Dietrich Osterloh – Biographie

Johann Dietrich Osterloh – Rufname Dietrich – wird am 16. März 1872 als erstes Kind von Hermann Osterloh und Gesine Osterloh auf dem elterlichen Hof in Sandersfeld (heute: Ingo und Elke Haverkamp) geboren. Er ist der ältere Bruder von Elise Catharine Siemers. Darüber hinaus hat er mit Anna Catharine Rüdebusch noch eine jüngere Halbschwester aus der zweiten Ehe seiner Mutter mit Heinrich Schwarting.

Wenige Tage vor Dietrichs Geburt beginnt in Leipzig der Hochverratsprozess gegen die Sozialdemokraten August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Adolf Hepner. Bebel und Liebknecht hatten sich am 19. Juli 1870 im Reichstag des Norddeutschen Bundes bei der Abstimmung zur Bewilligung der Kriegskredite für den Deutsch-Französischen Krieg der Stimme enthalten. Darüber hinaus unterbreiteten beide bei einer erneuten Debatte am 26. November desselben Jahres einen Friedensvorschlag unter Verzicht auf jede Annexion französischen Gebietes. Hepner wiederum hatte als Redakteur der Parteizeitung „Der Volksstaat“ über einen Briefwechsel Bebels zu diesem Thema berichtet.

Im Falle von Bebel und Liebknecht setzt sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer aus heutiger Sicht absurd anmutenden Anklage durch. Beide werden am 26. März 1872 schuldig gesprochen und zu je zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Bei Bebel kommen noch neun Monate wegen Majestätsbeleidigung hinzu. Er hatte seinen Memoiren zufolge kurz nach Ende des Krieges auf einer Volksversammlung Folgendes gesagt: „Sind die Könige in der Verlegenheit, fehlt es nicht an schönen Versprechungen. Hat aber das Volk die Opfer gebracht und die Könige gerettet, werden die gemachten Versprechen vergessen und nicht eingelöst.“

Hinter der Anklage steht niemand Geringeres als Reichskanzler Otto von Bismarck. Sein Ziel, die aufstrebende Sozialdemokratie mundtot zu machen, erreicht der oberste parlamentarische Repräsentant des 1871 neu gegründeten Deutschen Reiches damit jedoch nicht. Zwar wird Bebel im Zuge der Verurteilung sein Reichstagsmandat aberkannt, doch bei der fälligen Nachwahl am 20. Januar 1873 erhält er 4.000 Stimmen mehr als im ersten Wahldurchgang und bleibt somit Abgeordneter. Nach der bis zum 1. April 1875 andauernden Festungshaft in der Hubertusburg im sächsischen Wermsdorf steigt Bebel zudem als Repräsentant der wenige Wochen später gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (ab Oktober 1890: Sozialdemokratische Partei Deutschlands) zu einem der zentralen Politiker des Kaiserreichs auf.

Im ländlich geprägten Großherzogtum Oldenburg spielen die Sozialdemokraten in den ersten Jahren nach Dietrichs Geburt naturgemäß keine Rolle – auch wenn sie bei der Reichstagswahl vom 10. Januar 1874 immerhin 2.573 Stimmen bekommen. Das entspricht einem Anteil von 7,8 Prozent. Schon bei der übernächsten Wahl am 30. Juni 1878 sind es allerdings nur noch 0,5 Prozent, während Nationalliberale und die im Oldenburger Münsterland starke Zentrumspartei wie schon 1874 mit jeweils über 35 Prozent in etwa gleichauf liegen.

Ob Politik in Dietrichs Elternhaus in jenen Jahren ein Thema ist, lässt sich natürlich nicht mehr rekonstruieren. Eine dominierende Rolle dürfte sie aber wie auch auf den Höfen im benachbarten Hurrel kaum spielen. Den Alltag dort prägt seit jeher die Landwirtschaft, die die Menschen fest im Griff hat und ihnen hinreichend Gesprächsstoff liefert. Ein bisschen Klatsch und Tratsch wird natürlich auch dabei sein, angereichert mit den neuesten Nachrichten über all die Geburten und Todesfälle jener Jahre. Letztere gehen erschreckend häufig auf die bislang kaum erforschte Volksseuche Tuberkulose zurück, die manche Familien regelrecht dezimiert. Etwa auf dem Hof von Anna Marie Wübbenhorst (heute: Birgit Ganteföhr), wo zwischen 1874 und 1881 vier Kinder, Anna Maries Ehemann und ihr Schwager der heimtückischen Krankheit zum Opfer fallen.

Im Januar 1882 schlägt der Tod auch auf dem Osterloh-Hof zu: Dietrichs Vater Hermann Hinrich stirbt im Alter von nur 36 Jahren, ohne dass das Kirchenbuch der Gemeinde Ganderkesee Auskunft über die Todesursache gibt. Dietrich selbst ist zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt, seine Schwester fünf Jahre. Eine schwierige Zeit für beide und natürlich auch für Mutter Gesine Margarete – die aber wie ihre Hurreler Leidensgenossin Anna Marie Wübbenhorst nicht lange alleine bleibt: Am 6. Mai 1884 heiratet sie Heinrich Schwarting aus Bergedorf-Ohe. Aus dieser Verbindung geht Dietrichs Halbschwester Anna Catharine hervor, die am 16. März 1885 zur Welt kommt.

Ungeachtet der familiären Veränderungen dürfte für Dietrich ziemlich früh klar sein, dass er eines Tages den von seiner Mutter in achter Generation bearbeiteten, bereits im Oldenburger Salbuch von 1428 erwähnten Osterloh-Hof weiterführen wird. Ob er sich auf diese Aufgabe ausschließlich auf dem elterlichen Betrieb vorbereitet oder nach Abschluss der Volksschule in Kirchkimmen zunächst noch auf einem anderen Hof in Stellung geht, ist allerdings heute nicht mehr bekannt. Dasselbe gilt für die näheren Umstände, unter denen Dietrich seine künftige Ehefrau Johanne Heinemann aus Hurrel kennenlernt. Fest steht aber, dass es sich in jedem Fall um eine standesgemäße Verbindung handelt, denn auch Johanne stammt von einem der ältesten und größten Höfe der Umgebung.

Dietrich und Johanne heiraten am 4. Juni 1903. Im Juni 1904 wird Tochter Gesine Christine geboren, der allerdings – für die damalige Zeit eher ungewöhnlich – keine weiteren Kinder mehr folgen. Dafür macht ihn seine seit 1910 mit Anna Marie Wübbenhorsts Sohn Heinrich verheiratete Halbschwester Anna Catharine im folgenden Jahrzehnt durch die Geburt ihrer Kinder Elli, Georg und Gustav gleich mehrfach zum Onkel.

Als Anfang August 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Dietrich bereits 42 Jahre alt. Er wird deshalb nicht mehr eingezogen und verspürt – die bereits begonnene Ernte vor Augen – wahrscheinlich auch kaum den Drang, sich freiwillig zu melden. Tatsächlich erfasst die später als August-Erlebnis beschriebene Kriegsbegeisterung vor allem bürgerliche Intellektuelle in den Großstädten, weniger die Landbevölkerung. Die steht dem Krieg in jenen Tagen und Wochen oft skeptischer gegenüber als weite Teile der Sozialdemokratie, deren führende Repräsentanten sich nach anfänglichem Sträuben alle Mühe geben, ihren Ruf als „vaterlandslose Gesellen“ loszuwerden.

Da außer Dietrich auch dessen bei Kriegsausbruch 58 Jahre alter Stiefvater Heinrich Schwarting weiter zur Verfügung steht, kommt der Osterloh-Hof vermutlich besser über die Kriegsjahre als die meisten benachbarten Betriebe. Inwieweit dies auch für die sich anschließende Hyperinflation und die von der Weimarer Republik sträflich vernachlässigte Krise der Landwirtschaft Ende der 20er Jahre gilt, lässt sich allerdings aus heutiger Sicht nur schwer beurteilen. Beides erlebt Dietrichs Mutter Gesine Margarete nicht mehr mit: Sie erliegt im April 1920 einem Schlaganfall.

Im Mai 1926 heiratet Tochter Gesine Christine Johann Haverkamp aus Hurrel, der daraufhin auf den Osterloh-Hof übersiedelt. Weil das Verhältnis zu seinem Schwiegersohn von Beginn an mit Problemen behaftet ist, zieht Dietrich mit Johanne und Heinrich Schwarting wenig später in ein benachbartes Heuerhaus, wo alle drei fortan auf eigene Rechnung Landwirtschaft betreiben. Dort erlebt Dietrich den Aufstieg der Nationalsozialisten, die Umwandlung der vergleichsweise weltoffenen Weimarer Republik in die Diktatur des Dritten Reiches, den Beginn des Zweiten Weltkriegs, den durch Bomben alliierter Kampfflieger ausgelösten Großbrand auf dem Stammhof im Juni 1942 und schließlich drei Jahre später den Einmarsch britischer und kanadischer Besatzungstruppen. Wenige Wochen nach Kriegsende stirbt zudem in Bergedorf Dietrichs Schwester Elise Catharine.

Nach dem Tod von Heinrich Schwarting im November 1948 lebt Dietrich weiter mit Johanne im schrittweise modernisierten Heuerhaus. Obwohl er den Kontakt zu Schwiegersohn Johann nach wie vor auf das Nötigste beschränkt, kümmert er sich Erzählungen aus der Familie zufolge liebevoll um seine insgesamt fünf Enkelkinder, die von häufigen gemeinsamen Spaziergängen in den Sandersfelder Fuhren berichten. Eine enge Freundschaft verbindet Dietrich darüber hinaus mit Georg Barkemeyer, den er nach dessen Erblindung regelmäßig auf seinem rund zwei Kilometer entfernt gelegenen Hof besucht.

Ein halbes Jahr nach Dietrichs 85. Geburtstag stirbt im Oktober 1957 auch Ehefrau Johanne. Danach geht es Dietrich zunehmend schlechter, in seinen letzten Lebensjahren ist er auf Pflege durch Enkelin Gerda angewiesen. Er stirbt am 23. Januar 1964 an Altersschwäche und wird fünf Tage später auf dem Neuen Friedhof in Ganderkesee beerdigt.