Lilly Schimmelpfennig – Biographie

Lilly Sophie Margarete Schimmelpfennig wird am 10. April 1906 als zweites Kind von Carl August Haeder und Clara Haeder in der Hansestadt Lübeck geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Felix Haeder.

Im April 1906 machen gleich zwei Naturkatastrophen weltweit Schlagzeilen. Zunächst versetzt kurz vor Lillys Geburtstag am Golf von Neapel der Vesuv mit seinem stärksten Ausbruch seit 1631 die ihm zu Füßen lebende Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die Eruptionen beginnen am 4. April und steigern sich fünf Tage lang bis zum Höhepunkt, immer wieder speit der Vulkan tonnenschwere Gesteinsbrocken aus. Die Ortschaft Ottaviano wird – wie anno 79 nach Christi Geburt die römische Stadt Pompeji – zu großen Teilen unter einem Strom kochend heißer Lava begraben. In San Giuseppe sterben mehr als 100 Gemeindemitglieder, als das Dach der Kirche einstürzt, in die sie sich geflüchtet hatten. Auch das Dach einer Markthalle im 25 Kilometer entfernten Neapel hält dem massiven Ascheregen nicht statt und begräbt am 10. April zahlreiche Menschen unter sich. Erst am 22. April kommt der Vesuv allmählich zur Ruhe.

Zur selben Zeit beginnt in San Francisco der Wiederaufbau der durch ein Erdbeben und einen anschließenden Feuersturm zu großen Teilen zerstörten Pazifik-Metropole. Das mit einer mutmaßlichen Stärke von 7,7 bis 7,8 auf der Richter-Skala ungewöhnlich heftige Beben vom 18. April 1906 haben die meisten Einwohner und Gebäude vergleichsweise glimpflich überstanden. Die unmittelbar danach drei Tage lang tobenden Brände fordern jedoch insbesondere im eng besiedelten chinesischen Viertel zahlreiche weitere Opfer. Da die Wasserversorgung zusammengebrochen ist, steht die Feuerwehr den Flammen weitgehend machtlos gegenüber. Schätzungen zufolge kommen bei der Katastrophe mindestens 3.000 Menschen ums Leben, mehr als die Hälfte der 400.000 Einwohner wird obdachlos.

Beide Ereignisse sind mit Sicherheit auch in Lübeck Gesprächsthema. Lillys Heimatstadt selbst kämpft darüber hinaus in jenen Wochen und Monaten noch immer mit einem Beben ganz anderer Art – ausgelöst vom 1901 veröffentlichten Erstlingsroman eines aufstrebenden lokalen Autors. In „Buddenbrooks“ schildert Thomas Mann den Verfall einer Lübecker Kaufmannsfamilie, wobei sich mehrere Honoratioren der Stadt in den handelnden Personen wiederzuerkennen glauben. Mann, der bereits seit 1894 in München lebt, sieht sich deshalb 1906 ein weiteres Mal genötigt, den Spekulationen Einhalt zu gebieten: „Sagt nicht immer: Das bin ich, das ist jener. Es sind nur Äußerungen des Künstlers gelegentlich eurer“, schreibt er in seinem Essay „Bilse und ich“.

Von derartigen Diskussionen vermutlich gänzlich unberührt wächst Lilly in den folgenden Jahren in einem repräsentativen, nahe der Innenstadt gelegenen Mietshaus auf, das früher einmal der Hanse gehört hat. Ihr aus Leipzig stammender Vater arbeitet bei einer städtischen Behörde als Geometer. In den Wirren des Ersten Weltkriegs und des im November 1918 von Kiel auf Lübeck übergreifenden Matrosen-Aufstands besucht Lilly zunächst die Volksschule und später die Oberrealschule. Kurz nach Eindämmung der Hyperinflation von 1923 stirbt ihr Bruder Felix – woran, ist nicht überliefert.

Auch die genauen Umstände, die Lilly nach Oldenburg führen, liegen heute weitgehend im Dunkeln. Es gibt dafür zwei Möglichkeiten: Entweder sie lernt ihren künftigen Ehemann Karl Schimmelpfennig schon in Lübeck oder Lüneburg kennen, wo dieser als Tierzucht-Inspektor arbeitet, und folgt ihm anschließend an seinen neuen Wirkungskreis. Oder sie kommt bereits vor 1930 als erste der beiden in Oldenburg an und sucht sich unabhängig von privaten Bindungen eine Anstellung. Diese findet sie bei dem in der Bahnhofstraße praktizierenden Arzt Georg Stalling.

Wie auch immer: Lilly und Karl heiraten am 24. Juni 1933, woraufhin Lilly zu ihrem Mann in eine von der Oldenburger Herdbuchgesellschaft zur Verfügung gestellten Dienstwohnung in der Osterstraße zieht. Karl arbeitet dort als Geschäftsführer, seit 1932 die zuvor selbstständigen Zucht-Verbände Oldenburger Herdbuch-Verein und Oldenburgische Wesermarsch-Herdbuch-Gesellschaft fusioniert haben. Ein ebenso gut bezahlter wie angesehener Posten, da der seit Mai 1932 nationalsozialistisch regierte Freistaat Oldenburg seit jeher zu den Zentren der deutschen Rinderzucht gehört. Trotzdem arbeitet Lilly bis zur Geburt des ersten Sohnes Dieter am 17. März 1938 weiter als Arzthelferin.

Als Lilly und Karl in der Landesfrauenklinik ihren Sohn zum ersten Mal im Arm halten, kennt die Welt um sie herum nur ein Thema: Fünf Tage zuvor sind deutsche Truppen auf Befehl Adolf Hitlers in Österreich einmarschiert und haben damit die Voraussetzungen für den am 13. März erfolgten Anschluss an das Deutsche Reich geschaffen. Ein Ereignis, das in den beiden beteiligten Ländern überwiegend bejubelt wird, während neben Großbritannien und Frankreich vor allem die Sowjetunion scharf protestiert. Trotz oder vielleicht auch wegen der Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain sind spätestens von diesem Moment an die Weichen in Europa Richtung Krieg gestellt.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Anfang September 1939 greift zunächst nur wenig in das Leben der Familie ein. Karl gilt bei der Herdbuchgesellschaft als unabkömmlich und ist mit seinen knapp 38 Jahren zunächst auch zu alt für eine Einberufung, Lilly kümmert sich um Dieter und hält ihrem Mann den Rücken frei für seine Arbeit. Unmittelbar nach der Geburt des zweiten Sohnes Volker im Oktober 1944 zieht sie sich allerdings auf Karls Anraten hin mit den Kindern auf den Hof eines befreundeten Bauern in der Nähe von Wiefelstede zurück. Dort erlebt sie im Frühjahr 1945 den Einmarsch der alliierten Truppen.

Die unmittelbare Nachkriegszeit ist für Lilly trotz der auch unter britischer Militärverwaltung herausgehobenen Position ihres Mannes kaum leichter als für andere Oldenburger. Es mangelt praktisch an allem, zudem quartieren sich Karls aus Pommern geflohene Mutter und dessen zwei Schwestern bei ihnen ein. Ihre eigene Mutter Clara erleidet Anfang 1946 bei einem Unfall in Lübeck einen Oberschenkelhalsbruch und stirbt, da im Krankenhaus keine Antibiotika verfügbar sind, an einer Infektion. Trotzdem hält Lilly zu ihrer Heimatstadt über diverse Bekannte zeitlebens Kontakt – ebenso wie zu ihrem früheren Arbeitgeber Georg Stalling, der 1951 stirbt und in Hude beerdigt wird.

Das Huder Umland lernt Lilly bald darauf näher kennen: Karl kauft 1953 im Hurreler Sand ein ursprünglich von Georg Schleusener errichtetes Haus und verbringt dort fortan einen großen Teil seiner Freizeit. Obwohl am Leben in der freien Natur nicht ganz so interessiert wie Karl, fährt sie häufig mit raus – insbesondere wegen ihrer Hunde. Deren Zucht wird in den kommenden Jahren Lillys größtes Hobby: Sie hält mehrere Dackel und Hovawarts und ist auch in entsprechenden Vereinen aktiv.

Nach Karls Pensionierung 1971 lebt Lilly mit ihm weiter abwechselnd in der Oldenburger Dienstwohnung und im Hurreler Wochenendhaus. Gemeinsam freuen sie sich über die Ankunft von insgesamt vier Enkelkindern und feiern im Juni 1983 Goldene Hochzeit. Kurz darauf erkrankt Lilly allerdings schwer und stirbt nur sechs Monate später. Beerdigt ist sie am 30. Dezember 1983 auf dem Gertrudenfriedhof in Oldenburg.