Heinrich Martin Wieting – Biographie

Heinrich Martin Wieting wird am 27. September 1911 als erstes Kind von Diedrich und Anna Wieting auf dem elterlichen Hof in Steinkimmen (heute: Lutz Wieting) geboren. Er ist der ältere Bruder von Gustav Wieting, Henny Schröder, Adele Osterloh und Frieda Stolle.

Zwei Tage nach Heinrichs Geburt erklärt Italien dem Osmanischen Reich den Krieg. Zuvor hatte es die osmanische Regierung unter Sultan Mehmed V. abgelehnt, die im heutigen Libyen gelegenen Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika an Italien abzutreten. Die Kampfhandlungen beginnen mit der Versenkung mehrerer osmanischer Torpedoboote vor der albanischen Küste, woraufhin Italiens Marine die Kontrolle über das östliche Mittelmeer gewinnt und die osmanische Flotte am Auslaufen Richtung Libyen hindert. Am 4. Oktober nehmen dann italienische Truppen Tripolis und Tobruk ein, bis zum 14. Oktober folgen die meisten anderen strategisch wichtigen Küstenorte der beiden Provinzen.

Mit der Kriegserklärung will Italiens Premierminister Giovanni Giolitti in erster Linie von innenpolitischen Problemen ablenken. Dazu greift er die von den großen Tageszeitungen des Landes unterstützte Forderung der neugegründeten Partei Associazione Nazionalista Italiana auf, durch die Eroberung von heimatnah gelegenen Kolonien die seit Jahren anhaltende Auswanderungswelle Richtung Nordamerika zu stoppen. Ermutigt in seinem Tun wird Giolitti nicht nur vom Ruf des Osmanischen Reiches, der „kranke Mann am Bosporus“ zu sein, sondern auch von im Vorfeld ausgesandten Signalen Großbritanniens und Russlands, nicht in den Konflikt eingreifen zu wollen. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn – mit Italien seit 1882 im Dreibund vereint – sehen die Expansion dagegen kritisch: Deutschland pflegt traditionell gute Beziehungen zum Osmanischen Reich, Österreich-Ungarn fürchtet mögliche negative Auswirkungen auf den quasi vor der eigenen Haustür liegenden Balkan.

Entgegen ihrer Erwartung werden die italienischen Truppen in Nordafrika nicht als Befreier empfangen, sondern als Eindringlinge. Ein Teil der einheimischen Bevölkerung leistet erbitterten Widerstand, worauf die Invasoren mit wahllosen Massen-Erschießungen und Deportationen reagieren. Der einflussreiche islamische Senussi-Orden setzt den Kampf auch dann noch fort, als das Osmanische Reich bereits kapituliert hat und im Mitte Oktober 1912 geschlossenen Friedensvertrag neben Tripolitanien und der Cyrenaika auch die in der Ägäis gelegene Inselgruppe Dodekanes an Italien abtreten muss. Eine dauerhafte Eroberung des durch Wüste geprägten Hinterlandes rückt dadurch in weite Ferne. Im Süden Europas bricht derweil wie vom österreichisch-ungarischen Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal prophezeit ein weiterer Konflikt aus: Zwischen Oktober 1912 und Mai 1913 stehen sich Bulgarien, Griechenland, Montenegro und Serbien sowie auf der Gegenseite wiederum das Osmanische Reich im Ersten Balkankrieg gegenüber. Der Streit der Sieger um die aus osmanischer Hand erbeuteten Territorien trägt ein Jahr später wesentlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei.

Ob in Steinkimmen auch Heinrichs Vater zu jenen Millionen deutschen Soldaten gehört, die im August 1914 an die Front abrücken, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Dafür spräche, dass es nach drei zwischen 1911 und 1914 geborenen Kindern fast fünf Jahre dauert, bis im Januar 1919 mit Tochter Adele ein viertes hinzukommt. Knapp zwei Jahre nach dem Ende der deutschen Hyperinflation macht dann im November 1925 Heinrichs jüngste Schwester Frieda die Familie komplett.

Zu diesem Zeitpunkt steht Heinrich kurz vor dem Abschluss der dorfeigenen Volksschule – und weiß sehr wahrscheinlich bereits, dass gemäß des in Steinkimmen geltenden Jüngstenrechts eines Tages sein 1912 geborener Bruder Gustav den elterlichen Hof weiterführen soll. In den folgenden Jahren geht er deshalb auf verschiedenen anderen Höfen in der näheren Umgebung in Stellung und sieht sich nebenbei nach weiteren Verdienstmöglichkeiten um. Dabei spielt ihm in die Karten, dass die seit Anfang 1933 regierende NSDAP 1935 die Milchkontrolle durch den Reichsnährstand zur Pflicht macht. Es werden also zusätzliche Leistungsprüfer benötigt, und eine dieser nebenberuflich besetzten Stellen bekleidet schon bald Heinrich. So kommt er viel herum und lernt dabei vermutlich auch seine künftige, aus Brandewurth bei Grüppenbühren stammende Ehefrau Anna Drieling kennen.

Hätten die Nationalsozialisten ihre politischen Ambitionen auf die Qualitätssicherung in der Milchwirtschaft beschränkt, Heinrich und Millionen weiteren Menschen wäre viel Leid erspart geblieben. Doch das tun sie bekanntlich nicht, und der Vollständigkeit halber muss man hinzufügen, dass sie mit einer solchen Agenda wohl auch kaum gewählt worden wären. Wie auch immer: Als im September 1939 mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg beginnt, gehört Heinrich mit zu den ersten, die ihren Einberufungsbescheid zur Wehrmacht erhalten. Über Belgien und Frankreich führt ihn sein Weg schon bald an die Ostfront, wo er unter anderem an Schauplätzen wie der Krim und Rumänien im Einsatz ist.

Nach einem seiner seltenen Heimaturlaube im Sommer 1942 wird Anna schwanger – was Heinrich natürlich erst erfährt, als er längst an die Front zurückgekehrt ist. An einen neuen Urlaub ist auf absehbare Zeit nicht zu denken. Es bleibt nur die Möglichkeit der Ferntrauung, die am 30. Oktober 1942 auf dem Standesamt in Ganderkesee vollzogen wird. Wann Heinrich dann seinen im April 1943 geborenen Sohn Heiko zum ersten Mal im Arm hält, ist nicht überliefert.

Kurz vor Kriegsende wird Heinrich durch einen Lungensteckschuss schwer verwundet. In welchem Lazarett er anschließend liegt und wann genau er 1945 nach Steinkimmen zurückkehrt, liegt heute im Dunkel jener von Chaos und Mangel geprägten Zeit verborgen. Doch so schwierig die Lebensumstände in den ersten Nachkriegsmonaten auch sind – irgendwie muss es weitergehen, und schon bald tut sich für Heinrich und Anna eine Perspektive auf. In Hurrel steht nach dem Tod von drei Söhnen der zuletzt von Anna Rüdebusch und ihrer Schwiegertochter Klara bewirtschaftete Rüdebusch-Hof (heute: Birgit Ganteföhr) zur Verpachtung. Ein Tipp, den Heinrich möglicherweise von seinem vor Ort lebenden Onkel Gerhard Wieting erhält. Beide Parteien werden sich handelseinig, und Heinrich siedelt mit Anna und Heiko von Steinkimmen nach Hurrel über.

Im Dorf werden alle drei rasch heimisch – allerdings auf engstem Raum, denn anfangs wohnt außer ihnen noch die aus Ostdeutschland vertriebene Familie von Richard Hohberg auf dem Hof. Die Nutzung zweier Zimmer im hinteren Teil des Wohnhauses bleibt zudem Anna Rüdebusch vorbehalten. Daran ändert sich auch nichts, als Heinrich und Anna im Januar 1949 mit dem zweiten Sohn Bernd noch einmal Nachwuchs bekommen.

Ab Beginn der 50er Jahre betreibt Heinrich auf dem Rüdebusch-Hof vor allem Schweinemast. Ein Geschäftszweig, der sich allerdings nicht so gut entwickelt wie von ihm erhofft. Zwar bleiben seine Bestände von der in jenen Jahren im Landkreis Oldenburg vereinzelt immer wieder aufflackernden Schweinepest verschont, doch unter dem Strich verdient er mit der Mast kaum etwas. Die Konsequenz: Heinrich gibt die Landwirtschaft 1955 auf und orientiert sich beruflich noch einmal neu. Nach dem vorübergehenden Umzug in ein heute nicht mehr bestehendes Heuerhaus von Bernhard Haverkamp am Pohlweg in Altmoorhausen arbeitet er kurzzeitig für eine Firma, die Überland-Stromleitungen aufstellt. Letztlich ist aber auch das keine Dauerstellung – die findet Heinrich erst ein Jahr später als Streckenwart beim Straßenbauamt in Oldenburg. Bald darauf kann er auch das weder mit Strom noch mit fließendem Wasser ausgestattete Heuerhaus hinter sich lassen: Neues Domizil der Familie wird ein von Hinrich Heyne gemietetes Wohnhaus am Piepersweg.

Auf dem Straßenbauamt arbeitet Heinrich unter anderem mit Herbert Fliegner zusammen, der ebenfalls in Altmoorhausen wohnt und ihm auch nach seinem Ruhestand 1974 freundschaftlich verbunden bleibt. In engem Kontakt steht Heinrich darüber hinaus zeitlebens zu Bruder Gustav in Steinkimmen. Mit ihm und Ehefrau Käthe unternehmen er und Anna in den 70er Jahren des Öfteren Tagestouren und kleinere Urlaubsreisen, beispielsweise in den Solling. Zwei größere Reisen führen Heinrich in die englische Hafenstadt Ramsgate, wo Sohn Bernd nach seiner Zeit als Seemann eine Familie gegründet hat. Darüber hinaus teilt Heinrich Annas Leidenschaft für den eigenen Garten, dort verbringen beide täglich viel Zeit miteinander. Mit Nachbarn sind sie zudem im Kegelklub „Münchhausen“ aktiv.

Mit zunehmendem Alter macht Heinrich mehr und mehr die im Krieg erlittene Verletzung zu schaffen. Dennoch kommt sein Tod am 2. März 1981 – ein halbes Jahr vor seinem 70. Geburtstag – für alle unerwartet. Beerdigt ist Heinrich vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.