Heinrich Quitsch – Biographie

Heinrich August Quitsch wird am 22. Februar 1904 als viertes Kind von Hermann Quitsch und Johanne Quitsch auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Marlies und Markus Pape) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Friedrich Wilhelm Quitsch, Johann Quitsch und Henriette Den Hoed und der ältere Bruder von Käthe Logemann, Ewald Quitsch, Gesine Steimke und Martha Grashorn.

In den Tagen um Heinrichs Geburt machen gleich zwei koloniale Verkehrs-Projekte von sich reden. Im Osten Chinas nimmt nach sechsjähriger Bauzeit die unter Leitung des deutschen Ingenieurs Friedrich Kramer entstandene Shantung-Bahn ihren Betrieb auf. Sie verbindet Tsingtau, die Hauptstadt der deutschen Kolonie Kiautschou, mit der 400 Kilometer entfernten chinesischen Provinzhauptstadt Jinan. Dort ankommende Züge haben nicht nur Anschluss an das gesamte chinesische Eisenbahnnetz, sondern auch an die Transsibirische Eisenbahn. Von deren westlichem Endpunkt Moskau bis nach Berlin ist es dann verglichen mit der bereits zurückgelegten Strecke ein Katzensprung. Für die insgesamt fast 12.000 Kilometer von Tsingtau nach Berlin benötigen Bahn-Reisende fortan nur noch maximal vierzehn Tage. Auf der neuen Verbindung transportiert werden allerdings in erster Linie Rohstoffe wie Kohle und Eisenerz.

Noch ganz am Anfang steht der Bau des Panama-Kanals – obwohl mit den ersten Arbeiten bereits 1881 begonnen wurde. Die zunächst federführende französische Gesellschaft Société Civile Internationale du Canal Interocéanique unterschätzt jedoch die Probleme, die der Bau einer 82 Kilometer langen Wasserstraße durch tropisches und sumpfiges Gelände verursacht, und muss 1888 Konkurs anmelden. Nach einer langen Phase des Stillstands übernehmen 1902 die USA das für ihre Rolle als angehende Weltmacht strategisch bedeutsame Projekt. Im November 1903 trägt die Besetzung des Baugebiets durch US-Truppen maßgeblich zur Ausrufung des danach vom einstigen Mutterland Kolumbien unabhängigen Staates Panama bei. Am 23. Februar 1904 ratifiziert der US-Senat mit 66 zu 14 Stimmen den Hay-Bunau-Varilla-Vertrag, der der amtierenden Regierung unter Präsident Theodor Roosevelt umfangreiche Besitz- und Nutzungsrechte garantiert.

Medial in den Schatten gestellt werden beide Ereignisse vom Russisch-Japanischen-Krieg, der seit seinem Ausbruch am 8. Februar 1904 auch im Deutschen Reich Schlagzeilen macht. „Vom Kriegsschauplatze verlautet wenig Zuverlässiges, doch deuten die Anzeichen auf ein nahe bevorstehendes Zusammentreffen der Landstreitmächte hin“, melden beispielsweise die in Oldenburg erscheinenden „Nachrichten für Stadt und Land“ am 23. Februar auf Seite 1. Wofür aber auf dem Quitsch-Hof im nahegelegenen Hurrel angesichts von Heinrichs geglückter Geburt niemand ein offenes Ohr oder Auge haben dürfte. Zumal in der Familie die Erinnerung an einen schmerzhaften Verlust noch frisch ist: Nur wenige Wochen zuvor hat ein Magen-Darm-Infekt den fünfjährigen Sohn Friedrich Wilhelm das Leben gekostet.

In Hurrel ansässig sind Heinrichs Eltern erst seit 1897. Vater Hermann, der auf dem in jenem Jahr neu errichteten Hof neben der Landwirtschaft das Schneiderhandwerk betreibt, stammt aus Ostpreußen, Mutter Johanne aus Munderloh. Bereits zwei Jahre nach Heinrichs Geburt verkauft Hermann Quitsch den Besitz aus heute nicht mehr bekannten Gründen an Bernhard Diedrich Schütte und zieht mit der Familie auf einen Pachthof nach Vielstedt. Zusammen mit den dort geborenen Geschwistern Käthe und Ewald geht es dann weiter nach Hude und schließlich im Laufe des Jahres 1910 nach Lintel, auf einen kleinen, zum Hof von Johann Kreye gehörenden Heuerbetrieb. Dort kommen 1911 und 1912 die beiden jüngsten Geschwister Gesine und Martha hinzu.

Nach dem Umzug besucht Heinrich die von seinem Elternhaus nur 150 Meter entfernte Volksschule Lintel. Zu den gleichaltrigen, von Adolf Christian Poppe unterrichteten Mitschülern gehören unter anderem August Geerken, Heinrich Georg Hoffrogge, Georg Hollmann, Dietrich Janzen, Heinrich Runge, Johann Wachtendorf sowie der ebenfalls frisch zugezogene Nachbarsjunge Heinrich Dählmann. Mit ihnen erlebt Heinrich im Sommer 1914 die Juli-Krise und den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Zu den zahlreichen Männern des Dorfes, die daraufhin zum Kriegsdienst eingezogen werden oder sich freiwillig melden, gehört auch Vater Hermann. Ihn sieht Heinrich danach vermutlich nur noch wenige Male, er stirbt im Oktober 1916 in einem Lazarett an der Ostfront.

Die folgenden Jahre müssen für die Familie enorm fordernd sein. Mutter Johanne, zu jenem Zeitpunkt mutmaßlich schon an Darmtuberkulose erkrankt, muss sieben Kinder versorgen und irgendwie über die Runden bringen. Unterstützung bekommt sie dabei unter anderem von Annchen Mathilde Kreye, der Ehefrau ihres Verpächters. Auf dessen Hof, so sieht es der Pachtvertrag vor, müssen Heinrich und seine Geschwister im Gegenzug je nach Bedarf kräftig mit anpacken. Während der ältere Bruder Johann – beim Tod des Vaters 16 Jahre alt – zunächst ebenfalls das Schneiderhandwerk erlernt und zudem dessen Pächter-Rolle übernimmt, beginnt Heinrich nach Schulabschluss und Konfirmation eine Lehre bei einem Schuhmacher in Wiefelstede.

Johanne Quitsch stirbt am 7. Oktober 1922. Sehr wahrscheinlich lebt Heinrich beim Tod der Mutter bereits wieder in Lintel und richtet sich, während die von den Folgen des verlorenen Krieges angeheizte Inflation durch die Decke schießt, auf der Pachtstelle der Familie eine kleine Schuhmacher-Werkstatt ein. Dort wohnen in den folgenden Jahren außer ihm noch Bruder Johann, dessen Ehefrau Hermine und deren zwischen 1923 und 1931 geborene Kinder Elli, Ewald und Hilde sowie Heinrichs jüngere Geschwister Ewald und Gesine.

Nach zahlreichen wirtschaftlichen und politischen Krisen erreicht die Ende 1918 ausgerufene Weimarer Republik Mitte der 1920er Jahre endlich halbwegs ruhiges Fahrwasser. In Lintel ähnlich wie in Berlin, München oder anderen Großstädten von den „Goldenen Zwanzigern“ zu sprechen, wäre aber sicher maßlos übertrieben. Eine gewisse Entspannung nach den Jahren von Krieg und Chaos ist gleichwohl unverkennbar – was sich unter anderem am Vereinsleben des Dorfes ablesen lässt. Schützenverein und Männergesangsverein stehen nach eher schleppendem Neubeginn wieder in voller Blüte. Ähnliches gilt für den 1904 gegründeten „Radfahrverein Vorwärts Lintel“, in dem Heinrich und seine Geschwister sehr aktiv sind. Er selbst übernimmt dort um das Jahr 1930 herum den Vorsitz und organisiert in dieser Funktion das jedes Jahr Anfang August im Gasthof von Friedrich Knutzen stattfindende Stiftungsfest mit feierlichem Umzug, Festball und diversen Wettkämpfen. Auch bei einer plattdeutschen Laien-Spielgruppe (Vorbild für die 1979 gegründete „Speelkoppel Lintel“) ist Heinrich laut Tochter Hella Bisanz in jenen Jahren dabei.

Die wirtschaftliche Erholung Deutschlands endet abrupt in der von den USA ausgehenden Weltwirtschaftskrise. Sie liefert von 1931 an den Nährboden für den Aufstieg der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler. Das deutsche Schicksals-Jahr 1933, in dem Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernennt und damit der NS-Diktatur den Weg bereitet, beschert auch der Quitsch-Hofstelle in Lintel eine wichtige Änderung: Bruder Johann zieht mit seiner Familie nach Munderloh, Heinrich wird alleiniger Pächter.

Wann genau Ewald und Gesine Quitsch die Hofstelle verlassen, ist heute nicht mehr bekannt. Heinrich jedenfalls etabliert sich dort in den folgenden Jahren mit seiner Schuhmacher-Werkstatt und legt im Juni 1937 vor der zuständigen Handwerkskammer die Meisterprüfung ab. Er bildet danach nicht nur diverse Lehrlinge aus, sondern beschäftigt – da zunächst weiter unverheiratet – in Person von Marie Tönjes auch eine festangestellte Haushälterin. Zudem baut er zu Lasten der bis in die 1920er Jahre hinein betriebenen Imkerei die Geflügelhaltung aus. Die Aufzucht von Junghennen und der Handel mit Eintagsküken entwickeln sich schnell zu einem florierenden Geschäftsmodell, das Heinrich im 1939 durch den von Hitler befohlenen Überfall auf Polen vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieg möglicherweise sogar die Einberufung zur Wehrmacht erspart. Bruder Ewald hat dieses Glück nicht: Er erhält einen Stellungsbefehl und stirbt nach Kriegsende in sowjetischer Gefangenschaft.

Von den knapp 700.000 männlichen Angehörigen des Geburtsjahrgangs 1904 werden dem Lexikon der Wehrmacht zufolge bis zum Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 rund 160.000 einberufen. Einer von Heinrichs Linteler Schulkameraden, der ebenfalls von diesem Schicksal verschont wird, ist Heinrich Runge, wie Heinrich selbst noch Junggeselle. Während Ersterer zunächst weiter unverheiratet bleibt, läuten für Heinrich mitten im Krieg die Hochzeitsglocken: Am 10. April 1943 heiratet er Paula Fülle aus Seefelderaußendeich. Beide haben sich in Altmoorhausen kennengelernt, wo Paula zeitweise beim Gastwirt Anton Budde als Köchin gearbeitet hat.

Nach der Hochzeit zieht Paula zu Heinrich nach Lintel. Dort geraten Heinrich und sein Nachbar Adolf Stöver nach den Worten von Heinrichs Tochter Hella Bisanz noch in den letzten Kriegswochen in Konflikt mit fanatischen Nationalsozialisten, die ihnen sogar mit Erschießung drohen. Worum es dabei konkret geht, lässt sich allerdings mehr als 80 Jahre später nicht mehr zweifelsfrei ermitteln geschweige denn belegen.

Der Krieg endet am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Lintel ist wie die meisten Nachbardörfer bereits einige Wochen zuvor von kanadischen Truppen eingenommen worden – nach zwölf Jahren NS-Herrschaft eine Befreiung, auch wenn die meisten Menschen das damals wohl kaum so empfinden. Unmittelbar darauf beginnen Entnazifizierung und demokratischer Wiederaufbau, an dem auf Linteler Seite Heinrichs Verpächter Karl Kreye als späterer Bürgermeister von Hude beteiligt ist.

Die zahlreichen Entbehrungen der folgenden Jahre hin oder her – dass nahezu alle Linteler von der Rückkehr demokratischer Verhältnisse profitieren, steht außer Frage. Das gilt selbstverständlich auch für Heinrich. So gelingt es ihm relativ früh, mit seiner Werkstatt und der Kükenbrüterei an bessere Vorkriegszeiten anzuknüpfen. Drei Monate nach der Währungsreform vom Juni 1948 sorgt dann ein ganz besonderes Ereignis für einen zusätzlichen Lichtblick: Tochter Hella kommt zur Welt.

Am 17. Oktober 1953 lässt Heinrichs ehemaliger, nach Hemmelsberg verzogener Nachbar Heinrich Hoffrogge im Gasthof von Friedrich Knutzen seinen von der Quitsch-Pachtstelle nur 300 Meter entfernt liegenden, rund neun Hektar großen Hof öffentlich versteigern. Für Heinrich eine günstige Gelegenheit, sich endlich seiner Verpflichtungen aus dem Pachtvertrag mit Karl Kreye zu entledigen. Er bietet mit und erhält prompt den Zuschlag. Der Umzug auf die andere Seite der Linteler Straße zieht nach einigen Umbauten eine deutliche Vergrößerung der Geflügelzucht nach sich. So schafft Heinrich – zeitlebens sehr technikaffin – unter anderem vier Brutmaschinen an, die insgesamt 40.000 Eier fassen. Seine Tätigkeit als Schuhmacher hingegen fährt er in den folgenden Jahren deutlich zurück.

Schon seit 1950 ist der wegen des Krieges auf Eis gelegte und 1945 von den Besatzern zunächst verbotene Schützenverein Lintel wieder aktiv. Dort hatte Heinrich Anfang 1938 nach der Auflösung des örtlichen Radfahrvereins den Vorsitz übernommen. Eine Position, die er nach dem Neustart abermals innehat und in die er bis zu seinem Rücktritt 1963 viel Zeit und Herzblut investiert. Das gilt insbesondere für das im Mai 1952 gefeierte Jubiläums-Schützenfest zum 60-jährigen Bestehen, aber auch für den Bau eines neuen Schießstands im Folgejahr und viele andere Aktivitäten. Dass der Verein 1955 erstmals in seiner Geschichte die Schallgrenze von mehr als 100 Mitgliedern überwindet, ist zu einem Gutteil Heinrichs Verdienst. Im Männergesangverein sowie in der Feuerwehr des Nachbarortes Altmoorhausen ist er in jenen Jahren ebenfalls präsent, aus Zeitgründen allerdings nicht in vorderster Reihe.

Engen Kontakt hält Heinrich zu seiner 1930 in die USA ausgewanderten Schwester Käthe. Sie und ihr ebenfalls aus Lintel stammender Ehemann Dietrich Logemann sind des Öfteren in der alten Heimat zu Gast. Mit Käthe und Dietrich verbringen Heinrich und Paula einen jener seltenen Urlaube, für den sie ihren Betrieb einige Tage lang in der Obhut Dritter lassen – er führt sie Ende der 1950er Jahre an die Mosel. 1966 erfüllt sich Heinrich dann noch einen Herzenswunsch: Er kauft den ehemaligen Pachtbetrieb seiner Familie, auf dem sich nach ihrer im September 1971 gefeierten Hochzeit Tochter Hella und Schwiegersohn Kurt Bisanz niederlassen.

Die Aufgabe der Geflügelzucht erfolgt Anfang der 1970er Jahre relativ kurzentschlossen und aus eher profanem Grund: Heinrich hat sich in einer ruhigen Minute hingesetzt und ausgerechnet, dass das bislang damit verdiente Geld in jedem Fall reicht, einen auskömmlichen Ruhestand zu sichern. Mit ziemlicher Sicherheit eine richtige Entscheidung – geht doch in der Geflügel-Branche wie in der gesamten Landwirtschaft der Trend zu immer größeren Betrieben, was noch einmal kräftige Investitionen erfordert hätte.

Gesundheitlich ist Heinrich bereits Anfang der 60er Jahre angeschlagen – letztlich einer der Gründe, warum er 1963 den Vorsitz im Schützenverein abgegeben hat. Sein Tod kommt dennoch überraschend: Heinrich stirbt am 30. Dezember 1974 im Klinikum Oldenburg, in das er wenige Tage zuvor ohne Hinweis auf eine akut lebensbedrohliche Erkrankung eingeliefert wurde. Beerdigt ist er vier Tage später auf der Ahnenstätte Hilligenloh in Hurrel.