Jürgen Hurrelmann – Biographie

Jürgen Hurrelmann wird um das Jahr 1480 herum auf dem heutigen Hof von Ursula Schlake in Hurrel geboren. Über die Identität seiner Eltern gibt es knapp 550 Jahre später keine gesicherten Erkenntnisse mehr. Dasselbe gilt für etwaige Geschwister. Möglich, dass Johan Barkhus von Hurle, der Informationen des Oldenburger Heimatforschers Walter Janßen-Holldiek zufolge 1489 den genannten Hof bewirtschaftet, Jürgens Vater ist. In diesem Fall hätte er zumindest zwei Brüder, nämlich den 1501 von Janßen-Holldiek als Eigentümer des Hurrelmann-Hofes angegebenen Johan van Hurle sowie Dyrk van Hurle vom 1501 aus einer Teilung hervorgegangenen Nachbarhof (heute: Gerold und Annegret Sparke).

Die Jahre im Umfeld von Jürgens Geburt gehören weltgeschichtlich den großen Entdeckern. Allen voran Christoph Kolumbus, der es sich Ende des 15. Jahrhunderts in den Kopf gesetzt hat, Indien auf dem Seeweg gen Westen zu erreichen. Um das Jahr 1484 herum stellt er diesen Plan dem portugiesischen König Johann II. vor, dessen Berater das Vorhaben aber ablehnen – sie halten die Entfernung für zu groß. Durchaus zu Recht, denn zwischen Portugal und Japan liegen bei der gewählten Route fast 20.000 Kilometer und nicht 4.500 Kilometer wie von Kolumbus berechnet. Davon lässt sich der in Genua geborene Sohn eines Wollwebers jedoch nicht beirren. Im Königspaar Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien findet er Förderer, die ihm 1492 eine erste Expeditionsreise finanzieren. Sie führt zwar nicht wie erhofft bis nach Indien, dafür aber betritt Kolumbus am 12. Oktober 1492 auf der zu den Bahamas gehörenden Insel San Salvador als erster Europäer der Neuzeit nordamerikanischen Boden.

Zu den weiteren wagemutigen Seefahrern jener Epoche zählen die Portugiesen Vasco da Gama und Pedro Álvares Cabral. Ersterer erschließt 1498 für den Seeweg nach Indien die Südafrika-Route um das Kap der Guten Hoffnung, letzterer versucht es zwei Jahre später mit dem gleichen Ziel etwas weiter südlich als Kolumbus und entdeckt dabei Brasilien. Benannt wird der sich von Alaska bis Feuerland erstreckende Kontinent Amerika schließlich nach Amerigo Vespucci, der zwischen 1497 und 1504 mehrere Forschungsreisen entlang der Ostküste Lateinamerikas unternimmt und erkennt, dass es sich dabei eben nicht um einen Teil Indiens handelt, sondern um zuvor komplett unbekanntes Neuland. Neuland, dessen Bewohner in den folgenden Jahrzehnten von spanischen Konquistadoren wie Hernán Cortés oder Francisco Pizarro brutal unterworfen werden.

Um einiges weniger abenteuerlich, aber mitunter von vergleichbaren Eroberungsgelüsten geprägt verläuft zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Leben in Jürgens Heimatregion, der Grafschaft Oldenburg. Zu nennen sind hier insbesondere die 1499 beginnenden Feldzüge des Oldenburger Grafen Johann V. und einiger mit ihm verbündeter Welfen-Herzöge gegen die friesischen Bauernrepubliken in der heutigen Wesermarsch. Deren Unabhängigkeit endet 1514 mit der verlorenen Schlacht an der Hartwarder Landwehr. Auch die Natur zeigt sich in dieser Zeit mehrfach von ihrer brutalsten Seite: Zwischen 1509 und 1511 verwüsten diverse Sturmfluten die Küstengebiete an der Nordsee. In Butjadingen und rund um den Jadebusen etwa müssen nach der Antoni-Flut vom Januar 1511 mehrere Dörfer aufgegeben werden.

Ein Schicksal, das Hurrel zu Jürgens Lebzeiten wohl zu keinem Zeitpunkt droht. Wobei es etwas hochgegriffen erscheint, die rund 50 Kilometer südöstlich von Butjadingen gelegene und später nach seiner Familie benannte Siedlung schon als Dorf zu bezeichnen – besteht sie doch bis 1501 aus lediglich vier räumlich weit voneinander entfernten Einzelhöfen. Wann und von wem diese jeweils begründet wurden, lässt sich heute nicht mehr zuverlässig rekonstruieren. Zwei davon (neben dem älteren Hurrelmann-Hof noch der heutige Hof von Eike und Nathalie Haverkamp) finden erstmals 1428 im Oldenburger Salbuch Erwähnung, einem Verzeichnis aller Güter und Einkünfte der Grafen von Oldenburg. Die beiden anderen Besitztümer (der lediglich bis Anfang des 17. Jahrhunderts bestehende Hof der Familie Hilligelo nahe der 1932 errichteten Ahnenstätte Hilligenloh sowie der heutige Haverkamp-Hof in Sandersfeld) werden 1428 noch dem Nachbardorf Lintel zugerechnet. Durch die bereits erwähnte Aufteilung des Hurrelmann-Hofes unter Jürgens mutmaßlichen Brüdern Johan und Dyrk van Hurle kommt 1501 ein fünfter Hof hinzu.

Eine weitere Aufteilung steht aber vermutlich nicht zur Debatte. Ist es diese fehlende Perspektive, die Jürgen um das Jahr 1512 herum Hurrel den Rücken kehren lässt und ihn nach Bollenhagen in die heutige Gemeinde Jade verschlägt? Plausibel wäre das durchaus, obwohl manche Quellen in eine andere Richtung zielen und auf die Pest verweisen. Die seit Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa grassierende „Geißel des Mittelalters“ hat auch zu Beginn der Neuzeit nichts von ihrem Schrecken verloren: Zwischen 1502 und 1510 verzeichnen mehrere Regionen in Norddeutschland neue Ausbrüche, etwa das Kurfürstentum Hannover. Zwar scheint die angrenzende Grafschaft Oldenburg anders als in früheren Pest-Epidemien verschont zu bleiben. Trotzdem könnte die tödliche Seuche Hurrel in jenen Jahren von Süden her bedrohlich nahekommen.

Dass Jürgen auf einen Ort in der nördlichen Wesermarsch ausweicht, hat sehr wahrscheinlich nicht nur geographische Gründe. Denn Landesherr Johann V. ist stark daran interessiert, die dort gerade erst eroberten Gebiete – auf die zwischenzeitlich auch sein ostfriesischer Rivale Edzard I. ein Auge geworfen hat – zu befestigen und abzusichern. Deshalb verteilt er an Neusiedler großzügige Landgeschenke. Auf diese Weise gelangt Jürgen in den Besitz einer knapp sieben Hektar großen, halb aus Marschland und halb aus Moorboden bestehenden Fläche, die er fortan wie seine ähnlich geworbenen Nachbarn nach Meier-Recht bewirtschaftet. Als Gegenleistung muss er allerdings regelmäßig auf dem nächstgelegenen Vorwerk, das den Grafenhof in Oldenburg mit landwirtschaftlichen Produkten beliefert, aushelfen. Pflügen, Mähen, Heuen und Dreschen gehört dabei ebenso zu seinen Tätigkeiten wie Torf zu graben, Getreide zu transportieren, Schlachtvieh zu mästen oder sich bei regelmäßig stattfindenden Jagden als Treiber zur Verfügung zu stellen.

Ist Jürgen bei seiner Ankunft in Bollenhagen schon verheiratet? Hat er Kinder, die möglicherweise noch in Hurrel geboren sind? Auch darüber geben die wenigen zur Verfügung stehenden Quellen keine eindeutige Auskunft. Im Archiv der Oldenburgischen Gesellschaft für Familienkunde findet sich lediglich der Name eines Sohnes, Hinrich – zur Welt gekommen „um 1510“. Was aber durchaus für eine Geburt in der alten Heimat spricht.

Wie Jürgens Ehefrau heißt und woher sie stammt, ob in Bollenhagen später weitere Kinder zur Familie gehören und wann genau Jürgen dort stirbt, all das liegt heute im Dunkeln. Sehr wahrscheinlich erlebt er aber noch den Religionsstreit, den die 1517 durch Martin Luther ins Rollen gebrachte Reformation dem Oldenburger Herrscherhaus beschert: Während nach dem Tod des Grafen im Februar 1526 dessen Witwe Anna und die beiden ältesten Söhne Johann und Georg katholisch bleiben, treten die jüngeren Söhne Christoph und Anton sowie die einzige Tochter Anna zum evangelischen Glauben über. Er wird später die dominierende Konfession in der Region, zu der sich fortan auch Jürgens bis ins 19. Jahrhundert hinein in Bollenhagen ansässigen Nachkommen bekennen.