Diedrich Wilken – Biographie

Johann Diedrich Wilken – Rufname Diedrich – wird am 16. Februar 1914 als erstes Kind von Johann Wilken und Martha Wilken in Holle geboren. Er ist der ältere Bruder von Selma Abend, Georg Wilken, Käthe Schäck, Elfriede Burgenger und Helmut Wilken.

Vier Tage nach Diedrichs Geburt verurteilt das Frankfurter Landgericht die prominente Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Rosa Luxemburg wegen Aufforderung zum Ungehorsam zu einem Jahr Gefängnis. „Bei einem eventuellen Kriege sollten die Arbeiter sich erst besinnen, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, auf ihre gleichgesinnten Brüder im Feindesland zu schießen“, hatte Luxemburg im Herbst 1913 auf mehreren Wahlveranstaltungen in die Menge gerufen. Und den Zuhörern die aus ihrer Sicht einzig richtige Antwort gleich mitgeliefert: „Wir tun das nicht!“

Mit ihrem Antrag, aufgrund drohender Fluchtgefahr den sofortigen Vollzug der Strafe anzuordnen, dringt die Staatsanwaltschaft allerdings nicht durch. Luxemburg bleibt zunächst auf freiem Fuß und agitiert in den folgenden Monaten auf Parteiveranstaltungen unverdrossen weiter gegen den Militarismus des deutschen Kaiserreichs. Das Publikum feiert sie zwar für ihren Mut, der Obrigkeit die Stirn zu bieten – weniger jedoch für ihren Internationalismus: Weder im Vorstand noch an der Basis der SPD ist die Stimmung am Vorabend des Ersten Weltkriegs radikal pazifistisch. Von weiten Teilen der übrigen Bevölkerung ganz zu schweigen, wie ein zweites Ereignis vom 20. Februar 1914 nahelegt: Auf einer Tagung des mehr als 500.000 Mitglieder starken Jungdeutschland-Bundes in Berlin spricht sich deren Gründer Colmar von der Goltz unter starkem Beifall der Delegierten dafür aus, die „Wehrertüchtigung der deutschen Jugend“ noch einmal zu intensivieren.

Als es im August 1914 nach der Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Ehefrau Sophie in Sarajevo und der Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten ernst wird, findet sich bald auch Johann Wilken im bewaffneten Kampf  wieder. In seinen ersten Lebensjahren dürfte Diedrich deshalb den Vater, der vor seiner Einberufung die Gaststätte „Holler Hof“ betreibt und im Laufe des Krieges einen Beindurchschuss erleidet, deshalb kaum zu Gesicht bekommen.

Nach Kriegsende gibt Johann Wilken den Beruf des Gastwirts auf und kauft im heute zu Oldenburg gehörenden Teil von Tweelbäke einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. Dort wächst Diedrich mit seinen Geschwistern auf und besucht die nahegelegene Volksschule Drielakermoor (heute: Paul-Maar-Schule). Angesichts zweier jüngerer Brüder macht er sich von vornherein keine Hoffnungen auf eine Übernahme des elterlichen Hofes und geht nach Schulabschluss bei einem Bauern in Neuenwege in Stellung, später dann bei einem anderen Bauern in Almsloh.In den allgemein schwierigen Jahren der Weltwirtschaftskrise folgt Diedrich kurzfristig dem Beispiel einiger ehemaliger Schulkameraden, die in Schleswig-Holstein Anstellung auf einem größeren Gut gefunden haben. Wo genau er dort arbeitet, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kehrt er jedoch in den Großraum Oldenburg zurück und fährt fortan LKW für eine Spedition in Wilhelmshaven.

An den Wochenenden nimmt Diedrich mit Freunden mitunter weite Wege in Kauf, um Tanzveranstaltungen in der Region zu besuchen. Dabei verschlägt es ihn auch des Öfteren nach Altmoorhausen, wo die männliche Dorfjugend von der auswärtigen Konkurrenz allerdings wenig erbaut ist und sich Erzählungen aus der Familie zufolge mindestens einmal an seinem Fahrrad vergreift. Da Diedrich im späteren Altmoorhauser Krug mit Minna Spreen aus Hurrel seine künftige Ehefrau trifft, dürfte ihm dies aber herzlich egal sein.

Bevor Diedrich Minna zum Traualtar führen kann, halten die neuen, auf Wiederaufrüstung erpichten Machthaber noch eine andere Aufgabe für ihn bereit: Er wird im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes zum Bau des Westwalls herangezogen und marschiert alsbald Richtung Kirn an der Nahe ab. Vor Ort kommt Diedrich bei den Eltern von Willy Annuss unter, mit dem er sich in den folgenden Monaten anfreundet. Einmal in dieser Zeit erhält er sogar Besuch von Minna – was dafür spricht, dass die Beziehung bereits recht gefestigt ist.

Nach Beendigung seines Arbeitsdienstes fährt Diedrich zunächst weiter LKW – auch, als im September 1939 mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg beginnt. Nach der im Mai 1941 gefeierten Hochzeit mit Minna zieht er auf den Hof seiner Schwiegereltern Friedrich und Mathilde Spreen in Hurrel. Zwölf Monate später kommt Tochter Erika zur Welt, die aber wie eine Generation zuvor Diedrich nach dessen Einberufung zur Wehrmacht zunächst ohne Vater aufwächst. Über die folgenden drei Jahre in Diedrichs Leben ist heute in der Familie lediglich bekannt, dass er Anfang 1945 an der Ostfront schwer verwundet wird und anschließend mit einem Lazarettschiff nach Dänemark gelangt, wo ihm die behandelnden Ärzte das linke Bein amputieren müssen. Nach Kriegsende kommt er nach Delmenhorst, wo Minna und Erika ihn mit Pferd und Wagen abholen und nach Hurrel bringen.

Diedrichs Brüder Georg und Helmut sind anders als er selbst nicht aus dem Krieg zurückgekehrt – was die Erbfolge in Diedrichs Familie natürlich von Grund auf verändert. Obwohl er viel lieber in seinem Beruf als Kraftfahrer weitergearbeitet hätte, sieht sich Diedrich als einziger verbliebener Sohn in die Rolle des Hofnachfolgers gedrängt. Anfang 1946 zieht er deshalb mit Minna und Erika nach Tweelbäke zurück, wo anfangs neben seinen Eltern auch noch die drei Schwestern wohnen. Während die zweitälteste Schwester Käthe noch im selben Jahr heiratet und das Elternhaus verlässt, kommen mit der zweiten Tochter Inge (September 1946) und Sohn Egon (Februar 1948) weitere Familienmitglieder hinzu.

Obwohl in den folgenden Jahren auch die anderen Schwestern ausziehen, bietet der nach einem Landkauf Anfang der 50er Jahre rund zehn Hektar große Hof als dauerhafte Lebensgrundlage wenig Perspektiven. Zumal Diedrich angesichts seiner Kriegsverletzung und des begrenzten Interesses für die Landwirtschaft darauf verzichtet, sich für eine weitere Vergrößerung zu verschulden. Als 1970 Vater Johann stirbt, gibt Diedrich deshalb den Betrieb auf und arbeitet fortan stundenweise als Hausmeister bei der Post – was ihm ausreichend Zeit für andere Aktivitäten lässt. Nachdem er sich bereits einige Jahre zuvor den Herzenswunsch erfüllt hat, zusammen mit Minna im erst kurz zuvor angeschafften eigenen Auto nach Kirn zu fahren und die ihn in den 30er Jahren beherbergende Familie von Willy Annuss zu besuchen, findet er schnell Gefallen am Reisen. Und natürlich am Autofahren: Geht es mit befreundeten Ehepaaren Richtung Harz oder auch mal in den Schwarzwald, sitzt meistens Diedrich hinter dem Lenkrad.

Kurz nach Diedrichs und Minnas 40. Hochzeitstag, zu dem auch Willy Annuss aus Kirn anreist, stirbt Diedrichs Mutter Martha. Außer Minna und ihm selbst leben zu diesem Zeitpunkt noch Tochter Inge, deren Ehemann Erich Ulpts und die Enkelkinder Jens und Silke auf dem ehemaligen Wilken-Hof. Da Diedrich schon seit längerem mit Herzproblemen kämpft und überdies fast sechs Jahre älter ist, rechnet er fest damit, in jedem Fall vor Minna gehen zu müssen. Doch es kommt anders: Bereits 1987 erkrankt Minna das erste Mal an Krebs. Sie stirbt, ohne je wieder völlig gesund zu werden, im Januar 2001.

Nach Minnas Tod verbringt Diedrich seine letzten Lebensjahre im Kreise der Familie von Tochter Inge, wo er im Februar 2004 den 90. Geburtstag feiert. Trotz seines fortgeschrittenen Alters fährt er noch immer sehr gerne Auto – was ihm wenige Monate später zum Verhängnis wird: Am 13. April 2004 nimmt Diedrich auf dem Müllersweg in Oldenburg einem LKW die Vorfahrt, er stirbt kurz darauf im Krankenhaus. Beerdigt ist Diedrich sieben Tage später auf dem Alten Friedhof in Osternburg.