Heinrich Neuhaus – Biographie

Heinrich Bernhard Neuhaus wird am 8. März 1899 als zwölftes Kind von Johann Hinrich Neuhaus und Aline Gesine Neuhaus in Nordenholzermoor geboren. Er ist der jüngere Bruder von Hinrich Diedrich Neuhaus, Hermann Diedrich Neuhaus, Johann Neuhaus, Karl Heinrich Neuhaus, Bertha Neuhaus, Meta Louise Neuhaus, Margarete Baro, Gesine Diederike Neuhaus, Metta Diederike Neuhaus, Diedrich Neuhaus und Catharine Johanne Neuhaus und der ältere Bruder von Lina Johanne Neuhaus.

Am Vormittag des 1. März 1899 herrscht am Centralbahnhof in Oldenburg helle Aufregung: Kaiser Wilhelm II. legt mit seinem Sonderzug auf dem Weg nach Wilhelmshaven einen Zwischenstopp ein, um Großherzog Peter II. einen Besuch abzustatten. „In früher Morgenstunde schon stiegen an den Masten die Flaggen und Fahnen empor, und eine frohbewegte Menge belebte die Stadt, um dem Monarchen, wenn auch nur flüchtig, ins Auge zu schauen“, beschreibt später ein Reporter der „Nachrichten für Stadt und Land“ die Szenerie. Als die beiden Herrscher in einem Vierspänner Richtung Prinzenpalais fahren, jubelt ihnen eine große Menschenmenge zu.

Kaiser und Großherzog frühstücken gemeinsam, während im Palais-Hof zwei Musikkorps neben der obligatorischen Marschmusik Melodien aus den Opern „Lohengrin“ und „Wilhelm Tell“ erklingen lassen. Gereicht werden Austernsalat mit Kaviar, Hamburger Hühnchen und Käsestangen. Nach zwei Stunden geht es zurück Richtung Bahnhof, und auch dieses Mal vermeldet der Reporter „brausende Hurra-Rufe“. Glaubt man seinem Bericht, scheint der Besuch auch Wilhelm gefallen zu haben: „Allgemein fiel das frische Aussehen des Kaisers auf. Sein Antlitz ließ den häufig so oft bemerkten Ernst vermissen.“

Kaum weniger gelöst dürfte am Tag von Heinrichs Geburt die Stimmung auf einem anderen Ereignis sein – 6.000 Kilometer weiter westlich, in New York. Allerdings unter völlig anderen Vorzeichen: Am 8. März 1899 veranstalten die deutschen Vereine der Stadt in der Liederkranz-Halle ein Ehrenbankett zum 70. Geburtstag des ehemaligen US-Innenministers Carl Schurz. Der aus Liblar bei Köln stammende Politiker ist einer der prominentesten Deutschen, die 1849 nach der gescheiterten März-Revolution das Land verlassen mussten und seither aktiv die amerikanische Demokratie mitgestalten. Doch obwohl es Schurz vor diesem Hintergrund nie in den Sinn käme, Hochrufe auf den deutschen Kaiser auszubringen, ermuntert er in seiner Festrede die meist im Stadtteil Little Germany lebenden deutschstämmigen New Yorker, sich ihre Traditionen und Gebräuche zu bewahren: „Wer von uns neben der erlernten englischen Sprache die Pflege der alten beibehält, wird dadurch nicht ein schlechterer Patriot, sondern ein gebildeterer Amerikaner.“

Wie es Heinrichs aus Grüppenbühren stammende Eltern mit Kaisertreue und Patriotismus halten, lässt sich nur vermuten. Angesichts von elf zu versorgenden minderjährigen Kindern – die beiden jüngsten Töchter sterben 1898 und 1901 jeweils im Säuglingsalter – darf eines jedoch als gesichert gelten: Leicht gestaltet sich ihr Leben im nordöstlich von Hude gelegenen Moorgebiet gewiss nicht. Zumal Vater Johann Hinrich Neuhaus in Nordenholzermoor kein eigenes Land besitzt und die Familie als Heuerling über Wasser halten muss. Es seinem 1889 in die USA ausgewandertem Bruder Hinrich Bernhard nachzutun, ist allein schon aufgrund der für 13 Personen kaum bezahlbaren Schiffspassage keine Option.

Ob Heinrich seine gesamte Schulzeit in Nordenholzermoor verbringt, liegt heute im Dunkeln. Spätestens 1913 pachten seine Eltern jedoch in Hurrel von Carl Schwarting einen rund 20 Hektar großen Hof an der Pirschstraße (heute: Jörg und Monika Wittkopf). Nur ein Jahr später beginnt der Erste Weltkrieg, an dem Heinrichs ältere Brüder wahrscheinlich allesamt teilnehmen und der seinen 1896 geborenen Bruder Diedrich im Frühjahr 1918 das Leben kostet. Heinrich selbst kommt vermutlich nicht mehr oder nur noch kurz zum Einsatz, bevor der Waffenstillstand von Compiègne im November 1918 die deutsche Niederlage besiegelt und Wilhelm II. sich ins Exil nach Holland flüchtet.

Die politisch und wirtschaftlich schwierigen Nachkriegsjahre verbringt Heinrich auf dem elterlichen Pachthof in Hurrel. In dieser Zeit erlebt er im Geschwisterkreis nicht nur eine Doppel-Hochzeit, sondern auch eine Doppel-Auswanderung: Bruder Johann heiratet Gesine Baro aus Tweelbäke, deren Bruder Johann wiederum heiratet Heinrichs Schwester Margarete. Mit den noch in Tweelbäke geborenen Kindern Helmut und Herta Johanna folgen die beiden jungvermählten Paare der Spur tausender anderer deutscher Nordamerika-Immigranten aus dem alten Großherzogtum und dem neugegründeten Freistaat Oldenburg. Ihre Reise endet im US-Bundesstaat Iowa, wo sich Johanns Familie in Kesley niederlässt und Margarete mit Ehemann und Tochter in Hampton. Beide Orte liegen rund 30 Kilometer voneinander entfernt.

Ob sich Heinrich Mitte der 20er Jahre bereits ebenfalls mit dem Gedanken an eine Auswanderung trägt, ist nicht belegt – aber keineswegs unwahrscheinlich. Wobei auch in seinem Fall zwei Personen dazugehören, denn inzwischen sind er und Clara Wiedau vom benachbarten Wiedau-Hof (heute: Heinz und Alke Brinkmann) ein Paar. Spätestens als sich Claras vorübergehend gehegte Hoffnungen zerschlagen, eines Tages den elterlichen Hof übernehmen zu können, dürften die durch den brieflichen Kontakt zu den Geschwistern in Iowa befeuerten Nordamerika-Pläne jedoch sehr schnell sehr konkret werden.

Heinrich und Clara heiraten am 18. März 1927. Sechs Monate später verabschieden sich beide von ihren Familien und Freunden und besteigen in Bremerhaven den Auswandererdampfer „München“. Die Überfahrt verläuft teils ruhig, teils stürmisch und endet am 23. September 1927 in New York. Von dort geht es mit dem Zug über Chicago und Austinville weiter nach Kesley zu Bruder Johann und Schwägerin Gesine, die den Neuankömmlingen auf ihrer Farm zunächst Unterkunft gewähren. Schon bald pachten Heinrich und Clara jedoch ganz in der Nähe eine eigene Farm.

Sie hätten kaum einen schlechteren Zeitpunkt erwischen können. Denn schon vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 brechen in den USA die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse auf breiter Front zusammen – ein Prozess, der bald dramatische Formen annimmt. Kostet beispielsweise in Iowa geernteter Mais 1928 im Durchschnitt noch 82 Cent pro Bushel, so sind es Anfang 1933 nur noch 12 Cent. Weil Mais billiger ist als Holz, wird er teilweise zum Heizen verwendet. Millionen Farmer müssen aufgeben, teilweise hoch verschuldet. Irgendwie überstehen Heinrich und Clara die Krise, auch wenn sie in dieser Zeit zweimal von vorn beginnen.

Die von Präsident Franklin Delano Roosevelt eingeleiteten New-Deal-Reformen helfen, die schlimmste Not zu lindern. Mit ihrer dritten, nach zwischenzeitlichem Abstecher nach Aredale wieder in Kesley gelegenen Farm kommen Heinrich und Clara einigermaßen über die Runden. Nun stellt sich auch Nachwuchs ein: Im August 1938 wird Tochter Clara Mae geboren. Vom ein Jahr später ausbrechenden Zweiten Weltkrieg bleibt die kleine Familie anders als die in Deutschland zurückgebliebene Verwandtschaft weitgehend verschont. Und während die alte Heimat im Frühjahr 1945 ihre Stunde Null erlebt, können Heinrich und Adele zehn Kilometer nördlich von Kesley in Dumont eine eigene Farm kaufen. Sie auf- und auszubauen, widmen beide in den folgenden Jahren ihre ganze Schaffenskraft.

Fünf Monate, bevor die Amerikaner im November 1960 John F. Kennedy zum neuen Präsidenten wählen, heiratet Tochter Clara Mae Darland Woodley. Nach der Geburt der Enkelkinder Darla (1961) und Clark (1963) erleidet Heinrich einen Schlaganfall, von dem er sich nur langsam erholt. Er stirbt am 15. Dezember 1967 nach einem zweiten Schlaganfall und wird drei Tage später auf dem Friedhof von Dumont beerdigt.