Otto Mehrings – Biographie

Otto August Erich Mehrings wird am 6. Juni 1905 als zweites Kind von Johann Mehrings und Martha Mehrings in Burhave geboren. Er ist der jüngere Bruder von Else Goosmann und der ältere Bruder von Käte Lagemann.

Drei Tage nach Ottos Geburt eröffnet in Oldenburg Großherzog Friedrich August die von langer Hand vorbereitete und mit großen Erwartungen verbundene Landesgewerbe-Ausstellung. Im Gegensatz zur Gewerbe- und Kunstausstellung von 1885 findet sie aus Platzgründen nicht auf dem Pferdemarkt statt, sondern auf den noch unbebauten Dobbenwiesen. Auf dem rund 9 Hektar großen Gelände hat die Stadtverwaltung nach diversen Vorarbeiten 37 Gebäude mit einer Grundfläche von 14.000 Quadratmetern errichtet, die Platz für 320 Aussteller bieten. Zu den namentlich bis heute bekannten Firmen aus dem Oldenburger Land, die dort ihre Produkte und Dienstleistungen präsentieren, gehören unter anderem die Glashütte Oldenburg, die Norddeutsche Wollkämmerei aus Delmenhorst und die Kornbrennerei Hullmann aus Etzhorn.

Den kulturellen Höhepunkt des Eröffnungsabends liefert die Verleihung der „Großen Medaille für Kunst und Wissenschaft“ an den in der Künstlerkolonie Worpswede lebenden Maler Heinrich Vogeler. Parallel dazu zeigt die eigens auf dem Ausstellungsgelände errichtete Kunsthalle erstmals öffentlich Vogelers bekanntestes Werk „Sommerabend“ – ein Ereignis, dem der Oldenburger Schriftsteller Klaus Modick 110 Jahre später in seinem Roman „Konzert ohne Dichter“ breiten Raum widmet.

Neben der vom aufstrebenden Hamburger Architekten Peter Behrens entworfenen Kunsthalle wartet die Oldenburger Ausstellung mit weiteren Attraktionen auf wie dem „Zirkus Kremser“, einem „Illusionspalast“ mit verblüffenden Lichteffekten und nicht zuletzt dem Abessinierdorf. Dabei handelt es sich um rund 70 Mitglieder einer im Eversten Holz untergebrachten Dorfgemeinschaft aus Somalia, die dort ihre Sitten und Gebräuche demonstriert. Bis zum Toresschluss am 31. August 1905 zieht die Landesausstellung bei Eintrittspreisen von 60 Pfennig pro Person mehr als 620.000 Besucher an. Ein beachtlicher Erfolg angesichts der Tatsache, dass das gesamte Oldenburger Land damals nur 320.000 Einwohner zählt. In der Stadt Oldenburg selbst leben 1905 rund 28.000 Menschen.

Gut möglich, dass auch Ottos Eltern oder andere Personen aus seiner unmittelbaren Umgebung zu den Besuchern gehören. Zwar besitzt Burhave 1905 noch keinen Bahnhof, die Butjadinger Bahn wird erst im August 1908 ihren Betrieb aufnehmen. Doch bis Nordenham sind es nur 15 Kilometer, und von dort führen gleich zwei Bahnstrecken – mit Umstieg in Brake oder in Hude – direkt zum Oldenburger Centralbahnhof.

Vermutlich bereits vor Ottos Einschulung zieht die Familie nach Elsfleth und somit noch ein Stück weit näher an Oldenburg heran. Ottos Vater ist Berufssoldat und gehört als Obermaat der Kaiserlichen Marine an. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 befindet er sich offenbar auf Ostasien-Fahrt, denn er gehört Erzählungen aus der Familie zufolge zu jenen rund 4.400 Soldaten, die nach der Kapitulation des deutschen Pachtgebiets Kiautschou im November 1914 in japanische Gefangenschaft geraten. Otto, der während des Krieges in Elsfleth die Volksschule besucht, bekommt ihn wahrscheinlich erst 1919 oder 1920 wieder zu Gesicht.

Nach dem Schulabschluss verlässt Otto sein Elternhaus und beginnt eine Bäckerlehre bei der Landbäckerei Brockshus in Dötlingen. Nebenbei kellnert er im schräg gegenüber liegenden „Dötlinger Hof“. Es ist die Zeit der durch den verlorenen Weltkrieg und die Reparationsforderungen der Siegermächte bedingten Hyperinflation. Eine völlig unberechenbare Zeit, deren oftmals chaotische Begleitumstände Ottos noch immer in Elsfleth lebende Familie ganz unmittelbar zu spüren bekommt. Für seinen Vater, der nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft als Zöllner arbeitet, steht 1923 eine Versetzung nach Bad Bentheim nahe der niederländischen Grenze an. Er verkauft den Wohnsitz in Elsfleth und muss zusehen, wie sich der Gegenwert innerhalb kürzester Zeit förmlich in Luft auflöst. Das Thema Hauskauf hat sich danach erledigt – Johann, Martha und die beiden Töchter müssen in Bad Bentheim mit einer Mietwohnung vorlieb nehmen.

Mit der Anfang 1924 eingeführten Rentenmark bessert sich allmählich die Lage. Allerdings nur für wenige Jahre: Die ab Herbst 1929 aus den USA nach Deutschland herüberschwappende Weltwirtschaftskrise lähmt das Land erneut und lässt die Zahl der Arbeitslosen bis 1932 auf zeitweise mehr als 5,5 Millionen anschwellen. Eine politische Radikalisierung setzt ein, die im Januar 1933 zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führt. Diesen Wechsel von der Weimarer Republik zum Dritten Reich erlebt Otto wahrscheinlich bereits in Kirchhatten, wo er als Geselle des Bäckermeisters Johann Helms arbeitet und seine künftige, ebenfalls in der Bäckerei beschäftigte Ehefrau Karla Meyer kennenlernt.

Otto und Karla heiraten am 26. Februar 1937. Sechzehn Monate später kommt die gemeinsame Tochter Lore zur Welt. Otto hat inzwischen die Meisterprüfung abgelegt und brennt nun darauf, seine Situation durch den Sprung in die Selbstständigkeit zu verbessern. Allein, eine passende Gelegenheit bietet sich zunächst nicht – recht hoffnungsvoll begonnene Verhandlungen mit einem Bäckermeister in Delmenhorst über eine Geschäftsübernahme etwa scheitern an den zu unterschiedlichen Preisvorstellungen. Dann erfährt Otto, dass Reinhard Asseln in Hurrel aus gesundheitlichen Gründen einen Pächter für die 1919 von seinem Schwiegervater Carl Busch übernommene Bäckerei mit angeschlossenem Laden- und Gaststättenbetrieb (heute: Hajo und Dagmar Mehrings) sucht. Kontakt ist schnell hergestellt, und am 8. August 1938 beginnt für Otto eine sechswöchige Probezeit.

Die Schnupperphase verläuft zur beiderseitigen Zufriedenheit: Mitte Oktober 1938 wird der Pachtvertrag aufgesetzt. Otto holt daraufhin auch Karla und Lore nach Hurrel und nimmt neben der täglichen Arbeit in der Bäckerei zügig die nötigen Umbauarbeiten in Angriff: Im Laufe des ersten Halbjahres 1939 verwandelt sich so die Diele, auf der wenige Monate zuvor noch Kühe standen, in eine Wohnung für Reinhard und Adele Asseln. Auch sonst gibt es einiges zu modernisieren und weiteren Platz zu schaffen: Karla ist erneut schwanger, am 6. August 1939 macht Sohn Bodo das Familienglück komplett.

Alles andere als schlechte Voraussetzungen also, um Ottos Traum von der Selbstständigkeit mit Leben zu erfüllen – würde nicht um ihn herum zum zweiten Mal seit 1914 die Welt aus den Fugen geraten. Mitte März 1939 rollen deutsche Panzer Richtung Prag, dem gemäß Münchner Abkommen vom 30. September 1938 vollzogenen Anschluss des Sudetenlandes folgen die Zerschlagung der Rest-Tschechei und der Einmarsch ins Memelgebiet. Den ganzen Sommer 1939 über spitzt sich der Streit um die Freie Stadt Danzig zu, bis schließlich der am 23. August in Moskau geschlossene Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion Deutschlands Führer Adolf Hitler eine Woche später den von langer Hand vorbereiteten Überfall auf Polen ermöglicht. Der Zweite Weltkrieg beginnt.

Erzählungen aus der Familie zufolge erhält Otto bereits zehn Tage, bevor am Sender Gleiwitz und in Danzig die ersten Schüsse fallen, einen Stellungsbefehl zur Wehrmacht. Wohin es ihn in den folgenden Jahren verschlägt, ist allerdings nicht überliefert. Da er relativ zügig nach der Kapitulation im Mai 1945 nach Hause zurückkehrt, wird er aber vermutlich eher im Norden oder Westen als an der Ostfront eingesetzt gewesen sein. Wie und wo auch immer: Gesundheitlich ist Otto nach fast sechs Jahren als Soldat stark angegriffen, insbesondere der Magen wird ihm bis ans Lebensende immer wieder zu schaffen machen.

Während Karla und die beiden Kinder wohlauf sind, gibt es für Otto kein Wiedersehen mit Schwiegervater Heinrich Meyer. Dessen ungeklärter Tod wenige Tage nach Kriegsende zeigt exemplarisch auf, in welch rechtlichem Vakuum sich das besetzte Deutschland seit Frühjahr 1945 befindet. Dies betrifft keineswegs nur die später abgetretenen Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie, sondern ganz konkret auch den Nordwesten. So werden in den Niederlanden Forderungen laut, als Wiedergutmachung für erlittene Kriegsschäden das eigene Staatsgebiet nach Osten auszudehnen und die dort lebende deutsche Bevölkerung rigoros auszuweisen. Eine Maßnahme, die nicht nur Ottos Familie in Bad Bentheim treffen würde, sondern unter Umständen auch Hurrel. Einzelne Varianten des Bakker-Schut-Planes nämlich sehen die Annexion deutscher Gebiete bis an das Westufer der Weser vor.

Letztlich lehnt die Alliierte Hohe Kommission diesen Plan ab – mit der Begründung, dass Deutschland bereits genug mit den Millionen Flüchtlingen aus den Ostgebieten zu tun habe. Was für das mit Ende des Dritten Reiches kurzzeitig wiederauferstandene Land Oldenburg in ganz besonderem Maße gilt: Zwischen Mai 1945 und August 1946 strömen mehr als 200.000 Menschen in das Gebiet zwischen Weser und Ems, ein Zuwachs von fast 40 Prozent gegenüber der Anfang 1939 ansässigen Bevölkerung. Auch Hurrel platzt mit zeitweise mehr als 500 Einwohnern aus allen Nähten.

Das sind die völlig neuen Rahmenbedingungen, die Otto bei seiner Rückkehr vorfindet. Woran sich hingegen seit 1939 nichts verändert hat: Der von ihm gepachtete Betrieb ist nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt des Dorfes. Mit jedem Laib Brot, der hier nach Abzug der Besatzer gebacken und verkauft wird, kehrt deshalb ein kleines Stück Normalität nach Hurrel zurück – woran natürlich auch die Währungsreform vom Juni 1948 und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland elf Monate später ihren Anteil haben.

Im Anfang April 1950 nach 13 Jahren Pause zu neuem Leben erweckten Schützenverein Hurrel ist Otto von Beginn an aktiv – als Schütze, Stifter der neu angeschafften Königskette und natürlich als Vereinswirt, der fortan zusammen mit dem Vorstand an jedem letzten Sonntag im Juli zum Schützenfest einlädt. Tage, an denen den meisten Gästen die 1948 eingeführte D-Mark recht locker im Portemonnaie sitzt. Doch auch sonst läuft das Geschäft gut. So gut, dass Otto schon bald mehrere Angestellte beschäftigen, einen motorisierten Verkaufswagen anschaffen und zeitweise sogar eine zweite Verkaufsstelle in Wüsting unterhalten kann. Daneben bildet er in den 50er Jahren neben Sohn Bodo eine ganze Reihe weiterer Schulabgänger zu Bäckern aus, unter anderem die Hurreler Dorfjungen Heinz Logemann und Ewald Gramberg.

Mit der ihm für den Bezirk Hurrel übertragenen Postagentur eröffnet sich Otto 1955 eine weitere Einkommensquelle. Den Botendienst übernimmt Tochter Lore, unterstützt von Bruder Bodo und ihrem künftigen Ehemann Artur Sanders aus Dingstede. Im Hauptberuf arbeitet Artur als Maurer, was sich nach der im Oktober 1956 gefeierten Hochzeit als ausgesprochen wertvoll erweist. Seine mittlerweile erwirtschafteten Reserven versetzen Otto nämlich 1957 in die Lage, den bislang nur gepachteten Betrieb zu kaufen. Damit verbunden ist der Bau eines Altenteiler-Hauses für Reinhard und Adele Asseln, das Artur gemeinsam mit seinem Vater Diedrich errichtet. Auch im Haupthaus kommt es bis Anfang 1962 zu diversen Umbau- und Modernisierungsarbeiten – zum einen, um Platz für Lore, Artur und ihre 1957 und 1960 geborenen Kinder Uwe und Meike zu schaffen, zum anderen bedingt durch behördliche Auflagen.

Als Bodo im Februar 1964 Ursel Dählmann aus Lintel heiratet, zieht Lore mit ihrer Familie in ein neu errichtetes Eigenheim nach Dingstede. Dafür kommen mit Bodos und Ursels Kindern Hille (Dezember 1965) und Hajo (Mai 1968) zwei neue Enkel hinzu. Nach vielen Jahren, in denen ihm die Kombination der Berufe Bäcker und Gastwirt nur selten ausreichende Nachtruhe beschert und schon gar keinen Raum für Urlaub oder sonstige Freizeitaktivitäten gelassen hat, ist es nun für Otto ganz allmählich an der Zeit, den Ruhestand zu planen. Bodo, der im Oktober 1965 seine Meisterprüfung als Bäcker bestanden hat, steht als Nachfolger bereit, und mit Alfred Wübbeler gehört seit kurzem ein sehr zuverlässiger Verkaufsfahrer zum Team.

Nach mehreren Kurz-Urlauben, die ihn und Karla unter anderem ins Sauerland und in den Harz geführt haben, reisen beide im August 1971 in Begleitung von Ottos Schwester Else und ihrem Ehemann Wilhelm Goosmann abermals in den Harz, nach Hahnenklee-Bockswiese. Schon bald nach der Ankunft gesellen sich jedoch zu Ottos ohnehin bestehenden Magenproblemen weitere Verdauungsbeschwerden hinzu. Wenig später einsetzende Darmblutungen zwingen ihn unmittelbar nach seiner Rückkehr ins Evangelische Krankenhaus nach Oldenburg, wo die behandelnden Ärzte sein Leben trotz mehrerer Bluttransfusionen nicht mehr retten können: Otto stirbt am 11. September 1971 und wird drei Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.