Anna Hermine Schütte wird am 25. Juli 1908 als neuntes Kind von Johann Hinrich Rüdebusch und Meta Sophie Rüdebusch auf dem elterlichen Hof in Grummersort (heute: Heino Rüdebusch) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Gesine Jüchter, Sophie Jochens, Johann Carl Rüdebusch, Wilhelmine Grummer, Carl Friedrich Rüdebusch, Anna Mathilde Rüdebusch, Martha Wöhler und Hinrich Hermann Rüdebusch.
Kurz vor Annas Geburt macht Melitta Bentz – eine bis dato unbekannte Dresdener Hausfrau – eine Erfindung, die Kaffeetrinkern noch heute den Genuss erleichtert. Weil sie sich schon lange über die unhandlichen Trichter und Textil-Filter ärgert, die während des Aufbrühens verhindern sollen, dass Kaffeesatz in den fertigen Kaffee gelangt, nimmt sie kurzerhand das Löschpapier aus dem Schulheft ihres Sohnes und legt dieses in eine Konservendose, deren Boden sie zuvor mit Nägeln durchlöchert hat.
Das denkbar einfache Verfahren kommt in Melittas Bekanntenkreis so gut an, dass sie beschließt, sich darauf ein Patent geben zu lassen und es zu vermarkten. Aus einer am 15. Dezember 1908 mit einem Eigenkapital von 73 Pfennigen ins Handelsregister eingetragenen Ein-Personen-Firma wird im Laufe der Jahrzehnte ein Weltkonzern mit mehr als 5.600 Beschäftigten und einem Umsatz von fast 1,7 Milliarden Euro (Stand: Dezember 2019).
Bis die praktischen Papier-Filtertüten auch im Oldenburger Land in dem einen oder anderen Haushalt zu finden sind, vergeht gleichwohl noch eine ganze Weile. In den harten Zeiten des Ersten Weltkriegs, in denen Anna die Wüstinger Volksschule besucht, ist in ihrem Umfeld an Kaffeegenuss ohnehin nicht zu denken. Bestenfalls an Ersatzkaffee, für den es dann aber mit einiger Sicherheit einen wiederverwendbaren Filter gibt und kein Wegwerfprodukt aus dem Hause Melitta.
Wie in zahllosen anderen Familien reißt der Erste Weltkrieg im Hause Rüdebusch Lücken. Annas ältester, 1892 geborener Bruder Johann Carl fällt den amtlichen Verlustlisten zufolge im Frühsommer 1916. Ob Anna im Frühjahr 1922 oder zwölf Monate später und damit kurz vor dem Höhepunkt der Hyperinflation die Schule verlässt, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Danach bleibt sie zunächst auf dem elterlichen Hof, für den der jüngste Sohn Hinrich Hermann als Erbe vorgesehen ist. Als dieser im Juli 1929 – wenige Monate vor Ausbruch der bald auch Deutschland erreichenden Weltwirtschaftskrise – Alma Mathilde Heyne heiratet, verlässt Anna ihr Elternhaus und geht beim Wüstinger Bauern Georg Wragge in Stellung.
Ihren künftigen Ehemann lernt Anna noch in Grummersort kennen: Heinrich Schütte, der Neffe ihres Nachbarn Friedrich Buchholz, beginnt 1922 auf dem Hof seines Onkels (heute: Hofgemeinschaft Grummersort) eine landwirtschaftliche Ausbildung. Anna und Heinrich heiraten am 25. Oktober 1932 und ziehen in Heinrichs Heimatdorf Hurrel, wo sie zunächst einen dreieinhalb Hektar umfassenden, zum Hof von Bernhard Haverkamp gehörenden Pachtbetrieb am Goehlweg (heute: Marie Herrmann) bewirtschaften.
Auf Dauer bietet der gepachtete Hof keine Lebensgrundlage, das ist beiden schnell klar. Schon 1934 beschließen Anna und Heinrich deshalb, sich für eines der von den Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme großzügig geförderten Siedlungsprojekte zu bewerben. Ein vom zuständigen Siedlungsamt in Oldenburg zur Besichtigung angebotenes Grundstück am Prinzendamm in Jeddeloh sagt Anna jedoch ebenso wenig zu wie der Gedanke, die vertraute Heimat zu verlassen und in den Weiten Mecklenburgs ihr Glück zu suchen. Am Ende gehören Anna und Heinrich zu jenen 50 ausgewählten Paaren, die sich im Frühjahr 1935 im neu gegründeten Benthullen niederlassen dürfen.
Während Heinrich mit Mitgliedern des Reichsarbeitsdienstes die Besiedlung des zugeteilten Grundstücks vorbereitet, bleibt Anna zunächst in Hurrel und führt den Pachthof weiter. Erst im November 1935 zieht auch sie nach Benthullen. Zu diesem Zeitpunkt ist Anna bereits schwanger: Sohn Helmut wird im März 1936 geboren.
Die folgenden Jahre sind von harter Pionierarbeit geprägt, wobei für Anna neben der täglichen Plackerei im Moor noch die Versorgung der beiden Kinder – der zweitgeborene Sohn Werner macht im Mai 1939 die Familie komplett – hinzukommt. Ab Juni 1940 lastet dann die Verantwortung für die Bewirtschaftung des Hofes ganz allein auf Annas Schultern: Neun Monate nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Heinrich zur Wehrmacht eingezogen. Hilfe in der Landwirtschaft gibt es allerdings von mehreren Kriegsgefangenen, darunter dem französischen Friseur Marcel und einem russischen Mädchen namens Nadeschda, die beide bis zum Kriegsende in Benthullen bleiben.
Nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 wird die Situation für Anna naturgemäß nicht einfacher. Heinrich hat den Krieg zwar überlebt, ist aber im Herbst 1944 in Frankreich in Gefangenschaft geraten und wartet in einem englischen Lager auf seine Freilassung. Um diesen Prozess zu beschleunigen, spricht Anna zusammen mit dem Benthullener Lehrer Gerd Reinders mehrfach bei den britischen Besatzungsbehörden in Oldenburg vor – und hat Erfolg: Im Juli 1947 kann Heinrich vorzeitig in die Heimat zurückkehren. Bei den nötigsten Arbeiten auf den Feldern helfen bis dahin unter anderem auf dem Schütte-Hof einquartierte Vertriebene wie Pauline Türich, die aus Schlesien stammt.
Die kommenden zwei Jahrzehnte stehen für Anna und Heinrich wie für die meisten Bürger der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland im Zeichen des Aufschwungs – auch wenn die sprichwörtlichen Wirtschaftswunderjahre andernorts sicher üppiger ausfallen als im noch immer stark vom Ringen mit den unwirtlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen des Moores geprägten Benthullen. Während Heinrich sich neben der Arbeit auf dem Hof an verschiedenster Stelle ehrenamtlich engagiert, gehört Anna zu den Mitbegründerinnen des örtlichen Landfrauenvereins und freut sich wie Heinrich an der ab 1957 stetig wachsenden Schar an Nachkommen: Bis zur Feier der Goldenen Hochzeit im Oktober 1982 sind es insgesamt neun Enkelkinder.
Nach Heinrichs plötzlichem Tod im Januar 1988 lebt Anna weiter im Haushalt von Sohn Helmut und Schwiegertochter Elisabeth, die inzwischen die Bewirtschaftung des Hofes übernommen haben. Dort stirbt Anna am 11. Oktober 1990 an Altersschwäche und wird wenige Tage später auf dem Benthullener Friedhof beerdigt.