Wilhelm Hermann Meyer wird am 24. Januar 1931 als erstes Kind von Heinrich Meyer und Anni Meyer in Hiddigwardermoor geboren. Er ist der ältere Bruder von Hanna Spille.
Eine Woche nach Wilhelms Geburt feiert in Los Angeles der Spielfilm „Lichter der Großstadt“ von Charlie Chaplin Premiere. Das 86 Minuten lange Werk zeigt Chaplin einmal mehr in seiner Parade-Rolle als Tramp, der sich im Amerika der 20er Jahre eher schlecht als recht durchs Leben schlägt. Im Zentrum der Handlung steht dieses Mal seine Zuneigung zu einer blinden Blumenverkäuferin, der er unbekannterweise helfen möchte, ihr Augenlicht zurückzugewinnen. Die Möglichkeit dazu bietet sich, als er einem Millionär das Leben rettet und von ihm unter allerlei komischen Verwicklungen das für eine Operation nötige Geld erhält. Kaum hat er es dem Mädchen übergeben, wird er als Dieb verhaftet und landet für mehr als ein halbes Jahr hinter Gittern.
Der im Original unter dem Titel „City lights“ vermarktete Film gilt heute als eine der besten romantischen Komödien, die je gedreht wurden – nicht zuletzt wegen der rührenden Schluss-Szene, in der das erfolgreich operierte Blumenmädchen sehnsüchtig auf die Rückkehr seines vermeintlich reichen Wohltäters wartet und am Ende durch die Berührung von dessen Händen erkennt, wem sie ihr Glück verdankt. Doch schon die lange Produktionszeit von drei Jahren verrät, unter welch schwierigen Bedingungen Chaplin damals agiert. Als er Anfang 1928 mit den Vorbereitungen beginnt, hat gerade der Kassenschlager „The Jazz Singer“ die Ära des Tonfilms eingeläutet. Ein Medium, von dem Chaplin wenig hält: Zum einen passt es nicht zur pantomimischen Komik des Tramps, zum anderen sieht Chaplin den Stummfilm als ideales Mittel der internationalen Völkerverständigung.
Am Ende steht ein Kompromiss. „City lights“ ist zwar ein Stummfilm, nutzt aber dennoch die Möglichkeiten des neuen Mediums – etwa mit der von Chaplin selbst komponierten Filmmusik oder in jener Szene, in der er als Tramp eine Trillerpfeife verschluckt, die dann bei jedem Schluckauf einen schrillen Ton von sich gibt. Das honoriert auch das Publikum: Nach der Premiere sowie bei einer zweiten Vorab-Präsentation in New York eine Woche später feiert es Chaplin mit stehenden Ovationen.
Die folgende Promotion-Tour durch mehrere europäische Länder entwickelt sich zum Triumphzug. Am 9. März 1931 erreicht Chaplin Berlin, wo ihn am Bahnhof Friedrichstraße tausende Kino-Fans begeistert empfangen. Vereinzelt gibt es jedoch auch Buhrufe: Die kurz vor dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise kräftig Aufwind verspürenden Nationalsozialisten sehen in Chaplin einen „typischen Repräsentanten des internationalen Judentums“ und rufen zum Boykott seiner Werke auf.
Dass Wilhelm in seiner Kindheit je einen von Chaplin gedrehten Film zu sehen bekommt, ist definitiv auszuschließen: Wie so vieles andere verschwinden diese gleich nach der Machtübergabe an Adolf Hitler im Januar 1933 aus Deutschlands Kinos. Wilhelm lebt da mit seinen Eltern und der im August 1932 geborenen Schwester Hanna bereits in Hurrel, wo Vater Heinrich – ein gelernter Maurer – im Frühjahr 1931 von Diedrich Timmermann eine rund zwei Hektar große Landstelle an der Hurreler Straße gekauft und mit dem Bau eines Hauses begonnen hat.
Im Frühjahr 1937 wird Wilhelm in die Volksschule Hurrel eingeschult. Neben Schwester Hanna und den Nachbarjungen Lorenz und Robert von Kempen gehören dort unter anderem Hans Drieling, Helmut Gramberg, Hermann Franz, Heinz Pflug und Hans Ramke zu den in etwa gleichaltrigen Mitschülern. Seinen – mit ihm nicht verwandten – Lehrer August Meyer behält Wilhelm als sehr streng in Erinnerung. Wie wenig kindgerecht und vollkommen unromantisch die Zeiten sind, in denen er aufwächst, macht sich 1937 auch an anderer Stelle bemerkbar: Vater Heinrich wird zum Reichsarbeitsdienst einberufen und muss im Zuge der Kriegsvorbereitungen der neuen Machthaber weit weg von zu Hause helfen, den Westwall zu errichten. Wilhelm bekommt ihn über ein Jahr lang kaum zu sehen.
Letztlich liefert diese Abwesenheit nur einen Vorgeschmack auf das, was mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 folgt. Im Frühjahr 1940 erhält Heinrich Meyer seinen Stellungsbefehl zur Wehrmacht. Zwar muss er zunächst nicht an die Front. Mit den zunächst noch möglichen sonntäglichen Besuchen bei der Familie ist jedoch Anfang 1941 Schluss, als er von einer Baukompanie im ostfriesischen Wittmund zur Flugabwehr nach Hamburg und später nach Lübeck versetzt wird. Von dort aus geht es nach Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 nach Frankreich und Belgien, wo sich Anfang Februar 1945 seine Spur verliert.
Im heimatlichen, wenig später von kanadischen Truppen eingenommenen Hurrel bereitet sich Wilhelm derweil auf Schulabschluss und Konfirmation vor. Obwohl mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht jegliche staatliche Ordnung zusammenbricht, kann er noch im selben Jahr beim Altmoorhauser Zimmermeister Heinrich Mittwollen in die Lehre gehen. Für Wilhelm genau der richtige Beruf, wie er rasch feststellt – die Arbeit mit dem Rohstoff Holz und die Möglichkeit, nach all den Jahren der Zerstörung mit den eigenen Händen etwas aufzubauen, bereiten ihm Freude. Mit den Kollegen – unter anderem Heinrich Ohlenbusch aus Altmoorhausen – versteht er sich ebenfalls gut, so dass er nach bestandener Gesellenprüfung seinem Lehrherrn weiter die Treue hält. Nebenbei hilft er Mutter Anni, die noch immer keine offizielle Bestätigung für den Tod ihres Ehemanns erhalten hat, bei der Bewirtschaftung des elterlichen Hofes.
Privat ist Wilhelm in dieser durch Währungsreform und Gründung der Bundesrepublik Deutschland geprägten Zeit viel mit seinen ehemaligen Schulkameraden Helmut Gramberg und Bernd Segelken unterwegs. Anlaufpunkt sind unter anderem die Gaststätten von Otto Mehrings, Anton Budde und Ernst Strackerjan, in denen regelmäßig Tanzveranstaltungen stattfinden. Bei „Onkel Ernst“ im Vielstedter Bauernhaus lernt er eines Abends Liselotte Köhler aus Kirchkimmen kennen. Beide sind sich auf Anhieb sympathisch und werden schnell ein Paar.
Beruflich strebt Wilhelm sobald als möglich den Meistertitel an. Doch dann kommt 1954 der Tag, der alles verändert. Bei Arbeiten mit der Kreissäge fliegt ein Stück Holz unkontrolliert durch die Gegend und trifft Wilhelm mit voller Wucht im Gesicht – Schädelbasisbruch! Nach der nötigen Operation und einem quälend langen Aufenthalt im Peter Friedrich Ludwigs Hospital in Oldenburg wird Wilhelm mit der Aussicht nach Hause entlassen, nie wieder regulär als Zimmermann arbeiten zu können.
In dieser mehr als schwierigen Situation setzt Liselotte ein Zeichen und gibt ihre Verlobung mit Wilhelm bekannt. Am 25. Februar 1955 heiraten beide in Hude, bei frostigen Temperaturen und haufenweise Schnee. Gefeiert wird im engsten Kreis in Wilhelms Elternhaus, das fortan auch Liselottes Zuhause ist.
Die Geburt von Tochter Ingrid im Mai 1955 gibt Wilhelms Leben in dieser Phase einen zusätzlichen Sinn, und auch körperlich erholt er sich in den folgenden Monaten. Dank seines Anspruchs auf Berufsunfähigkeitsrente und der nebenbei betriebenen Landwirtschaft besteht zwar keine unmittelbare Not. Gleichwohl sind die finanziellen Verhältnisse der jungen Familie angespannt – was sich unter anderem daran zeigt, dass eine 125er Triumph sowie ein Kramer-Traktor lange Zeit ihre einzigen motorisierten Fortbewegungsmittel bleiben. Erst zwei Jahre nach der Geburt der zweiten Tochter Petra im Juli 1960 kann Wilhelm mit einem weißen Opel Kadett das erste eigene Auto anschaffen.
Als gelernter Zimmermann hält Wilhelm die Kosten in der Landwirtschaft von Beginn an niedrig. Hat er 1956 schon den Bau eines Schweinestalls weitgehend in Eigenregie bewerkstelligt, so kann er bald darauf auch eine selbst montierte Getreidemühle inklusive bis ins Detail ausgetüftelter Fördertechnik in Betrieb nehmen. Ohnehin räumt er dem Grundsatz der Selbstversorgung einen denkbar hohen Stellenwert ein. Dass alles, was auf den Tisch kommt, erst einmal gesät und geerntet werden muss, lebt er seinen Töchtern und später den Enkelkindern im eigenen Gemüsegarten immer wieder mit gutem Beispiel vor.
Eine Organisation, mit der Wilhelm ohne seinen Unfall vermutlich nicht oder zumindest nicht so früh in Kontakt gekommen wäre, ist der 1917 gegründete und 1946 nach zwischenzeitlicher Auflösung wiederbelebte Sozialverband Reichsbund. Zunächst ab 1956 nur passives Mitglied, lässt er sich 1971 zum Kassenprüfer wählen und rückt sechs Jahre später als Schatzmeister in den Vorstand der Ortsgruppe Hude auf. Ein Amt, das Wilhelm erst im Dezember 2017 krankheitsbedingt wieder abgibt. Er übt es nicht nur bis zum letzten Tag gewissenhaft aus, es bringt ihm im Laufe der Jahrzehnte auch diverse Ehrungen ein – unter anderem die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im November 1994.
Respekt und den Dank unzähliger Teilnehmer erwirbt sich Wilhelm darüber hinaus ab Beginn der 70er Jahre für die von ihm regelmäßig organisierten Fahrten der Huder Reichsbund-Gruppe. Alles beginnt mit einem dreitägigen Kurzurlaub im Harz, den Wilhelm kurz zuvor mit Liselotte, Tochter Petra und dem befreundeten Reichsbund-Ehepaar Karl-Heinz und Gisela Düßmann unternommen hat. Nach der Rückkehr regt Kreisgeschäftsführer Johann Ruge an, so etwas häufiger und in größerem Rahmen zu veranstalten – was Wilhelm sich nicht zweimal sagen lässt. Unter seiner auf unaufdringliche Art und Weise gute Laune verbreitenden Regie und meistens mit einem von Hutfilters Reisedienst in Delmenhorst gecharterten Bus besuchen fortan bis zu 50 Personen starke Gesellschaften diverse Ziele in ganz Deutschland sowie im benachbarten Ausland. Allein Österreich steht 17-mal auf dem Programm, dazu Meran in Südtirol.
Dem Schützenverein Hurrel gehört Wilhelm ebenfalls an, allerdings als eher passives Mitglied. Mehr Spaß als das Schießen bereitet ihm das Kegeln: Sein Klub „Quer weg“ trifft sich viele Jahre lang einmal im Monat im Landgasthaus Brüers in Munderloh und lässt dort die Kugeln rollen.
Schon kurz nach Gründung des Kegelklubs hat Wilhelm seine ohnehin nur nebenbei betriebene Landwirtschaft durch den Verkauf der Kühe weiter eingeschränkt. Schweine hält er allerdings noch bis Ende der 80er Jahre, die für Wilhelm und Liselotte mit ihrer im Saal von Ursel und Bodo Mehrings gefeierten Silberhochzeit beginnen. Nur wenige Wochen später kommt mit Ingrids Tochter Annika das erste Enkelkind zur Welt, dem im Mai 1982 die zweite Enkelin Cathrin folgt. Mit Petras Kindern Florian, Fabian und Franziska – sie werden zusammen mit Wilhelm und Liselotte an der Hurreler Straße groß – wächst die Familie zwischen 1987 und 1993 um drei weitere Mitglieder.
Im Februar 2005 feiert Wilhelm mit Liselotte und 190 Gästen im Altmoorhauser Krug Goldene Hochzeit. Zu diesem Zeitpunkt fallen die von ihm organisierten Fahrten bereits kürzer aus, und die Ziele liegen meist in Norddeutschland. Trotzdem hat er im von Reichsbund in SoVD umgetauften Sozialverband noch immer genug zu tun – seine Aufgaben neben der Kassenführung reichen vom regelmäßigen Verteilen der Vereinszeitung bis hin zur Planung und akribischen Vorbereitung der alljährlichen Adventsfeier.
Zwei Jahre vor der Diamantenen Hochzeit trifft Wilhelm im März 2013 ein unerwarteter Schicksalsschlag: Tochter Ingrid stirbt im Alter von nur 58 Jahren. Ihm selbst geht es in den folgenden Jahren gesundheitlich deutlich schlechter, nach einem unglücklichen Sturz im Sommer 2017 kommt er nicht mehr richtig auf die Beine. Wilhelm stirbt am 6. Mai 2018, beerdigt ist er fünf Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.