Wilhelm Hohlen – Biographie

Friedrich Wilhelm Hohlen – Rufname Wilhelm – wird am 31. August 1879 als zweites Kind von Johann Friedrich Christian Hohlen und Sophie Antoinette Henrike Catharine Hohlen in Altendorf bei Oldenbrok in der Wesermarsch geboren. Er ist der jüngere Bruder von Bernhard Hinrich Hohlen.

Im September 1879 endet ein russischer Eroberungs-Feldzug gegen turkmenische Wüsten-Nomaden vor den Mauern der Stadt Gök-Tepe mit einer Niederlage. Ein empfindlicher Dämpfer für das von Zar Alexander II. verfolgte Ziel, in Zentralasien Fuß zu fassen. In seinem Auftrag hatte der russische General Iwan Lasarew im Frühjahr 1879 am Kaspischen Meer 10.000 Soldaten zusammengezogen und in mehreren Etappen Richtung Osten in Bewegung gesetzt. Die über eine Entfernung von 450 Kilometern führende Expedition steht jedoch von Anfang an unter keinem guten Stern. Bei einem Zwischenstopp in einem russischen Grenzfort erkrankt Lasarew und stirbt kurze Zeit später. Nachfolger Nikolai Lomakin entscheidet daraufhin, nicht länger auf die sich verspätende Nachhut zu warten und mit den bis dato verfügbaren 4.000 Männern Gök-Tepe anzugreifen. In der stark befestigten und normalerweise 45.000 Einwohner zählenden Oasen-Stadt harren zu jenem Zeitpunkt noch 15.000 turkmenische Kämpfer sowie 5.000 Frauen und Kinder aus.

Da er kaum noch über Verpflegung verfügt, befiehlt Lomakin nach kurzem Artillerie-Beschuss einen Sturmangriff. Als dieser zurückgeschlagen wird, muss der General mit den ihm verbliebenen Männern den Rückzug antreten. Zar Alexander lässt Lomakin daraufhin seines Amtes entheben und ernennt Michail Skobelew zum Nachfolger. Dem gelingt es im Januar 1881 mit einer wesentlich besser ausgerüsteten und koordinierten Streitmacht tatsächlich, Gök-Tepe einzunehmen. Dabei richten Skobelews Soldaten unter den in der Stadt verbliebenen Männern, Frauen und Kindern ein furchtbares Blutbad mit mehr als 14.000 Toten an. Der Widerstand der Turkmenen ist gebrochen, das von ihnen bewohnte Gebiet wird im Mai 1881 Teil der russischen Oblast Transkaspien.

Im Deutschen Reich finden die wenig rühmlichen Ereignisse des russischen Zentralasien-Feldzugs kaum Beachtung – unter anderem auch, weil Reichskanzler Otto von Bismarck sehr an einem guten Verhältnis zu Russland gelegen ist. Um den als Erbfeind angesehenen Nachbarn Frankreich kleinzuhalten, fädelt er im Juni 1881 eine als Dreikaiserbund in die Geschichte eingehende Allianz seines Herrschers Wilhelm I. mit dem neuen Zaren Alexander III. und Österreich-Ungarns Kaiser Franz Josef I. ein. Ein Bündnis, das allerdings schon 1886 an Interessenskonflikten zwischen den Rivalen Russland und Österreich-Ungarn zerbricht. Daraufhin schließen Deutschland und Russland im Juni 1887 einen zunächst geheim gehaltenen Rückversicherungsvertrag, in dem sich beide Staaten im Falle eines Angriffes Dritter auf den anderen zusichern, neutral zu bleiben.

Im Sommer 1887 besucht Wilhelm bereits seit mehr als einem Jahr die Schule – wo genau, ist heute allerdings ebenso wenig bekannt wie weitere Details aus seiner Kinder- und Jugendzeit. Seine Mutter stammt aus Popkenhöge bei Ovelgönne, ist also nur wenige Kilometer von Wilhelms Geburtsort entfernt aufgewachsen. Den in Delmenhorst geborenen und als Arbeiter tätigen Vater wiederum muss es in seiner Jugend aus beruflichen oder privaten Gründen in die Wesermarsch verschlagen haben. Wilhelm selbst nimmt irgendwann nach Schulabschluss und Konfirmation eine Stelle als Dienstknecht in Strückhausen an. So lautet zumindest der Eintrag im Kirchenbuch, als Wilhelm am 9. September 1904 Johanne Schönberg aus Wolfsstraße heiratet. Eine Zeremonie, die Wilhelms früh verstorbene Eltern nicht mehr miterleben.

Nach der Hochzeit lassen sich Wilhelm und Johanne auf einem kleinen Pachthof in Delfshausen bei Rastede nieder, dem Geburtsort des späteren Landtags-Abgeordneten Wilhelm Wittje. Da die Männer nahezu gleichalt sind und in der Region zur gleichen Zeit zunächst als Knecht und dann als Landwirt arbeiten, dürften die Familien sich kennen, auch wenn Wilhelm Wittje schon 1907 ins Nachbardorf Barghorn zieht und dort einen eigenen Hof übernimmt. In Delfshausen wird Wilhelm derweil Vater von fünf Kindern: Martha, Johann, Alma, Erich und Heino.

Als der jüngste Sohn Heino im September 1917 zur Welt kommt, tobt bereits seit drei Jahren der Erste Weltkrieg. Dort steht aus deutscher Sicht neben Frankreich und Großbritannien auch Russland auf der Seite der Gegner. Jener Zwei-Fronten-Krieg, den Bismarck vor seiner Entlassung durch Kaiser Wilhelm II. durch den Dreikaiserbund zu verhindern hoffte, trägt neben dem Kriegseintritt der USA im April 1917 wesentlich zur im November 1918 besiegelten deutschen Niederlage bei. Ob Wilhelm in jenen schrecklichen Jahren Soldat ist, darüber lässt sich mehr als 100 Jahre später nur spekulieren – mit heute noch lebenden Enkeln und Urenkeln wurde innerhalb der Familie nie über das Thema gesprochen. Fotos, die Wilhelm in Uniform zeigen und somit einen Hinweis in dieser Frage geben könnten, existieren nicht.

Woran Wilhelm und Johanne in den chaotischen Jahren des Übergangs vom Kaiserreich zur Weimarer Republik vermutlich zuallerletzt einen Gedanken verschwenden, tritt im September 1922 ein: Sie werden, gerade einmal 43 und 38 Jahre alt, Großeltern. Der noch 15-jährigen Tochter Martha und ihrem neugeborenen Sohn Ferdinand in dieser Situation nicht beizustehen, ist jedoch keine Option, und so erklären Wilhelm und Johanne ihre Bereitschaft, für den Enkel aufzukommen. Eine Lebensaufgabe, wie sich schon bald herausstellt, denn aufgrund einer geistigen Beeinträchtigung wird Ferdinand kaum jemals selbst für sich sorgen können.

Nach dem Ende der verheerenden Geldentwertung der frühen 1920er Jahre stabilisiert sich die Weimarer Republik – nicht jedoch die Landwirtschaft, die weiter im Krisenmodus bleibt. Zusätzliche Probleme bereitet Wilhelm die nah an seinem Pachthof vorbeifließende Jade, die in dieser Zeit mehr als einmal über die Ufer tritt und die Ernte gefährdet. Irgendwann reicht es ihm, er sieht sich nach Alternativen um und wird im rund 30 Kilometer südöstlich von Delfshausen gelegenen Hurrel fündig. Der dort 1927 von Heinrich Ahrens gepachtete Hof (heute: Rolf und Sonja Ahrens) ist deutlich größer als der vorherige, doch die nach wie vor im elterlichen Haushalt lebenden Kinder Alma und Erich helfen ganztägig bei der Stall- und Feldarbeit mit. Mit Almas aus Hurrel stammendem Ehemann Friedrich Heinemann kommt bereits ein Jahr später eine weitere Arbeitskraft hinzu.

Die späten 20er und frühen 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind angesichts der aus den USA herüberschwappenden Weltwirtschaftskrise die Zeit der politischen Radikalisierung. Eine Entwicklung, die sich im Freistaat Oldenburg nirgends besser ablesen lässt als an den Landtags-Wahlergebnissen der liberalen DDP und der NSDAP von Adolf Hitler. Während die DDP, für die Wilhelms ehemaliger Nachbar Wilhelm Wittje zwischen 1923 und 1931 im Landtag sitzt, von 31,1 Prozent (1919) auf 3,2 Prozent (1931) abstürzt, steigert die NSDAP ihren Stimmenanteil von 2,5 Prozent (1925) innerhalb von nur sechs Jahren auf stolze 37,2 Prozent. Was politische Gegner von den Nationalsozialisten zu erwarten haben, erfährt Wittje 1931 zudem am eigenen Leib, als mutmaßliche NSDAP-Anhänger sein Haus in Brand stecken. Nur ein Jahr später wählen die Mitglieder des Oldenburger Landtages NSDAP-Gauleiter Carl Röver zum Ministerpräsidenten, im Januar 1933 zieht Hitler in Berlin als neuer deutscher Regierungschef in die Reichskanzlei ein.

Für Wilhelm als Pächter ändert sich durch die von den Nationalsozialisten verfolgte Blut-und-Boden-Ideologie und das Ende September 1933 erlassene Reichserbhofgesetz nicht viel. Gefahr droht allerdings Enkel Ferdinand von den unter dem Stichwort „Rassenhygiene“ angeordneten Maßnahmen gegen Behinderte – wie real diese Gefahr bis zum Untergang des NS-Staates im Frühjahr 1945 ist, lässt sich nur vermuten. Hochgradig gefährdet sind natürlich auch die nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in der Wehrmacht kämpfenden Söhne Erich und Heino, die aber anders als knapp zwei Dutzend andere ehemalige Hurreler lebend in die Heimat zurückkehren.

Erich Hohlen wohnt nach der Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft noch für kurze Zeit in Hurrel und nimmt währenddessen seine durch den Krieg unterbrochene Tätigkeit als Milch-Fuhrmann wieder auf. Schon 1947 zieht er allerdings zu Ehefrau Frieda und den Kindern Helga und Erich Junior nach Oldenburg. Fünf Jahre später gibt es für Wilhelm, Johanne, Ferdinand, Tochter Alma, deren Kinder Helmut, Irmgard und Uwe sowie Schwiegersohn Friedrich Heinemann auf ihrem Pachthof einen unfreiwilligen Schnitt: Helmut Ahrens, Erbe des 1938 verstorbenen Hofeigentümers Heinrich Ahrens, macht nach seiner Ausbildung als Landwirt Eigenbedarf geltend. Neues Domizil der Familien Hohlen und Heinemann wird daraufhin ein bis dato von Helmut und Emilie Ahrens bewohntes Altenteiler-Haus an der Pirschstraße (heute: Erika und Gerhard Ahrens), zu dem noch einige wenige Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Fläche gehören.

Einen Tag nach Wilhelms 75. Geburtstag stirbt am 1. September 1954 nach längerer Krankheit Schwiegersohn Friedrich Heinemann. Für ihn und seine Familie der letzte Impuls, Hurrel nach 25 Jahren den Rücken zu kehren. Neues Domizil wird eine der Kirchengemeinde Hude gehörende Mietwohnung in Lintel (heute: Klaus Rodiek). Auf dem Grundstück steht eine große Scheune, die die Familie kurzerhand kauft, um dort ihre Geräte und die noch verbliebenen Tiere unterzubringen. Auf zweieinhalb Hektar hinzugekauftem Land in der unmittelbaren Umgebung sowie einigen verstreut liegenden Pachtflächen betreiben Tochter Alma und Enkel Helmut fortan weiter etwas Landwirtschaft. Hauptverdienstquelle ist jedoch Helmuts Anstellung als Fuhrmann für die Molkerei Wüsting.

Zwei Jahre nach dem Umzug gibt es abermals um Wilhelms Geburtstag herum einen größeren Einschnitt: Am 30. August 1956 stirbt Ehefrau Johanne nach einem Schlaganfall. Ein Verlust, über den Wilhelm vor allem mit Arbeit hinwegzukommen versucht. So macht er sich trotz seines fortschreitenden Alters nicht nur in Lintel nützlich, sondern fährt regelmäßig nach Hurrel zu den ehemaligen Nachbarn Georg und Sophie Tönjes, um auf deren Hof (heute: Heiko Pflug) die Pferde zu umsorgen.

Eine dieser Fahrten wird Wilhelm schließlich zum Verhängnis: Als er am 13. September 1958 auf dem Rückweg vom Tönjes-Hof nach Lintel sein Rad schiebend die Bundesstraße 75 überquert, ist er für einen Moment unachtsam und übersieht einen heranbrausenden Motorroller. Bei dem Unfall erleidet er einen Schädelbruch, an dessen Folgen er drei Tage später im Krankenhaus stirbt. Beerdigt ist Wilhelm am 20. September 1958 auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.