Heinz Stolle – Biographie

Hans Friedrich Heinz Stolle – Rufname Heinz – wird am 5. Mai 1928 als erstes Kind von Ernst Stolle und Hedwig Stolle in Stettin geboren. Er ist der ältere Bruder von Egon Stolle und Rudi Stolle und hat mit Irma Steinhöfel und Hans Driffkorn noch zwei ältere Halbgeschwister aus der ersten Ehe seiner Mutter.

Am Tag von Heinz‘ Geburt sprechen die Richter des Stettiner Schwurgerichts ihr Urteil in einem deutschlandweit beachteten Fememord-Prozess. Dabei geht es um einen bereits acht Jahre zurückliegenden Fall: Im Juli 1920 hatten Mitglieder des Freikorps Roßbach im Landkreis Greifenhagen einen ebenfalls der Organisation angehörenden Landarbeiter erschossen, weil er angeblich ein Waffenversteck an die Behörden verraten wollte. Während des Prozesses kommen auch die aktive Beteiligung des Freikorps am Kapp-Putsch und seine Verbindungen zur Schwarzen Reichswehr zur Sprache: Diese „Schatten-Armee“ wurde in den turbulenten Anfangsjahren der Weimarer Republik von der regulären Reichswehr gefördert und teilweise sogar selbst finanziert, um die Bedingungen des Versailler Friedensvertrags zu unterlaufen.

Mit 15 Jahren Zuchthaus kommt der Haupt-Angeklagte Edmund Heines vergleichsweise glimpflich davon – der Staatsanwalt hatte die Todesstrafe gefordert. Allein, bei diesem ohnehin schon milden Urteil bleibt es nicht. Wegen eines Verfahrensfehlers wird der Prozess im Februar 1929 noch einmal aufgerollt. Am Ende stehen fünf Jahre, von denen Heines inklusive Untersuchungshaft nicht einmal anderthalb Jahre absitzt. Am 14. Mai 1929 wird er auf Beschluss des Stettiner Gerichts gegen eine Kaution von 5.000 Reichsmark entlassen. Danach setzt Heines, der im November 1923 auch am Bürgerbräu-Putsch in München beteiligt war und zusammen mit Adolf Hitler auf der Festung Landsberg einsaß, seine Karriere in SA und NSDAP fort und bringt es nach Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 bis zum von der örtlichen Bevölkerung wegen seiner Grausamkeit gefürchteten Polizei-Präsidenten von Breslau. Am 30. Juni 1934 dann das abrupte Ende: Im Zuge des angeblichen Röhm-Putsches wird Heines in den frühen Morgenstunden zusammen mit SA-Führer Ernst Röhm in einer Pension in Bad Wiessee verhaftet und noch am selben Tag in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim hingerichtet.

Zu diesem Zeitpunkt steht Heinz in Stettin kurz vor seiner Einschulung. Ein Tag, den der jüngste Bruder Rudi nicht mehr miterlebt: Er ist bereits Anfang Mai 1933 im Alter von nur fünf Monaten gestorben. Mit seinen Eltern, den Halbgeschwistern und dem zwei Jahre jüngeren Bruder Egon wächst Heinz in den folgenden Jahren in der damals 270.000 Einwohner zählenden Stadt auf. Auf welche Weise der aus Pritzerbe im Landkreis Westhavelland stammende Vater sein Geld verdient, ist in der Familie nicht mehr bekannt. Möglicherweise arbeitet er im Stettiner Seehafen, der damals als Ein- und Ausfuhrhafen der Reichshauptstadt Berlin eine große wirtschaftliche Bedeutung für die Region hat.

Der nach der Entmachtung der SA in seinen Strukturen etablierte NS-Staat bestimmt nicht nur maßgeblich den Alltag der von Heinz besuchten Volksschule, er stellt letztlich auch die Weichen für sein ganzes weiteres Leben und reißt die Familie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs für immer auseinander. Während Halbbruder Hans Anfang 1945 bereits gefallen ist und sich Heinz auf einer Burg in Hinterpommern auf den Fronteinsatz vorbereitet, flüchten seine Eltern, Bruder Egon und Halbschwester Irma mit ihrer Tochter Heide vor der anrückenden Roten Armee Richtung Westen. Dabei geht Egon unter bis heute nicht geklärten Umständen verloren, Mutter Hedwig stirbt im Januar 1946 im brandenburgischen Mögelin. Irma und Heide schlagen sich nach Berlin durch, Vater Ernst landet in Hannover.

Bei Kriegsende wird Heinz zunächst gefangengenommen und einige Monate später in Greifswald entlassen. Da er von der dramatischen Flucht seiner Familie nichts mitbekommen hat, läuft er zu Fuß die knapp 150 Kilometer bis Stettin, wo er zu Hause niemanden antrifft. Von den wenigen Verwandten und Bekannten, die nach der gegen das Potsdamer Abkommen verstoßenden Übergabe an Polen noch in der Stadt verblieben sind, kann ihm niemand Genaueres über den Verbleib sagen. Deshalb verlässt er Stettin im Februar 1946 wieder und überquert Wochen später unter abenteuerlichen Umständen in Oebisfelde die zum Grenzfluss zwischen der Sowjetischen Besatzungszone und dem späteren Niedersachsen gewordene Aller. Sein Ziel: Bremerhaven. Dort hofft er, Anstellung auf einem Minensuchboot zu finden.

Eine Hoffnung, die sich nach der Ankunft schnell zerschlägt. Müde, hungrig, verzweifelt und ohne jeden Plan, wie es weitergehen soll, hockt Heinz deshalb eines Nachmittags an einer der Ausfallstraßen Bremerhavens, als plötzlich ein Bauer auf einem Pferdewagen vorbeikommt und ihn fragt, ob er schon einmal in der Landwirtschaft gearbeitet habe. Hat er nicht, doch der Bauer nimmt ihn trotzdem mit und bringt ihn auf seinen Hof in der Nähe von Rodenkirchen in der Wesermarsch. Dort verbringt Heinz die nächsten anderthalb Jahre und macht sich in dieser Zeit schnell mit allen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb anfallenden Arbeiten vertraut.

Ende 1947 zieht Heinz weiter auf einen Hof in Höven bei Wardenburg, wo er im April 1948 seine künftige Ehefrau Elly Höpken aus Hurrel kennenlernt. Die beiden heiraten am 12. Mai 1950 und ziehen nach der Feier im Gasthof von Otto Mehrings – die Geburt von Sohn Wilfried steht bevor – zunächst zu Ellys Eltern in ein von Johann Mönnich gemietetes Heuerhaus an der Bremer Straße. Durch die Vermittlung seines Schwiegervaters Gustav Höpken erhält Heinz zudem Arbeit beim Oldenburger Tiefbauunternehmen Schomburg, das sich auf Ramm- und Befestigungsarbeiten bei öffentlichen Bauten spezialisiert hat.

Als im Januar 1957 Tochter Renate die Familie komplett macht, wird es bei den Schwiegereltern allmählich zu eng. Deshalb ziehen Heinz und Elly mit den Kindern im Januar 1959 zunächst nach Langenberg und beginnen im Frühjahr 1964 in der Haydnstraße in Hude mit dem Bau eines eigenen Hauses. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet Heinz bereits beim Tiefbau-Unternehmen Köhncke & Co. in Bremen, für das er viel auf Montage in Schleswig-Holstein unterwegs ist. Trotzdem besucht er weiter regelmäßig Veranstaltungen des Schützenvereins Hurrel, wo er unter anderem als Fahnenträger agiert und 1997 das Amt des Schützenkönigs erringt.

Im Herbst 1975 besuchen Heinz und Elly eine Woche lang mit dem eigenen Auto Stettin – eine zu Zeiten des Kalten Krieges noch recht ungewöhnliche Urlaubsreise in die eigene Vergangenheit, die ihn gedanklich lange beschäftigt. Beruflich bleibt Heinz nach seinem Anfang 1979 erfolgten Wechsel zum bundesweit tätigen Baukonzern Hochtief ebenfalls viel unterwegs. Als er Ende 1985 in den vorgezogenen Ruhestand geht, ändert sich daran nur wenig: Kaum ist auch Elly – sie arbeitet bis 1988 bei Labom – in Rente, kaufen die beiden eine Ferienwohnung in der andalusischen Stadt Nerja und verbringen dort ein ums andere Jahr den Winter.

Auch nachdem sie die Wohnung 2006 wieder verkauft haben, fliegt Heinz mit Elly noch regelmäßig nach Spanien. Insgesamt fällt ihm das Reisen mit den Jahren jedoch immer schwerer – eine Makula-Degeneration und die Lungenkrankheit COPD fordern ihren Tribut. Nachdem letztere sich 2014 und 2015 noch einmal verschlimmert, stirbt Heinz am 12. Januar 2016. Beerdigt wird er elf Tage später auf der Ahnenstätte Hilligenloh in Hurrel.