Anna Runge – Biographie

Anna Catharine Gerhardine Runge wird am 12. März 1884 als erstes Kind von Hermann Lüers und Mathilde Lüers auf einem 1845 von ihrem Großvater Hinrich Lüers gekauften Hof am Barkemeyersweg in Tweelbäke geboren. Sie ist die ältere Schwester von Katharine Dreischmeier, Diedrich Lüers, Rosa Buck, Claire Vèbre, Adele Raschen, Amalie Oldenburg und Martha Wachtendorf.

Eine Woche vor Annas Geburt schließen sich in Berlin die Liberale Vereinigung und die Deutsche Fortschrittspartei zur Deutschen Freisinnigen Partei zusammen. Mit 100 Abgeordneten stellt die neue linksliberale Partei fortan im Reichstag nach dem Zentrum die zweitstärkste Fraktion. Zu ihren führenden Mitgliedern gehören unter anderem der Mediziner Rudolf Virchow, der Publizist Eugen Richter, der Bankier Ludwig Bamberger und der Großgrundbesitzer Franz August Schenk von Stauffenberg.

Wie die beiden Vorgänger-Parteien stehen die Freisinnigen in vielen Fragen in Opposition zur Politik des amtierenden Reichskanzlers Otto von Bismarck. Anders als Bismarck etwa wollen sie die Rolle des Parlaments im Kaiserreich stärken, wobei ihnen die britische Monarchie als Vorbild dient. Große Hoffnungen ruhen deshalb auf Kronprinz Friedrich Wilhelm, der mit der ältesten Tochter der britischen Königin Victoria verheiratet ist und als deutlich liberaler gilt als sein kurz vor dem 87. Geburtstag stehender Vater Wilhelm. Letzterer regiert die seit 1871 vereinten Deutschen „von Gottes Gnaden“ – der vom Volk gewählte Reichstag spielt eher eine Nebenrolle. Tatsächlich scheint der Zeitpunkt für die Bündelung der fortschrittlichen Kräfte im Parlament günstig gewählt: Der Kaiser kränkelt bereits seit längerem, praktisch jeden Tag kann die Macht auf den designierten Nachfolger Friedrich Wilhelm übergehen.

Doch es kommt anders. Wilhelm erholt sich entgegen den allgemeinen Erwartungen noch einmal, und die Reichstagswahl vom 28. Oktober 1884 beschert den Freisinnigen eine herbe Niederlage: Statt mit 100 sind sie fortan mit lediglich 65 Abgeordneten im Reichstag vertreten. Ihr Konfrontationskurs gegen die Politik Bismarcks kommt also beim Wähler ganz offenkundig nicht an. Drei Jahre später verringert sich die Zahl der freisinnigen Mandatsträger sogar auf 32. Schlimmer noch: Als Friedrich Wilhelm im März 1888 als Kaiser Friedrich III. endlich den Thron besteigt, ist er schon schwerkrank und unternimmt nur wenig, um Bismarcks Macht zu brechen. Sein Tod am 15. Juni 1888 beendet dann alle Hoffnungen auf einen Politikwechsel – korrespondiert doch das Herrschaftsverständnis von Friedrich Wilhelms Sohn Wilhelm II. voll und ganz mit dem seines Großvaters.

Als der neue Kaiser am 25. Juni 1888 zum ersten Mal im Reichstag spricht, lebt Anna mit ihren Eltern und den in der Zwischenzeit geborenen Geschwistern Katharine und Diedrich bereits seit drei Jahren in Hurrel. Dort bewirtschaften Hermann und Mathilde Lüers einen heute nicht mehr bestehenden Hof an der Hurreler Straße, der gemäß des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts einmal an Mathildes im Mai 1888 elf Jahre alt gewordenen Bruder Georg Haverkamp fallen wird (Eigentümerin des in unmittelbarer Nähe errichteten Neubaus: Inge Molde). Mit im Haushalt leben Mathildes und Georgs seit 1885 verwitwete Mutter Catharine und deren jüngste Tochter Martha Hermine, möglicherweise auch noch weitere von Mathildes zwischen 1861 und 1880 geborenen Geschwistern.

Nach der Geburt der Töchter Rosa (März 1890) und Clara (Oktober 1891) pachten Annas Eltern im von Hurrel rund 15 Kilometer entfernten Immer einen eigenen Hof. In der zunächst für sie zuständigen Volksschule im Nachbardorf Lintel bleibt Anna deshalb vor dem Umzug wenig Zeit, sich mit annähernd gleichaltrigen Mitschülerinnen wie Frieda Rüdebusch oder Sophie Schwarting anzufreunden. Wie es ihr in Immer in den folgenden Jahren ergeht, darüber ist innerhalb der Familie nur wenig überliefert – als ältestes Kind wird Anna jedoch vermutlich früh in die Bewirtschaftung des elterlichen Hofes eingebunden sein und darüber hinaus des Öfteren Verantwortung für die am neuen Wohnort geborenen Schwestern Adele (August 1893), Amalie (Mai 1895) und Martha (Februar 1897) übernehmen müssen. Sehr wahrscheinlich lebt sie deshalb auch nach Konfirmation und Schulabschluss im Frühjahr 1898 zunächst weiter im elterlichen Haushalt.

Für die ersten Jahre nach der Jahrhundertwende gibt es aus Annas Leben nur eine gesicherte Erkenntnis: Sie wird im Laufe des Sommers 1903 schwanger. Wo, unter welchen Umständen und vor allem von wem, liegt heute im Dunkeln. Ihre gerade erst auf einen etwas kleineren Pachthof nach Kirchkimmen umgezogenen Eltern sind – dem Geist der Zeit entsprechend – wenig begeistert, nehmen Anna jedoch ohne lange zu überlegen wieder bei sich auf. In Kirchkimmen bringt Anna dann am 26. April 1904 Sohn Hugo zur Welt.

Während Hugo in der Obhut seiner Großeltern heranwächst, nimmt Anna ihre Arbeit als Dienstmagd wieder auf. Und lernt mit Johann Runge aus Heide einen Mann kennen, der nach einer erneuten Schwangerschaft zu seiner Verantwortung steht. Anna und Johann heiraten am 26. Mai 1906 in Schönemoor, knapp zweieinhalb Monate vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes Heinrich. Johann arbeitet als Maurer und macht sich später in Delmenhorst mit einem eigenen Baugeschäft selbstständig, zu dem zeitweise auch eine Kohlenhandlung gehört.

Obwohl räumlich getrennt, bleibt Anna mit Hugo – er zieht um 1911 herum mit seinen Großeltern Hermann und Mathilde Lüers nach Vielstedt – regelmäßig in Kontakt. Das gilt auch für die schwierigen Jahre des Ersten Weltkriegs, aus dem Annas Bruder Diedrich nicht mehr zurückkehrt. Knapp drei Jahre nach Kriegsende und Kaiser-Sturz stirbt Vater Hermann, im Inflations-Herbst 1923 dann auch Mutter Mathilde. Schwester Clara lässt sich derweil mit ihrem aus dem Elsass stammenden Ehemann Jean Vèbre in Frankreich nieder. In Hurrel leben zu diesem Zeitpunkt noch Annas Vettern Johann, Georg und Bernhard Haverkamp sowie deren verwitwete Mutter Gesine Aline. Ob Anna auf deren Hof an der Pirschstraße hin und wieder zu Gast ist, lässt sich allerdings nur vermuten. Der Hof an der Hurreler Straße, auf dem sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat, ist bereits seit 1897 im Besitz von Gerhard Wieting.

Über Annas spätere Lebensjahre sind ebenfalls nur noch wenige Details bekannt. Aus Hugos 1930 in Oldenburg geschlossener Ehe mit Hildegard Claussen gehen drei Enkel hervor, wovon einer – Wilfried – 1941 mit anderthalb Jahren an Kinderlähmung stirbt. Sechs weitere Enkelkinder, die in Annas unmittelbarer Nähe aufwachsen, stammen aus der Ehe von Heinrich Runge mit Mariechen Onnen.

Die Schrecken der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs übersteht Annas Familie einigermaßen glimpflich – besser zumindest als Schwester Rosa Buck: Ihr am Breitenweg in Bremen betriebenes Hotel wird 1944 bei einem Fliegerangriff ausgebombt, der an der Ostfront kämpfende Sohn Walter gilt seit Anfang 1945 als vermisst. Rosa siedelt daraufhin mit Ehemann August Buck nach Delmenhorst über und bebaut in Annas unmittelbarer Nachbarschaft ein zuvor nicht genutztes Grundstück.

Der nach der Währungsreform einsetzende Wirtschaftsaufschwung dürfte dem mittlerweile von Annas Sohn Heinrich geführten Baugeschäft einen ordentlichen Aufschwung bescheren. An dem sich Ehemann Johann allerdings nur noch relativ kurz erfreuen kann. Er stirbt im Mai 1952 im Alter von 69 Jahren. Anna selbst stirbt am 24. September 1959. Beerdigt ist sie wenige Tage später in Delmenhorst.