Anna Timmermann – Biographie

Anna Meta Timmermann wird am 24. Februar 1908 als erstes Kind von Anna Johanne Osterloh in Pfahlhausen geboren. Über ihren Vater ist nichts weiter bekannt. Aus einer später geschlossenen Ehe ihrer Mutter hat sie mit Herta Meyer, Frieda Huismann und Hans Lösekann noch drei jüngere Halbgeschwister.

Zwei Wochen vor Annas Geburt fällt in New York der Startschuss für die bis heute ambitionierteste Auto-Wettfahrt der Geschichte: Sechs Teams aus drei Ländern sind angetreten, um zunächst mitten im Winter die USA zu durchqueren, dann über Alaska und die zugefrorene Beringstraße den äußersten Punkt Sibiriens zu erreichen und von dort aus schließlich Paris anzusteuern. Ein anno 1908 ebenso übermenschliches wie größenwahnsinniges Projekt – erdacht, um die Akzeptanz für das noch in den Kinderschuhen steckende Verkehrsmittel Automobil zu erhöhen und finanziert unter anderem von Tageszeitungen wie New York Times, Le Matin und B.Z. am Mittag, die sich durch exklusive Berichte eine steigende Auflage erhoffen. Die Route verläuft über weite Strecken mitten durch die Wildnis, denn befestigte Straßen gibt es damals kaum.

Für das Deutsche Reich macht sich ein Wagen der Firma Protos auf den Weg, gelenkt von Hans Koeppen, Ernst Maaß und Hans Knape. Schon vor der Ankunft in San Francisco reduziert sich das Teilnehmerfeld – zwei französische Teams halten den Strapazen nicht stand und scheiden aus. Doch wie die zunächst noch im Rennen verbleibende dritte Mannschaft aus Frankreich und die anderen Konkurrenten aus Italien und den USA kämpft auch Koeppens Team mit den widrigen Witterungsverhältnissen: Nach einem Motor-Defekt in Utah muss er sein Gefährt mit der Eisenbahn bis an den Pazifik transportieren lassen.

Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Pläne für die Weiterfahrt bereits geändert. Anhaltende Schneestürme machen eine Durchquerung Alaskas unmöglich, so dass die vier Wettbewerber mit dem Schiff nach Japan und von dort nach Wladiwostok gebracht werden. Hier bekommt Koeppen neue Mitfahrer und liefert sich mit seinem schärfsten Konkurrenten, dem Amerikaner George Schuster, ein packendes Duell in den sumpfigen Weiten Sibiriens – das er am Ende für sich entscheidet: Über Omsk, Moskau und St. Petersburg erreicht der Protos am 24. Juli 1908 unter großem Jubel der Bevölkerung mit vier Tagen Vorsprung Berlin und am 26. Juli Paris. Für die Nutzung der Eisenbahn belegt die Rennleitung Koeppen jedoch mit einer Zeitstrafe von 15 Tagen und erklärt Schuster zum Sieger.

Mit einiger Sicherheit berichten auch die Zeitungen im Großherzogtum Oldenburg, zu dem Annas Geburtsort Pfahlhausen gehört, groß über das spektakuläre Ereignis. Davon dürfte ihre gerade 22 Jahre alt gewordene Mutter Anna Johanne jedoch wenig mitbekommen: Als unverheiratete Frau mit fünf Monate alter Tochter hat sie im Sommer 1908 gewiss ganz andere Sorgen. Ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen gilt zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch fast überall als schwerer Makel. Der allerdings an gar nicht mal so wenigen Familien haftet: Laut amtlicher Statistik liegt die Quote der unehelich geborenen Kinder in Deutschland kurz vor Gründung des Kaiserreichs 1871 bei 11,7 Prozent, bis 1914 sinkt sie nur leicht auf 9,8 Prozent ab.

Welche ganz konkreten Umstände Anna Johanne Osterloh veranlassen, ihre Tochter einige Jahre nach der Geburt in die Obhut der älteren Schwester Amalie zu geben, ist in der Familie nicht mehr bekannt – ebenso wenig wie der exakte Zeitpunkt der Übergabe. Amalie Osterloh heiratet im April 1911 Friedrich Lange, der in seinem Heimatdorf Hurrel als Stellmacher arbeitet. Dort wächst Anna in einem ehemaligen, 1799 an der Ortstraße erbauten Heuerhaus (heute: Alfred Voigt und Insa Minnemann) auf und erlebt kurz nach ihrer Einschulung in die Volksschule Hurrel den Beginn des Ersten Weltkriegs. Eine später an ihre Tochter Katharine Brinkmann überlieferte Erinnerung aus dieser Zeit ist, dass sie häufig auf dem benachbarten Hof von Heinrich und Mathilde Sparke aushelfen muss und dort meist zum Kartoffelschälen eingeteilt wird.

Nach dem Schulabschluss arbeitet Anna als Dienstmagd in der Bäckerei und Gastwirtschaft von Reinhard Asseln, die dieser von seinem 1923 verstorbenen Schwiegervater Carl Busch übernommen hat (heute: Hajo und Dagmar Mehrings). Der Betrieb ist seit vielen Jahren ein Dreh- und Angelpunkt des dörflichen Lebens, so dass Anna beinahe zwangsläufig eine Reihe neuer Bekanntschaften schließt. Dort lernt sie vermutlich auch ihren späteren Ehemann Johann Timmermann kennen, der in etwa zur selben Zeit wie Anna nach Hurrel gezogen ist und mit seinen Eltern und einigen der insgesamt neun Geschwister auf einem Hof an der Hurreler Straße lebt (heute: Kerstin und Thomas Schwantje).

Anna und Johann heiraten am 22. März 1929. Beide wohnen zunächst auf dem Hof von Johanns Eltern. Knapp elf Monate später bringt Anna in der Landesfrauenklinik in Oldenburg Tochter Katharine zur Welt. Trotz klar geordneter familiärer Verhältnisse hat es Anna in den kommenden Jahren auch als Mutter nicht leicht: Die im Herbst 1929 in den USA begonnene Weltwirtschaftskrise bestimmt bald auch das Leben der Menschen in der Gemeinde Hude – vor allem derjenigen, die wie Anna und Johann keinen eigenen Grund und Boden besitzen. Mit Gelegenheitsarbeiten schlagen sich beide durch die Zeit, wobei Anna nach dem 1931 erfolgten Umzug der Familie in ein von der Gemeindeverwaltung gemietetes Haus am Postweg in Vielstedt von den umliegenden Bauern oft und gern als Erntehelferin angefordert wird.

Erst Mitte der 30er Jahre bessern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse etwas, Johann arbeitet nun – von den Winterpausen abgesehen – regelmäßig auf der Ziegelei Knabe in Kirchkimmen. Spätestens mit dem von den seit 1933 diktatorisch regierenden Nationalsozialisten begonnenen Zweiten Weltkrieg im September 1939 kommen jedoch neue, im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Sorgen hinzu. Zwar wird Johann, der wenige Monate später 40 Jahre alt wird, aufgrund seines Alters zunächst nicht zur Wehrmacht eingezogen. Eine Garantie, dass dies so bleibt, gibt es jedoch nicht, und tatsächlich – im Sommer 1944 erhält Johann seinen Stellungsbefehl. Danach sieht Anna ihren Ehemann nur noch einmal während eines Kurz-Urlaubs wieder, den beide zusammen an der Weser verbringen. Nach seiner Rückkehr an die Ostfront kommt Johann bei den Kämpfen gegen die Rote Armee unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben. Die Stunde Null im Mai 1945 erlebt Anna als Kriegerwitwe.

In den folgenden Jahren lebt Anna mit Tochter Katharine weiter in dem gemieteten Haus am Postweg, in das die Huder Gemeindeverwaltung zwischenzeitlich die fünfköpfige Familie des Ostpreußen-Flüchtlings Gustav Schinkewitz einquartiert. Im September 1953 kommt Katharines Ehemann Heinrich Brinkmann hinzu, der das Haus schließlich Anfang 1956 – wenige Monate nach der Geburt von Annas Enkelin Anke und dem Auszug der Familie Schinkewitz – von der Gemeinde kauft. Der anschließende Um- und Ausbau in den 60er Jahren bringt auch Anna deutlich mehr Platz.

Die über Jahrzehnte hinweg gepflegten Beziehungen zu den umliegenden Nachbarn bleiben auch in den 70er Jahren gut, als Anna das Rentenalter erreicht und dort nicht mehr regelmäßig auf den Höfen mithilft. Geburtstage werden in diesem Kreis genauso zusammen gefeiert wie andere Feste. Daneben engagiert sich Anna in der evangelischen Kirchengemeinde und verbringt so manche Stunde mit ehrenamtlicher Arbeit.

Als Anna 71 Jahre alt ist, erkrankt sie an Krebs. Der Diagnose schließen sich zahlreiche Aufenthalte im Oldenburger Pius-Hospital an, die ihr aber letztlich die Gesundheit nicht zurückbringen können. Sie stirbt am 14. August 1981 und wird fünf Tage später auf dem Friedhof der St. Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.