – harte körperliche Arbeit, die Strapazen des Krieges und nicht zuletzt langjähriger starker Tabakkonsum haben ihre Spuren hinterlassen. Erich stirbt am 22. August 1964 an Lymphdrüsenkrebs und wird fünf Tage später auf dem Neuen Friedhof in Oldenburg beerdigt.