Heinrich Johann Janzen wird am 22. April 1905 als erstes Kind von Hinrich Janzen und Gesine Janzen auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Hans und Daniela Mertsch) geboren. Er ist der ältere Bruder von Johann Janzen, Marie Gode und Gerhard Janzen.
Vier Tage vor Heinrichs Geburt fällt der Oberste Gerichtshof der USA im Fall „Lochner versus New York“ eines der umstrittensten Urteile der US-Rechtsgeschichte. Es geht um die Klage des Bäckers Joseph Lochner gegen ein 1895 im Staat New York erlassenes Schutzgesetz, das die Arbeitszeit in Backstuben auf zehn Stunden pro Tag beziehungsweise 60 Stunden pro Woche begrenzt. Lochner hatte mit einem Angestellten eine anderslautende Abmachung getroffen und war dafür 1899 mit einem Bußgeld von 25 US-Dollar belegt worden. Zwei Jahre später wurden für einen erneuten Verstoß 50 Dollar fällig. Dagegen legte Lochner Berufung ein – und verlor in zwei Instanzen. Im Gegensatz dazu folgen die Richter des Obersten Gerichtshofes mit fünf zu vier Stimmen der Auffassung, dass das strittige Gesetz gegen die Vertragsfreiheit und damit gegen den 14. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten verstößt.
Ein herber Rückschlag für die amerikanische Arbeiterbewegung, die seit fast 40 Jahren für die Einführung des Acht-Stunden-Tags kämpft. Ohnehin bläst den Gewerkschaften im Land der unbegrenzten Möglichkeiten 1905 viel Wind ins Gesicht. So bringt ein Anfang April in Chicago begonnener Streik der Transportarbeiter bei seiner Beilegung im August kaum nennenswerte Ergebnisse und kostet überdies viel Renommee, weil sich führende Gewerkschafter zwischenzeitlich mit dem Vorwurf der Bestechlichkeit konfrontiert sehen. Wie kaum jemals zuvor zeigt dieser Streik zudem die Brutalität amerikanischer Arbeitskämpfe auf – im Frühsommer 1905 vergeht fast kein Tag ohne Zusammenstöße zwischen Streikenden, Polizisten und den von den Arbeitgebern organisierten Streikbrechern. Insgesamt fordern die Auseinandersetzungen 21 Todesopfer und mehr als 400 Verletzte.
Auch im Deutschen Reich ist Streik 1905 ein beherrschendes Thema, kommt es doch gleich im Januar zum bis dahin größten Arbeitskampf im Ruhrgebiet. Zeitweise nehmen bis zu 225 000 Bergleute am Ausstand teil. Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen erreichen sie allerdings tatsächlich spürbare Verbesserungen: Eine im Juni 1905 vorgenommene Novelle des Berggesetzes begrenzt unter anderem die Möglichkeit von willkürlich festgelegten Überstunden und schreibt erstmals die Einsetzung von Arbeiter-Ausschüssen vor. Die Forderung nach einer flächendeckenden Einführung des Acht-Stunden-Tags lässt sich allerdings in Deutschland ebenso wenig verwirklichen wie in den USA, obwohl es bis zum Ersten Weltkrieg seitens der Gewerkschaften und der sie im Reichstag unterstützenden Sozialdemokraten noch mehrere Anläufe dazu gibt.
Der Kriegsausbruch im August 1914 verändert auch in Heinrichs Heimatdorf das Leben der Bewohner von einem Tag auf den anderen. Ein Großteil der wehrfähigen Männer wird zur kaiserlichen Armee eingezogen, die schon in Friedenszeiten weit mehr als acht Stunden pro Tag in Anspruch nehmende Arbeit auf den Hurreler Höfen bleibt überwiegend an Frauen, Alten und Kindern hängen. Auch Heinrichs Vater Hinrich leistet Kriegsdienst, so dass Heinrich als ältester Sohn zu Hause früh kräftig mit anpacken muss. Daneben besucht er weiter die von seinem Elternhaus knapp 700 Meter entfernte Volksschule, wo neben dem nur ein Jahr jüngeren Bruder Johann unter anderem Diedrich Gramberg, Diedrich Heinemann, Heinrich Pannenborg, Gerhard Pflug, Adolf Schmerdtmann, Johann Schmerdtmann, Bernhard Spreen, Diedrich Wieting und Hinrich Wilkens zu seinen in etwa gleichaltrigen Mitschülern gehören.
Ob Heinrich nach Kriegsende und Rückkehr seines Vaters weiter auf dem elterlichen Hof mitarbeitet oder andernorts in Stellung geht, liegt heute im Dunkeln. Klar ist allerdings, dass er sich angesichts des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts wenig Hoffnung machen darf, eines Tages den von Vater Hinrich 1901 gekauften Betrieb an der Ortstraße zu übernehmen. Andere Möglichkeiten, als sich irgendwie als landwirtschaftlicher Gehilfe oder Heuermann über Wasser zu halten, sind in den wirtschaftlich äußerst schwierigen Startjahren der durch den Versailler Vertrag massiv belasteten Weimarer Republik wiederum eher dünn gesät.
Ganz ähnlich geht es Heinrichs ehemaligem Schulkameraden Johann Schmerdtmann. Mit ihm steht Heinrich zu Beginn der 20er Jahre weiter in Kontakt, das belegt ein zu jener Zeit aufgenommenes Foto. Bei einem dieser Treffen entsteht wahrscheinlich der Gedanke, Deutschland hinter sich zu lassen und das persönliche Glück in der Ferne zu suchen – möglicherweise angeregt durch Erzählungen des Dritten im Teenager-Bunde, Diedrich Gramberg: Dessen ältester Bruder ist schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg nach Brasilien ausgewandert. Wobei Brasilien Heinrich und Johann dann doch etwas zu exotisch erscheinen mag. Aber die USA, das läge doch durchaus im Bereich des Möglichen! Zumal diesen Weg in den Jahrzehnten zuvor bereits etliche andere Hurreler gegangen sind. Entsprechende Erfahrungsberichte kann mit Hinrich Wilkens ein weiterer Ex-Schulkamerad beisteuern: Ein Bruder seines Vaters lebt seit 1893 in Chicago, eine Tante und ein weiterer Onkel haben sich 1895 beziehungsweise 1911 in Nebraska niedergelassen.
Wer bei diesem Plan die treibende Kraft ist und ob Heinrich und Johann die Reise ohne Wiederkehr zusammen auf demselben Schiff antreten, darüber lässt sich ohne aufwändige Archiv-Recherche nur spekulieren. Auch das genaue Auswanderungsdatum ist in der Familie nicht mehr bekannt, die Oldenburgische Gesellschaft für Familienforschung nennt im Falle von Heinrich allerdings das Jahr 1924. Wie auch immer: Am Ende landen die beiden ehemaligen Hurreler in Pender im Bundesstaat Nebraska. Dort leben neben den Verwandten von Hinrich Wilkens diverse andere Oldenburger Auswanderer, was bei den jungen Neuankömmlingen vermutlich recht schnell ein Gefühl von Heimat aufkommen lässt.
Bevor Heinrich sich in Nebraska den Traum von der eigenen Farm erfüllen kann, vergehen einige Jahre mit harter Arbeit auf anderen Betrieben – die auch die Landwirtschaft im Mittleren Westen treffenden Verwerfungen der 1929 beginnenden Weltwirtschaftskrise inklusive. Wann genau er im Laufe der 30er Jahre auf eigenem Grund und Boden durchstarten kann, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Lediglich die Größe der etwas außerhalb von Pender gelegenen Farm ist überliefert: 160 Acres oder umgerechnet 65 Hektar, was zu jener Zeit in etwa der amerikanischen Durchschnittsgröße entspricht.
Am 7. September 1938 heiratet Heinrich in West Point Agnes Schroeder, die geschiedene Frau eines befreundeten Farmers. Die Ehe, aus der keine Kinder hervorgehen, hält allerdings nur bis 1942. Über die von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs überschatteten Jahre danach ist lediglich bekannt, dass Heinrich, der seinen Vornamen längst in Henry abgewandelt hat, in Pender eine Bar betreibt – die Farm dürfte er zu jener Zeit verpachtet haben. Sie zu verkaufen wäre eine Option, jedoch nicht die von Heinrich bevorzugte. Schließlich hat sein jüngster Bruder Gerhard, der in Hurrel in die Fußstapfen des Vaters getreten ist, fünf Söhne. Von denen wiederum kann wie schon eine Generation zuvor später nur einer den elterlichen Hof weiterführen.
Erwartungsgemäß nimmt Gerhards ältester, 1936 geborener Sohn Heinz das Angebot des Onkels an, die Farm in Pender zu übernehmen: Er emigriert 1958 in die USA, kurz nach dem anderthalb Jahre jüngeren Bruder Walter. Zu diesem Zeitpunkt hat Heinrich, gesundheitlich angeschlagen, den Betrieb seiner Bar bereits aufgegeben. Heinrich stirbt am 5. Oktober 1967 im Alter von 62 Jahren und wird wenige Tage später auf dem Friedhof der Saint Mark’s Lutheran Church in Pender beerdigt.