Johann Carl Haverkamp – Biographie

Johann Carl Haverkamp wird am 4. Juli 1894 als zweites Kind von Bernhard Haverkamp und Gesine Aline Haverkamp auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Eike und Nathalie Haverkamp) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Klara Gesine Schweers und der ältere Bruder von Georg Haverkamp und Bernhard Diedrich Haverkamp.

In den Wochen vor und nach Johanns Geburt hält der am 11. Mai in Chicago ausgebrochene Pullman-Streik die USA in Atem. An jenem Tag hatten rund 4.000 Arbeiter des Schlafwagen-Fabrikanten George Pullman spontan die Arbeit niedergelegt, um eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu erzwingen. Diese sind zwar längst nicht so schlecht, wie man sie sich aus heutiger Sicht mit Blick auf das Kapitalisten-Dorado USA am Ende des 19. Jahrhunderts vorstellen mag. Anders als manch anderer Industrie-Baron jener Epoche ist Pullman kein Ausbeuter im klassischen Sinne – bereits Anfang der 80er Jahre beginnt er beispielsweise damit, für seine Arbeiter moderne Industriesiedlungen zu bauen. Während die Angestellten anderer Betriebe unter oft katastrophalen hygienischen Bedingungen in schäbigen Mietskasernen hausen, verfügen Pullmans Häuser über hochwertige sanitäre Anlagen einschließlich Gas- und Wasseranschluss.

Das Problem: Pullman lässt seinen Beschäftigten keine Wahl. Er ist nicht nur Arbeitgeber, sondern zugleich auch Vermieter und Anbieter zahlreicher Zwangs-Dienstleistungen, deren Gegenwert automatisch vom Lohn einbehalten wird. Am Ende bleibt deshalb kaum etwas übrig – was natürlich Unzufriedenheit schürt. Die Lage eskaliert, als Pullman 1893 im Zuge der geplatzten Eisenbahn-Blase an der New Yorker Börse zahlreiche Arbeiter entlässt und den Übriggebliebenen Gehaltseinbußen von durchschnittlich 25 Prozent aufbürdet. Die Kosten für Miete, Heizung und den Bedarf des täglichen Lebens laufen derweil in unveränderter Höhe weiter, ebenso wie die Auszahlungen an die Pullman-Aktionäre. Verhandlungen mit der Firmenleitung über diese kaum nachvollziehbare Ungleichbehandlung scheitern, mehrere an den Gesprächen beteiligte Vertrauensleute erhalten unter fadenscheinigen Gründen ihre fristlose Kündigung.

Auf den dadurch provozierten Streik reagiert Pullman mit Aussperrung. Das wiederum ruft die Gewerkschaft American Railway Union auf den Plan: Aus Solidarität koppeln deren Mitglieder in den folgenden Wochen reihenweise Pullman-Schlafwagen von den Zügen ab oder weigern sich, diese abzufertigen – bis am 3. Juli US-Präsident Grover Cleveland das Militär in Marsch setzt, um den Streik zu beenden. Die sich bis zum 2. August hinziehenden Auseinandersetzungen, bei denen Hunderte Eisenbahnwaggons und auch einige Gebäude der gerade beendeten Weltausstellung von 1893 in Flammen aufgehen, fordern offiziellen Angaben zufolge insgesamt 13 Tote und 47 Verletzte.

Drei Hurreler, die die Niederschlagung des Streiks aus nächster Nähe miterleben, sind Heinrich Wilkens, seine zu jenem Zeitpunkt hochschwangere Frau Sophie und deren Bruder Bernhard Tönjes. Letzterer lebt bereits seit den 70er Jahren in Chicago, Heinrich und Sophie sind dort im Sommer 1893 angekommen. Ob die Auswanderer in ihren Briefen an die in Hurrel gebliebenen Geschwister über das Ereignis berichten und ob auf diese Weise auch Johanns Familie davon Kenntnis erhält, lässt sich nur vermuten. Johanns ebenfalls ausgewanderten Großtanten Beta Mönnich und Gesine Meyer kommen als Informationsgeber eher nicht in Frage: Beide leben in Nebraska und schreiben wahrscheinlich – wenn überhaupt – eher über die Ernte-Bedingungen vor Ort als über einen 800 Kilometer entfernt ausgefochtenen Arbeitskampf.

Sollte tatsächlich Kontakt zu den Großtanten und deren Nachkommen bestehen – denkt dann möglicherweise auch Johann das eine oder andere Mal darüber nach, der Heimat den Rücken zu kehren? Völlig ausgeschlossen ist das nicht, denn angesichts des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts kann er sich wenig Hoffnung machen, eines Tages den elterlichen Hof zu übernehmen. Zumindest einer seiner Klassenkameraden in der Volksschule Hurrel – Heinrich Wilkens‘ Halbbruder Friedrich – geht in den folgenden Jahren diesen Schritt. Johanns Nachbar und mutmaßlich bester Schulfreund Carl Schwarting bleibt allerdings ebenso im Lande wie die in etwa gleichaltrigen Dorfjungen Georg Lange, Gustav Schwarting, Georg Sparke, Heinrich Tönjes und Hinrich Wieting.

Noch bevor Johann nach dem Schulabschluss die Weichen für sein weiteres Leben stellen kann, überschlagen sich die Ereignisse. Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie im Juni 1914 löst den Ersten Weltkrieg aus. Nur wenige Monate nach der Einberufung zur Kavallerie erhält Johann dann die Nachricht, dass sein Vater in einem Delmenhorster Krankenhaus einer Lungenentzündung erlegen ist. Vielleicht zu seinem Glück – führt der Tod des Vaters Informationen aus der Familie zufolge doch im Laufe des Jahres 1917 zur vorzeitigen Entlassung aus der Armee. Angesichts der zunehmenden Versorgungsengpässe im Kaiserreich ist Johann nach Meinung der militärischen Führung offenbar auf dem elterlichen Hof besser aufgehoben als an der Front – zumal Pferde dort längst eine bedeutend kleinere Rolle spielen als ihnen noch im August 1914 zugedacht ist.

Auch nach Ende des Krieges im November 1918 bleibt Johann zunächst in Hurrel. Wann und bei welcher Gelegenheit er in den folgenden Jahren seine künftige Frau Gesine Osterloh aus Sandersfeld kennenlernt, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Vielleicht auf einer Veranstaltung des Reitervereins Sandersfeld, zu dessen Mitgliedern Johann bereits seit der Gründung im Jahr 1912 gehört: Das Übungsgelände des Vereins liegt in direkter Nachbarschaft zu den Ländereien von Gesines Eltern Dietrich und Johanne Osterloh.

Johann und Gesine heiraten am 6. Mai 1926, und Johann siedelt auf den Osterloh-Hof über (heute: Ingo und Elke Haverkamp). Der im Oktober 1927 geborenen Tochter Hanna folgen mit Gerda (April 1929), Edo (Januar 1934), Hans (Januar 1937) und Bernhard (Dezember 1939) vier weitere Kinder. In den zwölf Jahren dazwischen wandelt sich das politische Umfeld in Deutschland fundamental: Regiert bei Hannas Geburt noch eine bürgerliche, an die vergleichsweise liberale Verfassung der Weimarer Republik gebundene Koalition aus Zentrum, DVP, DNVP, DDP und BVP, kommt Edo nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 im Dritten Reich zur Welt. Das ganze Jahr 1937 hindurch läuft die Aufrüstung der Wehrmacht bereits auf Hochtouren, und als Bernhard die Familie komplett macht, tobt in Europa der Zweite Weltkrieg.

Obwohl Johann bei Kriegsausbruch bereits 45 Jahre alt ist, erhält er einen Stellungsbefehl. Über die Hintergründe ist in der Familie nichts Genaues mehr bekannt, Erzählungen zufolge kann Johann jedoch spätestens Anfang 1940 die Uniform ausziehen und sich mit Gesine wieder der Arbeit auf dem mittlerweile auf ihn übergegangenen Hof widmen. In den folgenden anderthalb Jahren ist der Krieg dann zunächst einmal weit weg – bis er den Haverkamp-Hof in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1942 mit voller Härte trifft. Auf dem Rückweg von einem Angriff auf Bremen werfen alliierte Flieger in Sandersfeld Stabbrandbomben ab, die zunächst ein Strohlager entzünden und in der Folge die gesamte Hofanlage bis auf die Grundmauern niederbrennen lassen.

Nachdem sie in den ersten Wochen beim Nachbarn Wilhelm Imholze (heute: Haus Sandersfeld) und bei den inzwischen in einem zum Hof gehörenden Heuerhaus wohnenden Schwiegereltern unterkommen, bezieht Johann bald darauf mit seiner Familie eine auf dem eigenen Grundstück aufgestellte Baracke. Zwar geht es mit dem Wiederaufbau der Stallungen zunächst zügig voran: Johanns älteste Tochter Hanna erinnert sich, dass bereits am 27. Oktober 1942 – ihrem 15. Geburtstag – die Diele des neuen Haupthauses gepflastert wird. Je näher das Kriegsende rückt, desto mehr verzögern sich jedoch die weiteren Arbeiten. Ihr Ende finden sie erst nach Beginn der britischen Besatzung im Frühjahr 1945.

Die ersten Nachkriegsjahre gestalten sich in Sandersfeld ähnlich schwierig wie im Rest des in vier Zonen geteilten Landes. Mit dem Unterschied, dass die Versorgungslage lange nicht so dramatisch ist wie im benachbarten Bremen oder in anderen Großstädten. Auf dem Haverkamp-Hof etwa muss niemand Hunger leiden – auch nicht die Mitglieder der vorübergehend dort untergebrachten Flüchtlingsfamilien. Das liegt zum einen natürlich an der Größe der bewirtschafteten Fläche von mehr als 40 Hektar. Zum anderen liegt es aber auch an Johanns Geschick, sich neben der Landwirtschaft eine Vielzahl weiterer Einkommensquellen zu erschließen. Die entscheidenden sind dabei wie bereits vor dem Krieg der Viehhandel und die Pferdezucht.

Letzteres bleibt Johanns große Passion, der er wie auch dem Reitsport allgemein in den folgenden Jahren mehr und mehr Zeit widmet. So hat Johann wesentlichen Anteil daran, dass der von ihm seit 1931 als erstem Vorsitzenden geführte Reiterverein Sandersfeld in den 50er Jahren eine zweite Blütezeit erlebt. Als Vorstandsmitglied des Huder Tierschauvereins organisiert er zudem nicht nur regelmäßig Wettbewerbe für die örtlichen Züchter, sondern nimmt auch selbst an Tierschauen im gesamten Landkreis und in der Kreishauptstadt Oldenburg teil – höchst erfolgreich, wie zahlreiche errungene Preise belegen.

Einige Monate vor seinem 66. Geburtstag im Juli 1960 übergibt Johann den Hof an Sohn Edo und dessen Ehefrau Edith Hoffrogge aus Lintel. Zwei Jahre später ehrt der Reiterverein Sandersfeld Johann für seine 50-jährige Mitgliedschaft. Zu diesem Zeitpunkt ist aber bereits absehbar, dass sich die Dynamik des vorangegangenen Jahrzehnts nicht aufrechterhalten lassen wird: Angesichts der zunehmenden Mechanisierung der Landwirtschaft gelingt es immer seltener, die für einen regelmäßigen Reitbetrieb erforderlichen Pferde zu beschaffen. Schweren Herzens leitet Johann daraufhin den Anschluss an den Reitclub Hude in die Wege, der im März 1966 erfolgt.

Im Sommer 1970 bremst ein in unmittelbarer Nähe des eigenen Hofes erlittener Autounfall Johanns nach wie vor vorhandenen Elan. Die dabei erlittenen Verletzungen zwingen ihn zu einem längeren Krankenhaus-Aufenthalt, von dem er sich am Ende nicht mehr erholt: Johann stirbt am 20. Juli 1971 und wird drei Tage später auf dem evangelischen Friedhof in Ganderkesee beerdigt.