Sophie Friederike Wilhelmine Tönjes wird am 11. Juli 1864 als zweites Kind von Johann Berend Voigt und Beeke Voigt auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Heiko und Anieka Schwarting) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Friedrich Hermann Voigt und die ältere Schwester von Bertha Gesine Voigt, Anna Sosath und Wilhelmine Wenke.
Acht Tage nach Sophies Geburt erobern in China kaisertreue Truppen Nanjing, seit 1853 Hauptstadt der Rebellen-Bewegung Taiping. Damit endet der mit schätzungsweise 20 bis 30 Millionen Toten verlustreichste Bürgerkrieg der Menschheitsgeschichte. Angezettelt hat ihn 1851 Hong Xiuquan: Der aus der Provinz Guangdong stammende Bauernsohn sieht sich im Rahmen der christlichen Glaubenslehre neben Jesus Christus als zweiten Sohn Gottes – mit dem Auftrag, die Welt von Dämonen zu befreien. Dazu zählt er auch die Vertreter der Qing-Dynastie unter Kaiser Xianfeng. Weil mit dessen Regiment zahlreiche Chinesen unzufrieden sind, erhalten Hongs Armeen rasch Zulauf. Zeitweise kontrollieren sie weite Teile Südost-Chinas, Nanjing wird zum „Neuen Jerusalem“ ausgerufen.
Hong selbst überlässt die Politik ab 1853 seinen Heerführern und widmet sich fortan weitgehend der Meditation und seinem Harem. Nach anfänglichen militärischen Erfolgen, die die Taiping bis kurz vor Peking führen, gewinnt die Gegenseite mit Unterstützung der Kolonial-Mächte Großbritannien und Frankreich mehr und mehr die Überhand und rückt unaufhaltsam auf Nanjing vor. Den Fall seiner Hauptstadt erlebt Hong nicht mehr: Er stirbt wenige Wochen zuvor – ob durch Selbstmord oder eine auf die Belagerung zurückzuführende Lebensmittel-Vergiftung, wird nie abschließend geklärt.
Vom blutigen Finale des Taiping-Aufstands nimmt in Hurrel wie im gesamten Großherzogtum Oldenburg mit Sicherheit niemand Notiz. Was angesichts des Konflikts vor der eigenen Haustür nicht weiter verwunderlich ist: Seit Anfang Februar 1864 tobt der Deutsch-Dänische Krieg – der allerdings Mitte Juli längst entschieden ist. Nachdem preußische und österreichische Truppen nahezu das gesamte dänische Festland besetzt haben, erklärt Dänemarks Premierminister Ditlev Gothard Monrad am Tag von Sophies Geburt seinen Rücktritt. Nachfolger Christian Albrecht Bluhme bleibt nichts weiter übrig, als die Überlegenheit der Gegner anzuerkennen und dem Frieden von Wien zuzustimmen. Darin tritt Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen ab. Weil sich die Sieger nicht auf eine gemeinsame Verwaltung ihres neuen Besitzes einigen können, kommt es 1866 zum Preußisch-Österreichischen Krieg und noch einmal vier Jahre später zum Deutsch-Französischen Krieg. An dessen Ende steht im Januar 1871 die Gründung des Deutschen Reiches mit Preußens König Wilhelm I. als Kaiser.
Bewegte Zeiten also, in denen Sophie aufwächst. Wovon auf dem Voigt-Hof, den Vater Johann Berend 1863 nach seiner Rückkehr aus Australien und Schweden gekauft hat, aber vermutlich nicht allzu viel zu spüren ist. Dort bestimmen wie überall im Dorf weitgehend die vier Jahreszeiten den Lauf der Dinge, und richtig spannend wird es wahrscheinlich immer nur dann, wenn der Vater an langen Winterabenden von seinem Schiffbruch vor der englischen Küste oder den sagenhaften Goldfunden in der Wildnis Australiens erzählt.
Durchaus möglich, dass die Erlebnisse ihres Vates hin und wieder auch Gesprächsstoff auf dem täglichen Weg zur im Nachbardorf Lintel gelegenen Volksschule liefern. Begleitet wird Sophie dabei außer von ihrem nur ein Jahr älteren Bruder unter anderem von Catharine Harfst, Gesine-Marie Pralle, Tönjes Hinrich Pralle, Meta Schweers, Johann Friedrich Tönjes, Sophie Tönjes, Catharine Wilkens und Heinrich Wilkens. Später kommt dann auch ihre 1867 geborene Schwester Bertha Gesine hinzu.
Ob Sophie nach Schule und Konfirmation weiter auf dem elterlichen Hof mitarbeitet oder irgendwo anders in Stellung geht, liegt heute im Dunkeln. Auch über andere Lebensereignisse bis zu ihrer am 18. April 1893 gefeierten Hochzeit mit Hinrich Tönjes ist innerhalb der Familie nichts überliefert. Sophies 14 Jahre älterer Ehemann ist ein direkter Nachbar ihrer Eltern, der seinen Hof (heute: Ingo Stöver und Sara Bolte) bis zur Heirat unter anderem mit Hilfe seiner jüngsten Schwester bewirtschaftet hat. Jene Schwester – Sophies ehemalige Schulkameradin Sophie Tönjes – wandert unmittelbar nach der Hochzeit mit ihrem Verlobten Heinrich Wilkens in die USA aus, so dass es nach dem obligatorischen Namenswechsel von Voigt zu Tönjes im Dorf nicht zu Verwechslungen kommt.
Aus der Ehe mit Hinrich gehen mit Heinrich (Februar 1894) und Bertha (Juni 1895) zwei Kinder hervor. Ein halbes Jahr nach Berthas Geburt stirbt Sophies Vater, ihre Mutter verkauft den Hof daraufhin an Bernhard Schwarting aus Lintel. Ob Beeke Voigt danach vorübergehend auf dem Hof von Hinrich und Sophie lebt, lässt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit rekonstruieren. Später zieht sie zu ihrer Tochter Anna und deren Ehemann Jacob Heinrich Sosath nach Neuenkoop. Dort stirbt sie 1909.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 wirbelt die Abläufe auf dem Tönjes-Hof wie überall im Dorf gehörig durcheinander. Sohn Heinrich wird zur kaiserlichen Armee eingezogen, Arbeitskräfte für die Feld- und Hofarbeit sind knapp. Immerhin, alle Familienmitglieder überstehen die folgenden vier Jahre unversehrt. Im August 1920 wird Sophie dann zum ersten Mal Großmutter: Tochter Bertha bringt Enkel Heinrich zur Welt, nur zwei Wochen nach der Hochzeit mit Karl Bernhard Fortmann aus Kirchkimmen.
Die Geburt des zweiten Enkelkindes – Berthas Tochter Sophie – im März 1925 erlebt Ehemann Hinrich nicht mehr mit: Er stirbt am 10. August 1921 im Alter von 71 Jahren. Im Juni 1922 heiratet Hoferbe Heinrich Bertha Rüdebusch, eine Nachbarin seines Schwagers Karl Bernhard Fortmann. Die Ehe bleibt allerdings kinderlos.
Die nach der Hyperinflation von 1923 weiter angespannte Lage in der deutschen Landwirtschaft übersteht der Tönjes-Hof einigermaßen glimpflich. Im Laufe der folgenden anderthalb Jahrzehnte bietet er diversen Angestellten Beschäftigung. Für zwei von ihnen – Heino Stöver und Martha Wübbeler – führt die gemeinsame Arbeit direkt aufs Standesamt, sie beziehen nach ihrer Hochzeit am 9. August 1935 eines der beiden kurz zuvor in der Nähe des Hofes errichteten Heuerhäuser. Dank ihnen und der Geburt von Willy (November 1935), Luise (April 1937), Frieda (September 1938), Fritz (Januar 1940) und Erika (Mai 1941) ertönt um Sophie herum doch noch fröhliches Kinderlachen. Wobei die Zeiten alles andere als fröhlich sind: Mit ihrem Überfall auf Polen lösen die seit 1933 regierenden Nationalsozialisten am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg aus, an dessen Ende im Mai 1945 Heino Stöver als vermisst gilt. Wenige Wochen zuvor zerstört ein Tiefflieger-Angriff Teile des Tönjes-Hofes, nicht jedoch das 1926 neu errichtete Haupthaus.
In den ersten Nachkriegsjahren beherbergt der bald wieder aufgebaute Tönjes-Hof insgesamt 18 Personen – neben Sophie, Heinrich, Bertha und zwei Landarbeitern noch Martha Stöver mit ihren fünf Kindern sowie die siebenköpfige, aus Ostdeutschland geflüchtete Familie von Paul und Erna Büttner. Im September 1949 stirbt Schwiegertochter Bertha an Krebs, so dass sich neben Martha Stöver auch Sophie wieder stärker um den Haushalt kümmert. Marthas Kindern im Gedächtnis geblieben sind Sophies allabendlich zubereitete Bratkartoffeln, die immer ein wenig nach Teig schmecken. Und ihre Schnauzer-Dame namens Anke, die nach den Mahlzeiten regelmäßig Sophies Nachtisch bekommt.
Letztlich ist es indirekt Sophies Hündin, die ihr Leben im Alter von 91 Jahren beendet. Nach einem zuvor erlittenen Oberschenkelhalsbruch noch immer sehr unsicher auf den Beinen, stolpert Sophie eines Tages über Anke und stürzt erneut – wovon sie sich nicht mehr erholt, sie stirbt am 11. Januar 1956. Beerdigt ist Sophie fünf Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.