Diedrich Düßmann – Biographie

Diedrich Hinrich Düßmann wird am 16. April 1874 als erstes Kind von Johann Christoph Düßmann und Anna Cathrine Düßmann auf dem elterlichen Hof in Sethe bei Ganderkesee geboren. Er ist der um drei Jahre ältere Bruder von Christian Heinrich Düßmann.

In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts tobt im kurz zuvor gegründeten Deutschen Reich der Kulturkampf. Mit zahlreichen, vorwiegend gegen den Katholizismus gerichteten Maßnahmen versucht Reichskanzler Otto von Bismarck, den Einfluss der Kirchen gegenüber dem Staat zurückzudrängen. Dazu gehört unter anderem der 1871 erlassene Kanzelparagraph: Er verbietet es Geistlichen, in ihrem Amt Angelegenheiten des Staates „in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise“ zu erörtern.

Priester, die gegen den Kanzelparagraphen verstoßen, müssen mit empfindlichen Geldbußen und teilweise sogar noch härteren Maßnahmen rechnen. Wenige Wochen vor Diedrichs Geburt wird etwa der Trierer Bischof Matthias Eberhard verhaftet und später zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. In diesem aufgeheizten Klima verübt am 13. Juli 1874 der katholische Handwerker Eduard Kullmann ein Pistolen-Attentat auf Bismarck, verletzt ihn aber nur leicht an der Hand.

Der sich bis 1878 hinziehende Machtkampf betrifft Ganderkesee kaum: Wie in nahezu allen Gemeinden im nördlichen Teil des Großherzogtums Oldenburg ist die Bevölkerung damals fast ausschließlich evangelisch. Dementsprechend wird Diedrich – seit Februar 1882 durch den Tod des nebenbei als Maurer arbeitenden Vaters Halbwaise – im Drei-Kaiser-Jahr 1888 konfirmiert und beendet noch im selben Jahr die Volksschule.

Wohin es Diedrich in den ersten Jahren nach der Schulzeit verschlägt und ob er irgendwo eine Ausbildung absolviert, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren – ebenso wenig, wann und wo er seine künftige Ehefrau Adeline Rüsselmann kennenlernt. Dokumentiert sind dagegen Datum und Ort der Hochzeit: Die beiden heiraten am 27. November 1900 in Ganderkesee. Aus der Ehe gehen drei Töchter hervor: Gesine (Dezember 1901), Adele (Januar 1905) und Bertha (November 1908).

Vermutlich arbeitet Diedrich wie sein Vater schon vor der Hochzeit als Maurer – möglicherweise bereits an seinem späteren Arbeitsplatz, einem Vorläufer der Deutschen Linoleumwerke in Delmenhorst. Dadurch kommt er mit der Sozialdemokratie in Kontakt, in Bismarcks Augen neben dem Katholizismus der zweite innenpolitische Gegner des Kaiserreichs, den es unbedingt kleinzuhalten gilt. Das 1878 zu diesem Zweck verfügte Sozialistengesetz verfehlt allerdings seine Wirkung – sieben Monate, bevor es endgültig ausläuft, kann die SPD-Vorläuferpartei SAP bei den Reichstagswahlen vom 20. Februar 1890 ihren Stimmenanteil auf 19,7 Prozent nahezu verdoppeln. Im Reichstag stellt sie nur deshalb nicht die stärkste Fraktion, weil das geltende Mehrheits-Wahlrecht in aller Regel Stichwahlen erforderlich macht. Dabei einigen sich die bürgerlichen Parteien häufig auf einen gemeinsamen Kandidaten, der dann am Ende das jeweilige Mandat erringt.

Als Diedrich der Partei am 15. April 1900 beitritt, hat sich an dieser Situation noch nichts geändert. Erst bei der Reichstagswahl vom 12. Januar 1912 gelingt es der SPD, an der Zentrumspartei sowie den Nationalliberalen und den Deutschkonservativen vorbeizuziehen. Ob Diedrich in jenen Jahren aktiv an der Parteibasis mitarbeitet und wie er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 zu der die SPD schon bald spaltenden Frage der Kriegskredite steht, liegt heute im Dunkeln – ebenso, ob er selbst in den Konflikt hineingezogen wird. Zwar findet sich in den öffentlich zugänglichen Verlustlisten ein Diedrich Düßmann aus Hengsterholz, der im Frühjahr 1918 leicht verwundet wird. Dabei scheint es sich jedoch um eine andere Person zu handeln, denn das in den Unterlagen genannte Geburtsdatum stimmt nicht überein.

Kriegsteilnehmer oder nicht – Sorgen hat Diedrich in jenen Jahren auch so genug. Ehefrau Adeline erkrankt schwer an der Lunge. Ein Arzt empfiehlt Luftveränderung, weg aus dem Umfeld des Industrie-Standorts Delmenhorst. Diedrich kauft daraufhin 1919 am Nordrand von Hurrel ein sieben Jahre zuvor von Tönjes Hinrich Schwarting errichtetes Wohnhaus (heute: Günter Klintworth) inklusive zwei Hektar Land. Von den drei Töchtern kommt lediglich Bertha mit, die beiden anderen haben den elterlichen Haushalt schon verlassen.

Trotz des Umzugs geht es Adeline in den folgenden Jahren immer schlechter. Sie stirbt im Juli 1923 – mitten in den Wirren der Hyperinflation – im Alter von nur 49 Jahren. Um ihrem Vater und der jüngeren Schwester beizustehen, zieht jetzt auch Tochter Gesine nach Hurrel. Nach deren Heirat mit Diedrich Willenbrock aus Tweelbäke im Oktober 1925 und der Geburt von Diedrichs Enkelin Gisela (Januar 1926) besteht der Haushalt vorübergehend aus fünf Personen. Da Diedrichs Schwiegersohn jedoch zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits bei der Reichsbahn in Wilhelmshaven arbeitet, sucht er dort nach einer eigenen Wohnung und zieht mit seiner Familie noch im Laufe des Jahres 1926 in die Jadestadt.

Nun ist es an der zweitältesten Tochter Adele, den Vater und die jüngere Schwester zu versorgen. Und allmählich füllt sich das Haus wieder: Im März 1931 kommt Adeles aus der Nachbarschaft stammender Ehemann Karl Timmermann hinzu, im Februar 1932 die gemeinsame Tochter Gertrud und im November 1934 Berthas Ehemann Fritz Kreis. Als im September 1935 Gertruds Bruder Dieter geboren wird, sind Bertha und Fritz allerdings bereits nach Lemwerder weitergezogen. Während die Ehe der jüngsten Tochter kinderlos bleibt, wachsen in Wilhelmshaven drei weitere Enkelkinder heran: Helmut (August 1928), Günter (Februar 1932) und Renate (Dezember 1936). Wie Diedrich – im Herzen weiter Sozialdemokrat und damit in den Augen der seit Anfang 1933 regierenden Nationalsozialisten einmal mehr Staatsfeind – in den Jahren des NS-Terrors unbeschadet über die Runden kommt, lässt sich nur vermuten.

Fünf Monate, nachdem Diedrich bei den Deutschen Linoleumwerken in Ruhestand getreten ist, beginnt der Zweite Weltkrieg. Aus dieser Zeit ist die Episode überliefert, dass Diedrich im Frühjahr 1945 sehr besonnen auf die Einnahme Hurrels durch alliierte Truppen reagiert und seine Nachbarn anhält, als Zeichen der Kapitulation weiße Handtücher in die Bäume zu hängen. Sein direkter Nachbar Wilhelm Meyer erinnert sich an ihn als einen Menschen, den er nie unbeherrscht oder missmutig gesehen hat.

Nach dem frühen Tod seines gesundheitlich stark angeschlagen aus dem Weltkrieg nach Hause zurückkehrenden Schwiegersohns Karl Timmermann im August 1949 erlebt Diedrich noch die Geburt der Urenkelinnen Iris (Juni 1952) und Christa (Oktober 1953). Er stirbt am 23. Juni 1954 – gerade 80 Jahre alt geworden – an Altersschwäche und wird wenige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beigesetzt.