Anna Adele Timmermann – Rufname Adele – wird am 13. Januar 1905 als zweites Kind von Diedrich Düßmann und Adeline Düßmann in Delmenhorst geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Gesine Willenbrock und die ältere Schwester von Bertha Kreis.
Einen Tag vor Adeles Geburt jährt sich der Beginn des Herero-Kriegs in Deutsch-Südwestafrika. Um die zunehmende Einschränkung ihres Weidelandes durch deutschstämmige Siedler abzuwehren, hatten die Herero am 12. Januar 1904 damit begonnen, Farmen und Handelsniederlassungen zu überfallen und Militärstationen zu belagern. Anfangs durchaus mit Erfolg, denn die von den Angriffen überraschte Schutztruppe bestand zunächst nur aus 2.000 Mann. Mittlerweile kämpfen auf deutscher Seite allerdings 16.000 mit Artillerie und Maschinengewehren ausgerüstete Soldaten, die unter dem Oberbefehl von Lothar von Trotha mit brutaler Härte gegen die Einheimischen vorgehen. Nach dem Sieg in der Schlacht am Waterberg im August 1904 strebt von Trotha die totale Vernichtung der Herero an, indem er die in die Omaheke-Wüste geflohenen Überlebenden und ihre Familien dem Verhungern und Verdursten aussetzt.
Dieses 111 Jahre später von deutscher Seite erstmals offiziell als Völkermord anerkannte Vorgehen provoziert weiteren Widerstand: Im Oktober 1904 erhebt sich auch der bisher mit den Deutschen verbündete Volksstamm der Nama. Nach 50-stündigem Gefecht gelingt es von Trothas Truppen am 4. Januar 1905 unter hohen Verlusten auf beiden Seiten, deren Hauptquartier zu erobern. Doch auch danach flackern immer wieder Kämpfe auf.
Im mehr als 8.000 Kilometer entfernten Deutschen Reich wächst derweil die Kritik an von Trothas Vernichtungsfeldzug. Bereits Mitte Dezember 1904 hatte Reichskanzler Bernhard von Bülow den Kommandeur in einem Telegramm aufgefordert, aus der Wüste fliehende Herero nicht mehr erschießen zu lassen, sondern sie nach britischem Vorbild in Konzentrationslagern zu internieren. In den folgenden Monaten entstehen zahlreiche derartige Lager, in denen bis zur offiziellen Aufhebung des Kriegszustands am 31. März 1907 tausende Insassen sterben – bedingt vor allem durch Zwangsarbeit und katastrophale hygienische Verhältnisse. Am Ende kostet die Niederschlagung des 1904 begonnenen Aufstands groben Schätzungen zufolge 80.000 Herero und 10.000 Nana das Leben, was in beiden Fällen mehr als der Hälfte der jeweiligen Bevölkerungsgruppe entspricht. Die letzten noch kämpfenden Nana-Krieger ergeben sich erst Anfang 1909.
Wo genau in Delmenhorst Adeles Familie zu diesem Zeitpunkt wohnt und welche Schule sie ab 1911 besucht, ist heute nicht mehr bekannt. Aller Wahrscheinlichkeit nach endet ihre durch den Ersten Weltkrieg überschattete Schulzeit aber in genau jenem Jahr, in dem ihre Eltern mit der jüngeren Schwester Bertha nach Hurrel ziehen. Diedrich Düßmann kauft dort 1919 ein sieben Jahre zuvor von Tönjes Hinrich Schwarting errichtetes Haus (heutiger Eigentümer: Günter Klintworth) an der Hurreler Straße, weil zuvor Ärzte der lungenkranken Ehefrau Adeline dringend Luftveränderung empfohlen hatten. Adele tritt derweil eine Stelle in einem Haushalt in Ochtum an, einem Ortsteil von Lemwerder. Dort erlebt sie die ersten, durch Ruhrbesetzung, Kapp-Putsch und eine immer stärkere Geldentwertung geprägten Jahre der Weimarer Republik.
Als Adeline Düßmann im Juli 1923 stirbt, kehrt zunächst Adeles ältere Schwester Gesine nach Hause zurück, um sich um ihren Vater und Bertha zu kümmern. Eine nur vorübergehende Lösung, denn nach der Heirat mit Diedrich Willenbrock aus Tweelbäke folgt Gesine ihrem bei der Reichsbahn arbeitenden Ehemann, der nach Wilhelmshaven versetzt wird. Daraufhin kündigt Adele ihre Stellung in Ochtum und zieht ebenfalls nach Hurrel.
Am neuen Wohnort wird Adele freundlich aufgenommen – ganz besonders von einem jungen Mann aus der direkten Nachbarschaft, Karl Timmermann. Am 5. März 1931 stehen beide in Hude vor dem Traualtar. Karl, dessen Familie seit 1912 einen Bauernhof auf der gegenüberliegenden Straßenseite (heute: Kerstin und Thomas Schwantje) betreibt, zieht daraufhin bei Adele und ihrem Vater ein. Weiteren Zuwachs im Haus gibt es, als ein knappes Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten Tochter Gertrud zur Welt kommt. Die Geburt von Sohn Dieter im September 1935 macht dann die Familie komplett.
Während Karl auf der Ziegelei Friedrich Knabe in Kirchkimmen arbeitet und ihr Vater in der Delmenhorster Linoleumfabrik, versorgt Adele die beiden kleinen Kinder und kümmert sich um die zum Haushalt gehörigen Tiere. Ein geregelter Tagesablauf, den der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gehörig durcheinanderbringt. Karl wird zur Luftwaffe eingezogen und kommt fortan nur zu kurzen Urlauben zwischen seinen Fronteinsätzen in Frankreich, Polen und Russland nach Hause.
Zunächst hat Adele mehr Glück als ihre direkten Nachbarinnen Anni Meyer und Martha Wachtendorf, deren Ehemänner den Krieg nicht überleben: Im August 1945 steht Karl, der das Kriegsende auf einem Lazarettschiff in Dänemark erlebt hat, wieder vor der Tür. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass seine Gesundheit in den vorangegangenen Jahren stark gelitten hat – er stirbt nur vier Jahre später an Nierenversagen.
Die 50er Jahre beginnen für Adele mit ihrer einzigen größeren Reise: Gemeinsam mit ihrer Schwägerin Bertha von Kempen und deren Ehemann Heinrich fährt sie mit dem Zug nach Wien, um Heinrichs Schwester und deren Familie zu besuchen. Bald darauf gibt es wieder Zuwachs im Haus: Nach seiner Hochzeit mit Gertrud Timmermann im Juli 1953 zieht Schwiegersohn Alfred Ahlers ein. Drei Monate später, am 11. Oktober, wird Adele zweifache Großmutter, wenn auch nur für wenige Stunden: Von den zwei an diesem Tag geborenen Sieben-Monats-Kindern überlebt lediglich Christa. Ein weiteres Enkelkind, Werner, kommt im November 1954 schwer behindert zur Welt und stirbt Anfang 1956.
Als Alfred und Gertrud 1957 ein Haus im Nachbardorf Lintel kaufen, wohnt Adele einige Jahre lang mit Dieter allein, bis dessen Ehefrau Christel Kunkel nachrückt. Ende der 60er Jahre ziehen Dieter und Christel mit den zwischenzeitlich geborenen Kindern Arthur und Sieglinde nach Altmoorhausen. Nächste Mitbewohnerin wird 1975 Adeles Enkeltochter Christa, die ihren Ehemann Günter Klintworth mitbringt. Eine willkommene Hilfe, denn mit zunehmendem Alter häufen sich bei Adele die gesundheitlichen Beschwerden. Am 17. Februar 1990 – nur wenige Wochen nach ihrem 85. Geburtstag – stirbt sie an Altersschwäche. Beerdigt ist Adele fünf Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.