Persönliche Erinnerungen an Friedrich Wilkens

… von seiner Tochter Aleatha Berry

Datum der im September 2017 von Friedrichs Urgroßnichte Nancy Jensen aus Spring Lake im US-Bundesstaat Michigan übermittelten Aufzeichnung unbekannt

Ich wurde in Nebraska geboren, als erstes Kind von Friedrich und Helene Wilkens – zweier deutscher Einwanderer, die sich in den USA getroffen und dort geheiratet haben. In ihrer Heimat hätten sich meine Eltern vermutlich nicht kennengelernt, da sie aus unterschiedlichen Orten und gesellschaftlichen Schichten stammen.

Mein Vater Friedrich war eines von acht Kindern, für den am Ende nur ein kleines Erbe übrig blieb. Deshalb beantragte er 1911 mit Hilfe seines Halbbruders Henry Wilkens in Chicago und seiner Schwester Anna Tönjes in Nebraska ein Visum für Amerika. Dort arbeitete er mehrere Jahre lang als Angestellter. Dann pachtete er Land von einem Indianer, um selbständig Landwirtschaft zu betreiben. Sie müssen gute Freunde gewesen sein, denn mein Vater war späteren Erzählungen zufolge oft bei ihm zum Essen eingeladen.

Meine Mutter war das einzige Kind wohlhabender Eltern, die sehr früh verstorben sind. Durch unglückliche Entscheidungen ihres Vormunds ging kurz nach dem Ersten Weltkrieg ihr gesamtes Erbe verloren. Als 1922 ein ausgewanderter Onkel auf Deutschland-Besuch kam, beschloss sie, ihn in die USA zu begleiten und dort ihr Glück zu suchen. Obwohl sie als Kind sehr gute Schulen besucht hatte, musste sie sich in Nebraska zunächst als Haushälterin durchschlagen und erst mühsam die englische Sprache erlernen.

Meine Eltern haben 1924 geheiratet. Sie waren gottesfürchtig, und wir besuchten regelmäßig Gottesdienste. Beide arbeiteten hart, waren sparsam und haben kurz vor dem Börsenkrach von 1929 ein eigenes Stück Land gekauft. Ich erinnere mich sehr gut an den Umzugstag. Es war kalt und regnerisch, und es war schwierig, all unsere Möbel, Maschinen und Tiere über die schlammigen Straßen zu transportieren. Mit der letzten Fahrt auf dem Pferdewagen brachte dann mein Vater meine Mutter, meinen gerade erst geborenen Bruder und mich zu unserem neuen Zuhause.

Durch die Fenster im Haus zog es fürchterlich. Der Küchenboden bestand aus grob behauenen Getreidespeicher-Brettern, auf denen die Mauselöcher notdürftig mit Zinnstücken geflickt waren. Meine Mutter hat versucht, ihn zu schrubben. Er wurde aber nicht trocken, und am nächsten Tag waren wir alle erkältet. Mein Vater hat sich dann sofort um einen neuen Küchenboden gekümmert.

Gleich nach unserem Umzug folgten die Jahre der Großen Depression. Hinzu kam, dass es in unserer Gemeinde nahezu zehn Jahre lang in jedem Sommer eine Dürre und in jedem Winter wütende Schneestürme gab. Einmal ging ich in dieser Zeit mit meinem Vater zu dem Haus eines älteren Mannes, der eine Hypothek auf unsere Farm hielt. Mein Vater erklärte ihm, dass er die fälligen Zahlungen beim besten Willen nicht leisten könne, und bat darum, ihm einen Aufschub zu gewähren und so die Zwangsversteigerung zu verhindern. Tatsächlich ließ sich der Mann darauf ein, die Hypothek wurde anschließend schnellstmöglich abgelöst. Später hat dann sein Urenkel unser Land gepachtet.

Das Vertrauen auf Gott und die Beharrlichkeit meiner Eltern haben uns durch diese schwierigen Tage geführt. Wenn wir auch oft nicht viel mehr als Bohnen auf dem Teller hatten, so gab es doch immer etwas zu essen. Und trotz der vielen Arbeit blieb Zeit, mit Nachbarn und Verwandten die Gemeinschaft zu pflegen und füreinander da zu sein.