Waltraud Claußen – Biographie

Elfriede Waltraud Claußen – Rufname Waltraud – wird am 25. März 1944 als drittes Kind des Postbeamten Erich Herrmann und seiner Frau Frieda Herrmann in der niederschlesischen Stadt Jauer geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Günter Herrmann und Horst Herrmann. Ihren ältesten, am 15. Januar 1936 zur Welt gekommenen Bruder lernt Waltraud allerdings nie kennen: Er stirbt bereits zwei Tage nach seiner Geburt.

Im März 1944 geht der seit mehr als vier Jahren tobende Zweite Weltkrieg in eine entscheidende Phase. Die Rote Armee startet eine Frühjahrsoffensive und kesselt dabei in der Ukraine wiederholt Verbände der auf breiter Front zurückweichenden Wehrmacht ein. Briten und Amerikaner wiederum forcieren den Luftkrieg. Zwischen dem 18. und dem 22. März verwandeln britische Bomber die Altstadt von Frankfurt in eine rauchende Trümmerwüste, neben dem historischen Goethe-Haus brennt auch die geschichtsträchtige Paulskirche bis auf die Grundmauern nieder. In der Nacht vor Waltrauds Geburt fliegt die Royal Air Force schließlich einen weiteren Großangriff auf Berlin. In derselben Nacht fliehen nicht weit von Jauer entfernt mehr als 80 Angehörige der alliierten Luftstreitkräfte aus dem Kriegsgefangenenlager Stalag Luft III – ein spektakulärer Ausbruch, der 18 Jahre später als Vorbild für den mit Steve McQueen, James Garner, Charles Bronson und zahlreichen anderen Weltstars verfilmten Hollywood-Klassiker „Gesprengte Ketten“ dient.

Noch vor Waltrauds erstem Geburtstag erreicht der Krieg auch Jauer. Mutter Frieda, schon seit längerer Zeit ohne Nachricht von ihrem bereits 1939 zur Wehrmacht eingezogenen Ehemann, entschließt sich Anfang 1945 angesichts der immer näher rückenden Front zur Flucht. Mit den beiden Kindern verlässt sie ihr unweit der Neiße gelegenes Eigenheim und fährt mit Schwester Emma Lachmann, deren Kindern und weiteren Verwandten nach Berlin. Dort, im sich nahezu täglich vergrößernden Chaos, erlebt die Familie das Kriegsende und die kaum minder entbehrungsreichen und vor allem im sowjetischen Sektor durch Massenvergewaltigungen geprägten ersten Monate der Nachkriegszeit.

Irgendwie gelingt es Waltrauds Mutter, mit ihrer Schwester und den insgesamt vier Kindern zusammenzubleiben und Berlin gemeinsam Richtung Westen zu verlassen. Letztlich führt ihr Weg nach Kirchhatten, wo Frieda Ende 1945 oder Anfang 1946 – der genaue Zeitpunkt ist nicht mehr bekannt – mit Horst und Waltraud ein einzelnes Zimmer in einem Haus an der Sandhatter Straße bezieht. Überliefert aus diesen beengten, über mehrere Jahre andauernden Wohnverhältnissen ist die Erzählung, dass es dort vor Mäusen nur so wimmelt und Speisen über Nacht an die Decke hochgebunden werden müssen, um sie dem Zugriff der Nager zu entziehen. In dieser Zeit vollendet sich zudem das tragische Schicksal von Erich Hermann: Waltrauds Vater, den der Krieg nach Bayern gespült hat, hält seine Familie für tot und heiratet erneut. Als er seinen Irrtum bemerkt, ist es für eine Umkehr zu spät, die Mutter seiner Kinder will von ihm nichts mehr wissen. Daraufhin setzt er am 2. Oktober 1950 seinem Leben in Glonn bei München ein Ende.

Bald nach Waltrauds Einschulung mietet sich Frieda Herrmann mit den beiden Kindern im Haus des Hatter Zimmermeisters Heinrich Stolle ein. Dort lernt Waltraud ihren künftigen Ehemann Walter Claußen aus Neuenhuntorfermoor kennen. Letzterer beginnt bei Heinrich Stolle im April 1956 eine Ausbildung zum Zimmermann und wohnt unter der Woche mit zwei anderen Lehrlingen ebenfalls im Haus. Zwar sind die beiden noch kein Paar, als Walter drei Jahre später seine Lehre beendet und nach Bremen zieht, doch er und Waltraud sollen sich nie mehr aus den Augen verlieren.

Auf die Volksschule in Kirchhatten folgt für Waltraud die Hauwirtschaftsschule in Oldenburg. Anschließend beginnt sie eine Ausbildung zur Kinderpflegerin und arbeitet im Haushalt des Oldenburger Unternehmers Rolf Schmidt. Um Walter näher zu sein, wechselt sie Anfang der 60er Jahre ebenfalls nach Bremen und betreut dort unter anderem die Kinder von Fritz Rehbein, dem damaligen Chefarzt der Kinder-Chirurgie am St.-Jürgen-Krankenhaus. Nach der Hochzeit mit Walter am 3. Juli 1964 wohnen beide in der Seeberger Straße. Im Juni 1966 kommt Tochter Monika zur Welt.

Noch bevor im November 1967 die zweite Tochter Marion geboren wird, beginnen Walter und Waltraud in der Goethestraße in Hude mit dem Bau eines eigenen Hauses. Während Walter danach weiter in Bremen arbeitet, betreut Waltraud die beiden Kinder – bis Walter 1976 mit einer eigenen Zimmerei den Sprung in die Selbstständigkeit wagt und Waltraud von Anfang an sämtliche Bürotätigkeiten übernimmt. Weil der Betrieb schnell wächst, zieht die Familie 1981 auf ein Grundstück in der Hermann-Allmers-Straße um, wo Walter sich auf den Bau von Fachwerkhäusern spezialisiert.

Auch in den Folgejahren arbeitet Waltraud – wie später ebenfalls die Töchter Monika und Marion – voll in der Firma mit. Daneben widmet sie sich mit Leidenschaft ihrem Garten, in dem Blumenrabatte und Gemüse gleichermaßen gedeihen und im Sommer ein prächtiges Bild abgeben. Als Bäckerin und Köchin verwöhnt Waltraud nicht nur ihre Familie, auch für die Belegschaft der Zimmerei oder zu größeren Festen im Verwandtenkreis zaubert sie immer wieder schmackhafte Menüs auf den Tisch. Ein weiteres Hobby sind Handarbeiten: Nach Erinnerung von Tochter Monika vergeht kaum ein Fernsehabend, ohne dass Waltraud ihre Stricknadeln oder eine Stickerei zur Hand nimmt. Im Laufe der Jahre entstehen so imposante Gobelins, daneben knüpft Waltraud eine Zeitlang Teppiche. Bei all diesen Tätigkeiten meist eng an ihrer Seite: mehrere Generationen von Dackeln, die grundsätzlich Susi heißen.

Ihre Silberhochzeit im Juli 1989 feiern Waltraud und Walter in großem Rahmen in der Zimmerei-Halle. Zum Tanz spielen die Kapruner Spatzen aus Salzburg auf, die auch am parallel über die Bühne gehenden Tag der offenen Tür für Stimmung sorgen. Als 1993 und 1995 die Enkelkinder Tim und Nils geboren werden, findet Waltraud rasch Gefallen an ihrer neuen Rolle als Großmutter und leistet bereitwillig Betreuerdienste.

Trotz der Verpflichtungen in der Zimmerei und auf einem ab 1977 auf Walters Wunsch hin an der Hurreler Straße aufgebauten Nutztier- und Geflügelhof nehmen sich Waltraud und Walter die Zeit, regelmäßig in Urlaub zu fahren. Zu ihren bevorzugten, mit dem eigenen Wohnmobil angesteuerten Zielen gehören Norwegen, die Schweiz und – nach dem Fall der Berliner MauerMecklenburg-Vorpommern. Die wohl interessanteste Urlaubsreise ihres Lebens unternimmt Waltraud jedoch Mitte der 90er Jahre, als sie mit Walter ihre seit 1945 zu Polen gehörende Heimatstadt Jauer besucht. Zwar gelingt es nicht, Waltrauds Geburtshaus wiederzufinden, doch der Besuch der 2001 zum Weltkulturerbe erklärten Friedenskirche und das dort zufällig zustande gekommene Gespräch mit einem lange Zeit in Oldenburg wirkenden polnischen Pastor hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck.

Im Sommer 2005 gibt Waltraud Walters Wunsch nach, ganz nach Hurrel überzusiedeln – eine Entscheidung, die sie schon zehn Jahre früher hätte treffen sollen, wie sie nach kurzer Eingewöhnungsphase im neuen, zunächst als zu einsam angesehenen Zuhause beteuert. Viel Zeit, Versäumtes nachzuholen, bleibt ihr allerdings nicht: Eine bereits vor dem Umzug ausgebrochene Krebserkrankung kehrt bald mit voller Wucht zurück und bringt Waltraud am 23. Oktober 2008 den Tod. Ihr Wunsch, zuvor noch die Konfirmation ihres Enkels Nils mitzuerleben, geht nicht mehr in Erfüllung. Beerdigt ist Waltraud am 29. Oktober 2008 auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude neben ihrer Mutter Frieda Herrmann.