Amalie Lange – Biographie

Anna Amalie Lange – Rufname Amalie – wird am 4. Oktober 1883 als viertes Kind von Hermann Gerhard Osterloh und Anna Catharine Osterloh in Pfahlhausen geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Meta Helene Osterloh und Heinrich Gerhard Osterloh und die ältere Schwester von Anna Johanne Minnerop und Johann Friedrich Osterloh. Die älteste, namenlos gebliebene Schwester kommt im Mai 1879 als Totgeburt zur Welt.

Zwei Wochen vor Amalies Geburt beginnt im Deutschen Reich das alljährliche Kaisermanöver, das 1883 im Raum Homburg vor der Höhe stattfindet. Aus diesem Anlass hat das damals knapp 8.500 Einwohner zählende Taunus-Städtchen seinem 1860 eröffneten Bahnhof mit dem „Kaiser-Pavillon“ in Rekordtempo ein separates Empfangsgebäude für Staatsoberhäupter hinzugefügt: Von der Einreichung des Bauantrags bis zur Fertigstellung Ende August sind gerade einmal neun Wochen vergangen. Neben Kaiser Wilhelm I. und anderen deutschen Fürsten wie Albert von Sachsen kommen dort ab dem 20. September auch ausländische Beobachter des Manövers wie Spaniens König Alfons XII. und König Ludwig I. von Portugal an.

Für den 25-jährigen Alfons ist es der erste offizielle Besuch in Deutschland, und Spaniens Monarch erweist sich als geradezu mustergültiger Gast. Auf einem Bankett sichert er dem Kaiser Solidarität zu, sollte es nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 abermals zu einem Waffengang mit dem gemeinsamen Nachbarn kommen. Zum Dank ernennt Wilhelm Alfons zum Obersten eines preußischen Ulanen-Regiments und überreicht ihm eine entsprechende Uniform.

Alfons‘ nächste Station auf seiner Europa-Reise ist ausgerechnet die französische Hauptstadt Paris – und dort zeigt sich, dass der Ur-Urgroßvater des seit 2014 in Madrid amtierenden Königs Felipe VI. auf diplomatischem Parkett noch einiges hinzulernen muss. Denn bei der Ankunft am 29. September trägt er ausgerechnet diese in Frankreich so verhasste Uniform. Ein Fauxpas, den Alfons noch auf dem Bahnhof unsanft zu spüren bekommt: Seitens der dort versammelten Bevölkerung hagelt es wüste Beschimpfungen, angeblich fliegen sogar Tomaten und Steine. Sich offenbar seines Fehlers bewusst, sieht Alfons jedoch großmütig darüber hinweg.

Eine Gelassenheit, die nicht alle seiner oft recht heißblütigen Landsleute an den Tag legen. Als der Vorfall Mitte Oktober 1883 im von der französischen Grenze rund 900 Kilometer entfernten andalusischen Dörfchen Líjar bekannt wird, trommelt der empörte Bürgermeister umgehend den Rat zusammen. Dessen Mitglieder beschließen spontan, Frankreich den Krieg zu erklären. In einem König Alfons in Kopie übersandten Schreiben an Staatspräsident Jules Grévy erinnern sie an die napoleonische Besatzung Spaniens und daran, dass damals in Líjar angeblich eine „alte, gebrechliche Frau eigenhändig mehr als 30 Franzosen abgeschlachtet“ habe, die in ihr Haus eingedrungen waren. Dieses Beispiel allein müsse genügen zu verstehen, dass es „jeder Einwohner dieses Dorfes mit je zehntausend Franzosen“ aufnehmen könne.

Der formal erst 100 Jahre später beendete Krieg fordert keine Toten und keine Verwundeten – Frankreichs Präsident wird das Schreiben aus dem südlichen Spanien nach Erhalt amüsiert zu den Akten gelegt haben. Auch im Rest Europas bleibt es weitgehend friedlich. Was nicht zuletzt dem deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck zu verdanken ist, der bis zu seiner Entlassung im Frühjahr 1890 eine am Gleichgewicht der Großmächte orientierte Außenpolitik betreibt. Somit wächst Amalie in Pfahlhausen mit ihrer Familie frei von äußeren Bedrohungen auf.

Darüber hinaus liegt heute allerdings praktisch Amalies gesamte Kinder- und Jugendzeit im Dunkeln. Auch wann und bei welcher Gelegenheit sie nach Schulabschluss und Konfirmation ihren späteren Ehemann Friedrich Lange aus Hurrel kennenlernt, ist nicht überliefert. Die beiden heiraten am 18. April 1911. Von zwei direkt mit diesem Ereignis zusammenhängenden Details weiß allerdings Amalies Enkelin Gerda Nähring zu berichten. So habe ihre Großmutter oft erzählt, dass Friedrich Lange in den Monaten vor der Hochzeit immer wieder zu Fuß nach Pfahlhausen und zurück gelaufen sei, um dort seine künftige Braut zu treffen – immerhin eine Wegstrecke von zusammengenommen mehr als 15 Kilometern. Ferner habe sie später vom Pfarrer eine Art Prämie dafür bekommen, dass zwischen der Trauung und der Geburt des ersten Kindes eine Spanne von mehr als neun Monaten lag.

Nach der Hochzeit zieht Amalie nach Hurrel, wo Friedrich in einem 1903 von seinem Vater Johann Lange gekauften Haus an der Ortstraße (heute: Alfred Voigt und Insa Minnemann) als Stellmacher arbeitet. Der Geburt des ersten Kindes Erna im März 1912 folgt im Dezember 1913 die zweite Tochter Adele, die allerdings am 27. Juli 1914 nur wenige Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs stirbt. Letzteres ein Ereignis, das Amalie und Friedrich – von gelegentlichen Heimaturlauben abgesehen – über Jahre hinaus voneinander trennt. Mit dem am 15. September 1915 geborenen Sohn Johann kommt deshalb bis Kriegsende im November 1918 lediglich ein weiteres Kind zur Welt. Danach komplettieren bis Dezember 1923 der zweite Sohn Heinrich und Tochter Herta die Familie, zu der zeitweise auch Amalies 1908 geborene Nichte Anna gehört.

Die Verhältnisse, in denen Amalie mit Friedrich und den Kindern lebt, sind äußerst beengt. Zwischen Werkstatt, Wohnraum und der Diele mit einer Kuh sowie einigen Schweinen und Hühnern gibt es praktisch keine Trennung. Hinzu kommt der ständige Qualm: Das 1799 errichtete, ursprünglich zum Hof von Diedrich Heinemann (heute: Ursula Schlake) gehörende Heuerhaus besitzt keinen Schornstein. Der Rauch der Feuerstelle muss sich deshalb seinen Weg durchs Dach selbst suchen, umgekehrt bläst bei schlechtem Wetter von oben der Wind hinein. Das eine wie das andere ist nicht eben gesund – hat aber den Vorteil, dass sich Schädlinge wie der Hausbock nicht an ihr zerstörerisches Werk machen können und der Rauch überdies frisch verarbeitetes Fleisch konserviert. Indem Amalie und Friedrich diese Aufgabe auch für diverse Nachbarn im Dorf mit übernehmen, verdienen sie sich in den wirtschaftlich fast durchgehend schwierigen 20er und frühen 30er Jahren neben der Stellmacherei ein kleines Zubrot.

Als im Frühjahr 1938 Amalies Schwiegersohn Heinrich Schütte zum Wehrdienst einberufen wird, zieht Tochter Erna mit der gerade geborenen Enkelin Gerda vorübergehend wieder nach Hurrel – ein Vorbote dessen, was anderthalb Jahre später der von den Nationalsozialisten begonnene Zweite Weltkrieg an Veränderungen, Einschränkungen und Verlusten bringt. Amalie nimmt er Sohn Johann, der noch in den letzten Kriegswochen fällt, und auch Heinrich Schütte kehrt nicht zurück.

Über einen weiteren, erst in der Nachkriegszeit erlittenen Verlust dürfte Amalie hingegen nicht sonderlich traurig gewesen sein: Am Abend des 30. August 1951 geht ihr Haus nach einem Blitzschlag in Flammen auf. Menschen kommen dabei nicht zu Schaden, und nach kurzer Übergangsphase in einer Baracke ihres Nachbarn Diedrich Schwarting zieht sie mit Friedrich in einen von dessen Schwager Bernhard Parisius an alter Stelle errichteten Neubau. Dort finden auch Tochter Erna und die beiden Enkelinnen Gerda und Helma, die zuvor sechs Jahre lang eher provisorisch in der Gaststätte von Wilhelm Imholze in Sandersfeld gewohnt hatten, eine Unterkunft.

Während Friedrich in den kommenden Jahren spürbar abbaut und im Februar 1964 stirbt, scheinen Amalie die über Jahrzehnte anhaltenden gesundheitlichen Belastungen deutlich weniger ausgemacht zu haben. Sie feiert am 4. Oktober 1973 noch ihren 90. Geburtstag, stirbt allerdings fast auf den Tag genau ein halbes Jahr später. Beerdigt ist sie am 11. April 1974 auf dem Friedhof der St. Elisabeth-Kirche in Hude.