Gesine Schweers – Biographie

Gesine Christine Bernhardine Schweers wird am 4. Juli 1875 als zweites Kind von Tönjes Hinrich Wilkens und Gesine Wilkens auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Udo und Svetlana Wilkens) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Anna Tönjes und die ältere Schwester von Bernhard Wilkens, Hinrich Wilkens und Friedrich Wilkens. Darüber hinaus hat sie mit Heinrich Wilkens, Johann Heinrich Wilkens und Catharine Grummer drei ältere Halbgeschwister aus den beiden früheren Ehen ihres Vaters mit Metta Margareta Wilkens und Gesche Margarete Wilkens.

Kurz vor Gesines Geburt endet die Geschichte der erst 1872 mit großen Plänen gestarteten Deutschen Transatlantischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Gegründet und finanziert von einem Berliner Banken-Konsortium, sollte die nach ihrer Flagge „Adler-Linie“ genannte Gesellschaft der Hamburger Großreederei Hapag Konkurrenz machen – gerät jedoch schon im zweiten Jahr ihres Bestehens in den Sog des Gründerkrachs. Im Zuge dieser 1873 in Österreich-Ungarn beginnenden Finanzkrise kühlt sich die Konjunktur weltweit ab, auf vielen Märkten kommt es zu einem scharfen Einbruch.

Betroffen ist auch das bis dahin äußerst lukrative Geschäft mit Amerika-Auswanderern: Kostet eine Zwischendeck-Überfahrt von Hamburg oder Bremerhaven nach New York 1872 noch 55 Taler, so sind es im Herbst 1874 nur noch 30 Taler. Trotzdem sinkt die Nachfrage, weil die Krise die Wirtschaft in den USA im Vergleich zum Deutschen Reich noch härter trifft. Da ein kostendeckender Betrieb der Flotte auf diesem Niveau nicht mehr möglich ist, handelt Verwaltungsrats-Chef Robert Miles Sloman mit dem Konkurrenten Hapag eine Übernahme aus. Diese wird von den Hapag-Aktionären im April 1875 beschlossen und soll am 7. Mai 1875 in Kraft treten.

Viel stärker mit diesem Datum verbunden als die geplante Übernahme ist jedoch das Schicksal des bis dahin von der Adler-Linie betriebenen Auswandererschiffes „Schiller“. Es befindet sich am 7. Mai mit rund 250 Passagieren und 100 Besatzungsmitgliedern auf dem Rückweg von New York nach Hamburg und läuft gegen Abend vor der Südwestspitze Englands bei dichtem Nebel auf ein Riff auf. Dabei finden den amtlichen Angaben zufolge 335 Menschen den Tod, von den 144 Frauen und Kindern an Bord überlebt lediglich eine einzige Frau. Über die herzzerreißenden Szenen, die sich auf dem Dampfer auch aufgrund gravierender Sicherheitsmängel bis zum Morgengrauen abspielen, druckt die Zeitschrift „Die Gartenlaube“ Anfang Juli 1875 einen Augenzeugenbericht.

Die Havarie der „Schiller“ ist nur eines von vielen Schiffsunglücken im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Dabei sind immer wieder auch Auswanderer betroffen – beispielsweise beim Untergang der „Cimbria“ im Januar 1883 nahe der Nordsee-Insel Borkum. Warum gerade auch im eher industrieschwachen Großherzogtum Oldenburg der Strom an Menschen, die in Nordamerika eine bessere Zukunft suchen, nicht abreißt, zeigt die Geschichte von Gesines Familie geradezu beispielhaft auf. Es gibt sieben das Erwachsenenalter erreichende Kinder, aber nur einen Hof. Den übrigen sechs bleibt nur die Möglichkeit, in einen anderen Hof einzuheiraten, sich als Heuerling zu verdingen oder eben auszuwandern.

Auf das letztgenannte Abenteuer lassen sich gleich drei von Gesines Geschwistern ein. Den Anfang machen im Frühjahr 1893 zeitgleich Halbbruder Johann Heinrich und Schwester Anna. Johann Heinrich zieht mit seiner ebenfalls aus Hurrel stammenden Verlobten Sophie Tönjes nach Chicago und gründet dort später einen gut florierenden Fleischhandel. Anna lässt sich mit ihrem späteren Mann Heinrich Tönjes – ein Vetter von Sophie – in Pender im US-Bundesstaat Nebraska nieder. Die gleiche Route nimmt Gesines jüngster Bruder Friedrich, der nach seiner Auswanderung im September 1911 zunächst einige Jahre auf der Farm von Anna und Heinrich arbeitet.

Ob dieser Weg auch für Gesine eine Option gewesen wäre, lässt sich nur vermuten. Allein, die Frage stellt sich nicht: Ihr künftiger Ehemann Hinrich Schweers ist der jüngste Sohn seiner Eltern und erbt folglich den an der Pirschstraße in direkter Nachbarschaft des Wilkens-Hofes gelegenen Schweers-Hof (heute: Ingo und Edo Schweers). Die beiden gleichaltrigen Brautleute, die sich schon seit ihrer frühen Kindheit und der gemeinsamen Schulzeit in Lintel kennen, heiraten am 3. November 1899 und Gesine verlagert ihren Lebensmittelpunkt 800 Meter weiter nach Süden.

Wie ihre Schwester Anna in Nebraska, mit der sie Briefkontakt hält, bringt Gesine in den ersten beiden Jahren ihrer Ehe zwei Töchter zur Welt. Während Annas Erstgeborene Sophie allerdings noch im Säuglingsalter stirbt, überstehen Gesines Töchter Anna und Berta die zu jener Zeit stets etwas kritischen ersten Jahre offenbar ohne größere Probleme. Nicht so der im Januar 1904 geborene Sohn Johann: Er überlebt seinen ersten Geburtstag nur um zwei Wochen. Auch die dritte Tochter Frieda schafft es nicht, sie stirbt im Februar 1911 kurz vor ihrem dritten Geburtstag an einer Lungenentzündung. Im Juni 1914 kommt dann mit Diedrich noch ein weiterer Sohn hinzu.

Zumindest Diedrich muss Gesine weitgehend alleine aufziehen: Ab August 1914 tobt der Erste Weltkrieg durch Europa, Hinrich wird zur Armee eingezogen. Im Frühjahr 1916 erhält Gesine schließlich die Nachricht, dass ihr Ehemann an der Ostfront ohne Feindeinwirkung einem Unglück zum Opfer gefallen ist – was genau sich damals ereignet hat, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.

Die folgenden Jahre sind für Gesine nicht leicht, doch irgendwie schafft sie es, den Hof durch die Wirren der Nachkriegszeit und der großen Hyperinflation zu steuern. In Sohn Diedrich steht ein Nachfolger bereit, dem sie spätestens nach dessen Heirat mit Adele Stolle im Juli 1935 das Tagesgeschäft überlässt. Dass Diedrich nur wenige Jahre später ein ganz ähnliches Schicksal erleiden wird wie sein Vater, erlebt sie nicht mehr: Gesine stirbt am 27. November 1937 im Alter von 62 Jahren an einer Kreislaufstörung. Beerdigt ist sie vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.