Anna Marie Wieting wird am 23. Oktober 1917 als viertes Kind von Wilhelm Heinrich Drieling und Marie Christine Drieling in Brandewurth bei Grüppenbühren geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Minna Brinkmann und zwei Brüdern, deren Namen heute in der Familie nicht mehr bekannt sind.
An den Tagen um Annas Geburt überlagert – wie nahezu das gesamte Jahr 1917 hindurch – das Ringen an den verschiedenen Fronten des Ersten Weltkriegs alle anderen Ereignisse. Im Westen beispielsweise beginnt am 23. Oktober die Schlacht bei Malmaison. In ihrem Verlauf gelingt es französischen Truppen, die deutsche Armee bei im Vergleich zu früheren Schlachten relativ geringen Verlusten aus der nordwestlich von Reims gelegenen Hügelkette Chemin des Dames zu vertreiben. Ein dringend benötigter Prestige-Erfolg für die französische Militärführung, die zuvor durch den rücksichtslosen Einsatz der eigenen Soldaten als „Kanonenfutter“ in die Kritik geraten war und sich zwischenzeitlich sogar mit massiven Meutereien konfrontiert sah. Dennoch gehen die Kämpfe an der Westfront unvermindert weiter, die bereits seit Ende Juli tobende Dritte Flandernschlacht bringt keine der beteiligten Kriegsparteien einer Entscheidung näher.
An der Alpen-Front wiederum stehen sich ab dem 24. Oktober Deutsche, Österreicher und Italiener in der Zwölften Isonzo-Schlacht gegenüber. Hier siegen die Armeen der Mittelmächte, nachdem sie den Feind mit dem massiven Einsatz von Giftgas überrascht haben. Um den Angriff österreichischer Truppen zu unterstützen, feuern deutsche Pioniere rund 70.000 Grünkreuz-Granaten ab, die die gewünschte verheerende Wirkung entfalten. Die italienische Armee, die im weiteren Verlauf der Schlacht mehr als 300.000 Soldaten durch Gefangennahme verliert, muss sich hinter den Tagliamento zurückziehen.
Dennoch gelingt es den Italienern mit britischer und französischer Hilfe, die totale Niederlage abzuwenden – unter anderem deshalb, weil die Angreifer selbst vom Ausmaß ihres Erfolges überrascht sind und nicht energisch genug nachsetzen. Somit ist auch an dieser Front zunächst kein Ende der Kämpfe in Sicht. Ganz anders im Osten: Dort schafft die am 7. November in Russland beginnende Oktoberrevolution die Voraussetzungen für einen von den Mittelmächten diktierten Separat-Frieden. Als dieser im März 1918 in Brest-Litowsk geschlossen wird, ist die durch den Kriegseintritt der USA besiegelte deutsche Niederlage aber bereits absehbar. Am 9. November 1918 setzt der Waffenstillstand von Compiègne den Schlusspunkt des mehr als vier Jahre lang anhaltenden Völkerschlachtens.
Wie Annas Familie jene dramatischen Wochen und Monate erlebt, liegt heute im Dunkeln – ebenso, ob ihr Vater in irgendeiner Weise aktiv ins Kriegsgeschehen eingreift. Dagegen spricht, dass Wilhelm Heinrich Drieling zum Zeitpunkt von Annas Geburt bereits 51 Jahre alt ist und Mutter Marie Christine immerhin auch schon 43 Jahre. Anna nimmt somit die klassische Rolle eines Nesthäkchens ein, ihre drei Geschwister haben im Herbst 1917 die Volksschule in Grüppenbühren bereits verlassen oder stehen zumindest kurz davor. Als Berufsbezeichnung für Annas Vater nennt der Geburtseintrag Arbeiter, sehr wahrscheinlich steht er wie später einer ihrer Brüder auf der Lohnliste des 1904 gegründeten Kalksandsteinwerks Bookholzberg. Der andere Bruder wiederum kommt Erzählungen aus der Familie zufolge Ende der 20er oder Anfang der 30er Jahre auf tragische Weise ums Leben: Er verletzt sich mit einer Sense auf dem Rücken beim Eintritt ins Elternhaus so schwer, dass er vor Annas Augen verblutet.
Für Anna sicher eine traumatische Erfahrung in alles andere als einfachen Zeiten. Die 1929 in den USA ausbrechende Weltwirtschaftskrise schwappt alsbald auch nach Deutschland über und begünstigt den Aufstieg der Nationalsozialisten – im Januar 1933 übernimmt deren Führer Adolf Hitler das Amt des Reichskanzlers. Wo Anna diesen schicksalsträchtigen Tag erlebt, ist heute nicht mehr bekannt. Erzählungen aus der Familie zufolge geht sie nach Schulabschluss und Konfirmation auf mehreren Höfen in der näheren Umgebung in Stellung, unter anderem auch in Steinkimmen. Dort lernt sie irgendwann in den 30er Jahren ihren künftigen Ehemann Heinrich Wieting kennen.
Heinrichs Familie bewirtschaftet in Steinkimmen einen eigenen Hof, der aber gemäß Jüngstenrecht später einmal von seinem Bruder Gustav weitergeführt werden soll. Er selbst arbeitet deshalb unter anderem als Milchleistungsprüfer – und gehört zu jenen, die beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 als einer der ersten zur Wehrmacht einberufen werden. Anna lebt und arbeitet zu dieser Zeit sehr wahrscheinlich schon auf dem Hof von August Menkhaus, wo sie auch die folgenden, aus deutscher Sicht zunächst sehr erfolgreich verlaufenden Kriegsjahre verbringt. Wie oft sie und Heinrich sich in dieser Zeit sehen, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass ein Heimaturlaub im Sommer 1942 nicht ohne Folgen bleibt. Da Heinrich kurz darauf wieder an die Ostfront abrückt und der 1941 eröffnete Krieg gegen die Sowjetunion in eine entscheidende Phase tritt, bleibt beiden nur die Möglichkeit einer Ferntrauung. Sie wird am 30. Oktober 1942 auf dem Standesamt in Ganderkesee vollzogen. Im April 1943 – zwei Monate nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad – bringt Anna dann Sohn Heiko zur Welt.
Spätestens mit der Landung der Alliierten in der Normandie ist absehbar, dass Deutschland auch den zweiten innerhalb von 25 Jahren vom Zaun gebrochenen Weltkrieg verlieren wird. Anna bekommt dies schon bald hautnah zu spüren, als sie und Heiko in Steinkimmen beinahe von den Splittern einer abgeworfenen Fliegerbombe getroffen werden. Heinrich hingegen wird gegen Ende des Krieges durch einen Lungensteckschuss schwer verletzt. Dadurch entgeht er immerhin russischer Gefangenschaft und kehrt bereits im Laufe des Frühsommers 1945 aus dem Lazarett nach Hause zurück.
Nachdem alle drei zunächst weiter auf dem Hof von August Menkhaus wohnen, heißt die nächste Station Hurrel: Dort pachten Anna und Heinrich noch im selben Jahr den am Brink gelegenen Rüdebusch-Hof (heute: Birgit Ganteföhr), dessen rechtmäßiger Erbe Heino Rüdebusch den Krieg ebenso wenig überlebt hat wie seine älteren Brüder Gustav und Georg. Deren Mutter Anna wohnt zwar inzwischen mit Schwiegertochter Klara und Enkel Harald überwiegend in Altmoorhausen, beansprucht aber weiter zwei Zimmer im hinteren Teil des Hauses für sich. Den restlichen Wohnraum müssen sich Anna, Heinrich und Heiko anfangs mit der aus Ostdeutschland geflüchteten Familie von Richard Hohberg teilen.
Kurz vor der Währungsreform im Juni 1948 wird Anna ein zweites Mal schwanger, im Januar 1949 macht Sohn Bernd die Familie komplett. Doch obwohl sich alle vier Mitglieder in Hurrel durchaus heimisch fühlen und wohl auch ganz gern geblieben wären, kommt es anders: Die von Heinrich aufgezogene Schweinemast entwickelt sich anders als erwartet, woraufhin er die Landwirtschaft 1955 aufgibt. Daraufhin zieht die Familie in ein heute nicht mehr bestehendes Heuerhaus von Bernhard Haverkamp am Pohlweg in Altmoorhausen. In puncto Wohn-Komfort wahrlich keine Verbesserung, gibt es doch im sarkastisch „Villa Sorgenfrei“ getauften Haus weder Strom noch fließendes Wasser. Während Heinrich zunächst bei einer Firma anheuert, die Überland-Stromleitungen aufstellt, hilft Anna auf dem Hof ihres Vermieters Bernhard Haverkamp aus.
Als Heinrich 1956 eine feste Anstellung beim Straßenbauamt in Oldenburg findet, bessert sich die finanzielle Lage schnell wieder. Schon bald steht deshalb der nächste Umzug an, dieses Mal in ein von Hinrich Heyne gemietetes Wohnhaus am Piepersweg. In den folgenden zwei Jahrzehnten arbeitet Anna als Zugehfrau für Ella Onken, die Senior-Chefin von Papier Onken in Oldenburg. Daneben bleibt ihr genügend Zeit, sich ihrem großen Hobby zu widmen – der Gestaltung des eigenen Gartens. Eine Aufgabe, bei der Heinrich sie nach Feierabend und erst recht später während der Rente nur zu gern unterstützt.
Beide Söhne verlassen relativ früh das Elternhaus. Heiko heiratet Inge Grummer aus Grummersort, aus der Ehe gehen ab 1963 mit Regina, Karin und Holger drei Enkelkinder hervor. Bernd fährt zur See und lässt sich später in Südengland nieder. Ihn, Schwiegertochter Arleen und Enkel Roger besuchen Anna und Heinrich in den 70er Jahren gleich zweimal an seinem neuen Wohnort Ramsgate. Auch sonst finden beide im Alter zunehmend Gefallen am Reisen und sind unter anderem per Bus an Rhein und Bodensee unterwegs.
Eine Wende nimmt Annas Leben, als Heinrich im März 1981 plötzlich und unerwartet mit nur 69 Jahren stirbt. Zunächst bleibt sie alleine am Piepersweg wohnen – entscheidet sich elf Jahre später dann aber doch, das Angebot von Sohn Heiko und Schwiegertochter Inge anzunehmen und in deren Haus in Grummersort eine kleine separate Wohnung zu beziehen. Auch dort bleibt sie allerdings bis ins hohe Alter aktiv und ist bis kurz vor ihrem Tod regelmäßig mit Hacke und Eimer im Garten anzutreffen.
Anna – inzwischen achtfache Urgroßmutter – stirbt am 6. November 2005 an Herzversagen. Beerdigt ist sie fünf Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.