Anna Catharine Brandt wird am 9. August 1825 als erstes Kind von Johann Hinrich von Seggern und Gesche Margarethe von Seggern auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Erwin und Christa Haverkamp) geboren. Sie ist die ältere Schwester von Gerhard von Seggern, Hinrich von Seggern, Johann Heinrich von Seggern, Anna Gesina von Seggern, Margareta Stolle und Beta Stolle. Ein weiterer, im Dezember 1832 geborener Bruder ist noch am selben Tag verstorben und deshalb namenlos geblieben.
Drei Tage vor Anna Catharines Geburt erklärt Bolivien seine Unabhängigkeit – einer der letzten Mosaiksteine in der Befreiung Südamerikas von spanischer Herrschaft. Begonnen hat der Kampf bereits 1809. Zu seinen wesentlichen Protagonisten gehören der in der Region bis heute als Freiheitsheld verehrte Venezolaner Simón Bolívar und sein Militärführer Antonio José de Sucre. Nach ersterem ist der neue, zuvor zum Vize-Königreich Peru gehörende Anden-Staat benannt, letzterer übernimmt Ende Dezember 1825 das Amt des Präsidenten. Das Gründungsdatum hat symbolischen Charakter: Exakt ein Jahr zuvor, am 6. August 1824, hatten Bolívar und Sucre in der Schlacht von Junín eine wichtige Voraussetzung für den Sieg geschaffen. Vier Monate später wendete die Schlacht bei Ayacucho das Blatt endgültig zu ihren Gunsten.
Doch auch nach dem endgültigen Rückzug der Spanier kommt der Kontinent nicht zur Ruhe. Im Dezember 1825 bricht der Argentinisch-Brasilianische Krieg aus, in dem es um die Vorherrschaft in Uruguay geht. Er endet im August 1828 mit der Unabhängigkeit des Landes. Größter Profiteur ist mit Großbritannien eine andere Kolonialmacht: Sie erhält als Lohn für ihre Vermittlerrolle eine Freihandelszone an der strategisch wichtigen Mündung des Río de la Plata zugesprochen. In Bolivien beenden derweil innere Unruhen und eine peruanische Invasion die Präsidentschaft Sucres, während Bolívar sich in Groß-Kolumbien zum Diktator aufschwingt und im September 1828 nur knapp einem Attentat entkommt. Damit hat er mehr Glück als Sucre, der im Juni 1830 in der Nähe von Pasto ermordet wird – mutmaßlich von politischen Gegnern. Nach Bolívars sehr wahrscheinlich durch Tuberkulose bedingtem Tod sechs Monate später bricht Groß-Kolumbien auseinander, es entstehen die heutigen Staaten Kolumbien, Venezuela und Ecuador.
Chaos und Anarchie pur, und mittendrin ein deutscher Auswanderer: Otto Philipp Braun, 1798 in Kassel geboren, gehört in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zu den engsten Weggefährten Bolívars und Sucres. Nach ihrem Tod dient er fast zehn Jahre lang Andrés de Santa Cruz, einem der zahlreichen Nachfolger Sucres an der Spitze Boliviens, und zeichnet sich dabei in mehreren gegen diverse Nachbarstaaten geführten Kriegen aus. Auch nach einem erneuten Machtwechsel und seiner anschließenden Ausweisung bleibt Braun in der Region exzellent vernetzt. Das macht ihn bis zu seinem Tod im Juli 1869 sowohl vor Ort als auch in Europa zu einem begehrten Gesprächspartner.
Nach Südamerika auswandern? Was 1825 für manche Menschen im Hunsrück und in anderen Regionen Mittel- und Süddeutschlands durchaus eine Option darstellt, ist in Hurrel und anderen Dörfern des Großherzogtums Oldenburg definitiv noch kein Thema – obwohl im nahegelegenen Bremen regelmäßig Auswandererschiffe Richtung Rio de Janeiro ablegen. Was die Hurreler schon eher beschäftigt, ist der in diesem Jahr begonnene Bau der Bremer Chaussee, die mitten durch ihr Dorf führt. Sie muss Anna Catharine ab 1832 auf ihrem rund zwei Kilometer langen Weg in die Volksschule in Lintel täglich überqueren – was damals freilich anders als 130 oder 140 Jahre später keinerlei Gefahren birgt.
Als für Anna Catharine der vielzitierte Ernst des Lebens beginnt, hat ihr künftiger Ehemann Johann Brandt die Schule gerade abgeschlossen. Gelegenheiten, sich kennenzulernen, gibt es dennoch genug, zumal der Schulweg direkt am Hof (heutige Eigentümer: Edo und Klaus-Peter Wieting) und den Ländereien von Johanns Eltern vorbeiführt. Anna Catharine und Johann, der zu diesem Zeitpunkt den elterlichen Hof bereits übernommen hat, heiraten am 25. April 1854. In den folgenden Jahren bringt Anna Catharine fünf Töchter zur Welt: Sophie Gesine (Februar 1855), Meta Gesina (Mai 1856), Catharine Margarete (Juni 1858), Anna Mathilde (März 1861) und Beta (Juni 1866). Meta Gesine kommt allerdings über das Kleinkind-Alter nicht hinaus, sie stirbt kurz nach der Geburt ihrer nächstjüngeren Schwester an im Kirchenbuch der Gemeinde Hude nicht näher beschriebenen Krämpfen.
Ein Jahr nach der Gründung des Deutschen Reichs schlägt dann das Schicksal in Anna Catharines Leben gleich zweimal mit aller Härte zu: Im Februar 1872 stirbt Ehemann Johann an einem Schlaganfall, im September darauf dann ihre älteste Tochter Sophie Gesine. Sie fällt einer Ruhr-Epidemie zum Opfer, die in jenem Herbst besonders heftig im Nachbardorf Altmoorhausen wütet. Mit Mutter Gesche Margarethe und Schwester Margareta kommen 1873 zwei weitere Todesfälle im engeren Familienkreis hinzu. Letztere erliegt wie mutmaßlich 43 Jahre zuvor in Südamerika Simón Bolívar der Volksseuche Tuberkulose.
Über Anna Catharines letzte Lebensjahre ist heute nur noch wenig bekannt. Mit den drei verbliebenen Töchtern bewirtschaftet sie den Brandt-Hof weiter, bevor die im Dorf weit verbreitete Tuberkulose schließlich auch ihr Leben beendet: Anna Catharine stirbt am 28. März 1885, ein knappes halbes Jahr vor ihrem 60. Geburtstag. Beerdigt ist sie sieben Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.