Otto Franz wird am 10. April 1904 als viertes Kind von Karl Franz und Berta Franz im thüringischen Dorf Neidenberga (Landkreis Ziegenrück) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Kurt Franz, Erna Höpken und Elly Behnken und der ältere Bruder von Erwin Franz, Rudolf Franz und Arno Franz.
Zwei Tage vor Ottos Geburt schließen Großbritannien und Frankreich einen Entente cordiale genannten Vertrag, in dem beide Länder Querelen in der Kolonialpolitik beilegen und insbesondere ihre Interessenssphären in Afrika voneinander abgrenzen. Die Einigung kommt insofern überraschend, als dass sich Briten und Franzosen seit Beginn des Hundertjährigen Krieges im Jahre 1337 immer wieder in die Quere gekommen waren – zum bis dato letzten Male 1898 in der Faschoda-Krise. In der sudanesischen Stadt jenes Namens (heute: Kodok) waren damals die Versuche Großbritanniens, sich auf dem Schwarzen Kontinent von Nord nach Süd auszubreiten, mit den Bestrebungen Frankreichs kollidiert, das Gleiche von West nach Ost zu tun.
Im Rahmen der Entente cordiale erkennt Frankreich Großbritanniens Herrschaft in Ägypten an und erhält im Gegenzug die britische Zusicherung, sich jeder Einmischung in Marokko zu enthalten. Das Land im äußersten Nordwesten Afrikas gilt offiziell zwar nicht als Kolonie Frankreichs, steht aber stark unter französischem Einfluss. Ein weiterer Bestandteil des Vertrages ist der gegenseitig gewährte freie Verkehr von Schiffen durch den Suez-Kanal und die Straße von Gibraltar. Letztlich ist das Handeln der beiden Großmächte davon getrieben, die eigene Position im europäischen Machtgefüge zu verbessern. Großbritannien hatte dies zunächst durch eine Annäherung an das Deutsche Reich versucht, sah sich aber wiederholt durch die aggressive deutsche Flottenpolitik brüskiert. Auch in Frankreich hatte es im Vorfeld der Entente cordiale durchaus Überlegungen gegeben, zusammen mit dem rechtsrheinischen Nachbarn eine starke kontinentale Allianz gegen Großbritannien zu bilden – was letztlich aber an der strikten Weigerung der deutschen Seite scheiterte, im Gegenzug noch einmal über die Zukunft der 1871 nach dem Deutsch-Französischen Krieg abgetretenen Provinz Elsass-Lothringen zu verhandeln.
Die plötzliche Einigkeit in der Achse London-Paris schwört bereits im folgenden Jahr eine internationale Krise herauf – ausgehend vom Deutschen Reich, das eine französische Kolonialherrschaft in Marokko ablehnt und auf freien Handel pocht. Auf der Konferenz von Algeciras Anfang 1906 erzielt Frankreich dann mit britischer Unterstützung einen wichtigen Teilerfolg und erhält zusammen mit Spanien die Hoheit über die marokkanischen Häfen zugesprochen. Wiederum ein Jahr später nähern sich im Vertrag von St. Petersburg auch die bisherigen Konkurrenten Russland und Großbritannien aneinander an: Die Entente cordiale und die seit 1894 bestehende Französisch-Russische Allianz verschmelzen in der Triple Entente. Für Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Militärführung, die sich zunehmend von Gegnern eingekreist sieht, ein Alptraum.
Ob die Menschen im Land das auch so empfinden? Zwar hat das Deutsche Reich in den vorangegangenen Jahrzehnten ökonomisch einen großen Sprung nach vorn gemacht. Etliche von Wilhelms Untertanen kommen dennoch eher schlecht als recht über die Runden und sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollauf damit beschäftigt, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu erarbeiten. Das gilt auch für Ottos Vater, der in Neidenberga eine kleine Schmiede sowie nebenbei etwas Landwirtschaft betreibt. Mit drei oder vier Kindern funktioniert das noch leidlich gut, doch spätestens nach der Geburt des kleinen Rudolf im November 1907 blicken er und Ehefrau Berta eher sorgenvoll als hoffnungsfroh in die Zukunft. Angelockt von einem Angebot der Provinz Westpreußen, das siedlungswilligen Bauern zu sehr günstigen Konditionen Land zur Verfügung stellt, vollzieht das Paar im Sommer 1910 deshalb einen radikalen Schnitt: Es verkauft Schmiede und Grundbesitz und macht sich mit seinen verbliebenen Habseligkeiten und den sechs Kindern auf den rund 500 Kilometer langen Weg nach Rebkau (Kreis Kulm). Dort kommt im Juli 1911 Ottos jüngster Bruder Arno zur Welt.
Rekbau ist ein kleines Bauerndorf mit rund 150 Einwohnern, es liegt in den äußerst fruchtbaren Niederungen der Weichsel. Das sichert der Familie ein gutes Auskommen. Während Otto und seine Geschwister die dörfliche Volksschule besuchen, dürfen seine Eltern sich trotz harter Pionierarbeit auf ihrem Hof für einige Jahre darin bestätigt fühlen, mit dem Umzug alles richtig gemacht zu haben. Dann allerdings holt sie die große Politik in Form der rückwirkend verhängnisvollen europäischen Bündnis-Konstellationen ein: Als im Juni 1914 serbische Nationalisten in Sarajevo den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie ermorden, steht Russland zu seinem Verbündeten Serbien und Deutschland an der Seite Österreich-Ungarns – die Lunte zum Pulverfass Balkan brennt lichterloh und lässt sich von niemandem mehr austreten.
Am Anfang August 1914 beginnenden Ersten Weltkrieg nehmen auch Karl Franz und – in der Schlussphase – Ottos im Oktober 1899 geborener Bruder Kurt teil; der Vater verliert dabei ein Bein. Wie Otto in Rebkau die vier Jahre bis zum Waffenstillstand von Compiègne erlebt, liegt heute im Dunkeln. Als der Krieg endet, ist er 14 Jahre alt und steht kurz vor dem Abschluss der Volksschule. Die folgenden Wochen und Monate gestalten sich für ihn, seine Eltern und die Geschwister noch schwieriger als für manch andere Familie im international trotz Abdankung des Kaisers und Ausrufung der Weimarer Republik weitgehend geächteten Nachkriegs-Deutschland: Schon bald nämlich wird klar, dass die im aufgezwungenen Friedensvertrag von Versailles verfügten Gebietsabtretungen auch Ottos neue Heimat betreffen. Am 10. Januar 1920 fällt der Kreis Kulm an die neu entstandene Zweite Polnische Republik.
Zurück nach Thüringen? Für Familie Franz ist das aus welchem Grund auch immer keine Option. Stattdessen führt ihr Weg nach Hurrel, wo Karl Franz im Frühjahr 1920 den früheren Hof von Hermann Christian Bischoff (heute: Rita Wiemer) übernimmt. Es folgen einige harte Jahre, denn von der Bodenqualität her sind die Erträge des neuen, äußerst sandigen Besitzes mit jenen der zwangsweise verkauften Ländereien in keiner Weise vergleichbar. Ganz zu schweigen von der verheerenden, erst Anfang 1924 endenden Hyperinflation. Deren Folgen freilich sind in ganz Deutschland gleichermaßen zu spüren.
Wie seine Geschwister arbeitet Otto nach dem Umzug zunächst auf dem elterlichen Hof mit – nimmt aber vermutlich ebenso wie diese jede verfügbare andere Arbeit an, um etwas Geld in die leere Familienkasse zu bringen. Schwester Erna beispielsweise geht zunächst auf dem Hof von Henni Heinemann (heute: Renate Heinemann) in Stellung, später auf einem Betrieb in der Wesermarsch und dann als Hollandgängerin im Nachbarland. Sie ist im Dezember 1926 die erste, die heiratet, und bezieht nach der Trauung mit Gustav Höpken aus Strückhausen ganz in der Nähe einen zur Mietwohnung umgebauten Schafstall auf dem Grund von Hinrich Wieting. Die zweite Schwester Elly wiederum verschlägt es nach Bookholzberg.
Entgegen des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts legt sich Vater Karl auf den ältesten Sohn Kurt als Hoferben fest. Dieser heiratet im November 1931 Johanne Wunderlich aus Seefelderaußendeich, die – 1909 als Tochter des Schulleiters Emil Wunderlich in Altmoorhausen geboren – zu jener Zeit auf dem Hof von Leo und Margaretha Jung (heute: Constanze Fechner-Jung) in Stellung ist. Sehr wahrscheinlich über diese Verbindung lernt Otto auch seine künftige Ehefrau Alma Wunderlich kennen: Sie ist die jüngste Schwester von Emil Wunderlich, also eine Tante seiner Schwägerin Johanne.
Wann und bei welcher Gelegenheit Otto und Alma ein Paar werden, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Auf jeden Fall möchte auch Otto auf Dauer in Hurrel bleiben und fasst dafür den Plan, sich mit einer kleinen, auf Schweinezucht spezialisierten Landwirtschaft auf eigene Füße zu stellen. Dafür kauft er Anfang der 1930er Jahre unweit des elterlichen Betriebs ein zuvor Heinrich Ahrens gehörendes Stück Land und beginnt dort mit dem Bau eines entsprechenden Stallgebäudes (heute: Ute Franz), dem später noch ein Wohnhaus folgen soll. Hilfe bekommt er dafür von seinem inzwischen als Maurer beschäftigten Bruder Arno. Die Arbeiten gehen allerdings nur recht langsam voran, da Otto eine feste Arbeitsstelle in der Ziegelei in Rethorn angenommen hat. Von Hurrel aus, wo er sich im Stall einen provisorischen Wohntrakt eingerichtet hat, fährt er jeden Tag die rund 15 Kilometer bis zu seiner Arbeitsstätte hin und zurück, bevor er abends und an den Wochenenden den Weiterbau vorantreibt.
Otto und Alma heiraten am 2. Juli 1934 in Hude. Zu diesem Zeitpunkt regieren in Deutschland bereits die Nationalsozialisten, die – kaum an der Macht – die vergleichsweise weltoffene Weimarer Republik binnen weniger Monate in eine weder Opposition noch Widerspruch duldende, ganz auf ihren Führer Adolf Hitler zugeschnittene Diktatur umgewandelt haben. Während Hitler zunächst sowohl wirtschafts- als auch außenpolitisch eine Reihe von Erfolgen feiert, wird Otto in Hurrel Vater von zwei Söhnen: Robert (März 1936) und Ewald (Juli 1938).
Spätestens im Herbst 1939 gerät Ottos Traum vom zusätzlichen Wohnhaus endgültig ins Stocken: Am 1. September beginnt mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Bis auf Kurt erhalten alle Franz-Brüder relativ zeitig einen Stellungsbefehl zur Wehrmacht – als im April 1941 Mutter Berta stirbt, trägt die dazu in der Huder Zeitung erschienene Traueranzeige bei der Nennung ihrer Söhne viermal den Zusatz „zur Zeit im Felde“. Wo genau im Felde, bleibt im Falle von Otto offen. Bekannt ist lediglich, dass er sich irgendwann mit Tuberkulose infiziert und viel Zeit in Lazaretten verbringt. Noch bevor der Krieg mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endet, wird er als nicht mehr kriegstauglich nach Hause entlassen.
Mit den kanadischen Besatzungssoldaten, die Hurrel im Frühjahr 1945 einnehmen, kann Otto sich Erzählungen aus der Familie zufolge ein wenig auf Englisch verständigen. Wo auch immer er diese Kenntnisse erworben hat – im Vordergrund steht für ihn nach der Kapitulation, seinen kleinen, während der Kriegsjahre zwangsläufig etwas vernachlässigten Hof wieder nach vorne zu bringen. Dafür ignoriert er ärztliche Warnungen, es mit körperlicher Arbeit nur sehr langsam angehen zu lassen. Tatsächlich kehrt die schon fast ausgeheilte Tuberkulose noch einmal zurück. Um Alma und die Kinder nicht anzustecken, verbringt Otto seine letzten Lebensmonate weitgehend isoliert in einem einzelnen Zimmer des von ihm gebauten Hauses.
Otto stirbt am 28. September 1946, im Alter von nur 42 Jahren. Beerdigt ist er vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.