Diedrich Ennen – Biographie

Diedrich Ennen wird am 14. Juli 1902 als zweites Kind von Tjark und Lina Ennen in Angelsburg bei Wittmund geboren. Er ist der jüngere Bruder von Johanne Schiffer und der ältere Bruder von Wilhelm Ennen und Anna Fimmen.

Am Morgen von Diedrichs Geburtstag sackt mit dem Campanile di San Marco das Wahrzeichen von Venedig in sich zusammen. Schon Tage vorher hatte sich das Drama mit einem Riss in der Nordmauer des Gebäudes angekündigt, so dass die Behörden zunächst den knapp 100 Meter hohen Turm selbst und dann auch den angrenzenden Markusplatz weiträumig absperren konnten. Als einziges Opfer ist so die Katze des Turmwärters zu beklagen, die im Vorfeld nicht dazu zu bewegen war, ihren angestammten Platz zu verlassen.

Der Einsturz produziert weit über Italien hinaus Schlagzeilen – gilt der mittelalterliche Backsteinbau mit dem goldenen Engel auf dem Dach doch als eines der bekanntesten Bauwerke Europas. Noch am Abend des Unglückstages beschließt deshalb der Stadtrat von Venedig, den Turm detailgetreu an Ort und Stelle wiederaufzubauen. Dazu treffen in den folgenden Wochen und Monaten Spenden aus aller Welt ein. Nachdem die noch verwertbaren Fragmente geborgen und Tonnen von Rest-Schutt in der Adria verklappt sind, legt Bürgermeister Filippo Grimani am 25. April 1903 unter großem Jubel der Bevölkerung den Grundstein für den Neubau. In einer weiteren Feierstunde wird am 1. April 1906 der erste Ziegelstein des Mauerwerks gesetzt, und am 5. März 1912 enden die offiziellen Arbeiten mit dem Aufsetzen der restaurierten Statue des Erzengels Gabriel. Sieben Wochen später, am Markustag und angeblich exakt 1.000 Jahre nach der ersten Grundsteinlegung, gibt Grimani den Turm in einer feierlichen Zeremonie für die Öffentlichkeit frei.

Zu diesem Zeitpunkt besucht Diedrich in Angelsburg bereits seit drei Jahren die örtliche Volksschule. Seine Eltern haben einen Bauernhof, in dessen Bewirtschaftung er und die Geschwister von Kindesbeinen an eingebunden sind. Gerade zwölf Jahre alt geworden, erlebt Diedrich im August 1914 den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Vater Tjark wird zur kaiserlichen Armee einberufen und fällt Ende September 1914 an der Westfront. Fortan lastet noch mehr Verantwortung auf Diedrichs Schultern, und er kann von Glück sagen, dass die Waffen Anfang November 1918 endlich schweigen und er nach Schulabschluss und Konfirmation nicht noch selbst in das jahrelange Völkerschlachten hineingezogen wird.

Erzählungen aus der Familie zufolge hat Diedrich nach dem Tod des Vaters das feste Ziel vor Augen, den elterlichen Hof zu übernehmen. Dann besinnt er sich jedoch zunächst eines anderen und tritt in die Dienste der nach Kaiser-Sturz und Ausrufung der Weimarer Republik neu formierten Reichsbahn. Nebenbei kellnert er im „Hof von Hannover“, einem beliebten Ausfluglokal vor den Toren Wittmunds. Bei einer der dort regelmäßig stattfindenden Tanzveranstaltungen lernt Diedrich seine künftige Ehefrau Hinrike Weerts aus Willen kennen. Beide sind nur einen Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen, haben aber aufgrund unterschiedlicher Bezirke nicht die gleiche Schule besucht.

Diedrich und Hinrike heiraten Ende Dezember 1925 in Wittmund. Kurz darauf bietet die Reichsbahn Diedrich an, in den Rangierdienst nach Brake zu wechseln. Ein Angebot, bei dem Diedrich trotz des damit verbundenen Wohnortwechsels vermutlich nicht lange überlegen muss – bietet doch der Aufstieg in einem Staatsunternehmen damals ungleich bessere Perspektiven als die in den Jahren nach der Hyperinflation von weiteren schweren Krisen geschüttelte Landwirtschaft.

Im Juni 1926 wird Diedrich zum ersten Mal Vater. Nach Tochter Annette kommen in Brake mit Johann (September 1928) und Doris (August 1930) zwei weitere Kinder zur Welt, bevor für Diedrich die nächste Versetzung ansteht. Dieses Mal geht es 30 Kilometer weiter südlich nach Hude, wo die Familie kurz vor der Geburt des zweiten Sohnes Cornelius im Mai 1932 ein der Reichsbahn gehörendes Haus an der Hurreler Straße bezieht. Im selben Monat vollzieht sich im Freistaat Oldenburg, zu dem Hude wie auch Brake gehört, ein historischer Machtwechsel: Zum ersten Mal erringen die seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise enormen Zulauf verzeichnenden Nationalsozialisten bei einer deutschen Landtagswahl die absolute Mehrheit. Ein Erfolg, den die NSDAP zwar in dieser Form bei keiner anderen freien Wahl wiederholen kann. Trotzdem taumelt die Weimarer Republik in jenen schicksalhaften Monaten ihrem Ende entgegen: Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 und dem sieben Wochen später vom Reichstag gebilligten Ermächtigungsgesetz folgt auf sie die Diktatur des NS-Staats.

Das am 7. April 1933 erlassene, gegen jüdische und politisch missliebige Kollegen gerichtete „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ hat für Diedrich keine weiteren Auswirkungen – er versieht seinen Dienst bei der wie alle staatlichen Organisationen zügig gleichgeschalteten Reichsbahn wie bisher. Finanziell kommt er dadurch einigermaßen über die Runden, auch wenn die Familie mit der Geburt von Margret (Januar 1936) und Dieter (März 1937) weiter wächst. Das beschert dem auch Schweine, Schafen, Ziegen und Hühner beherbergenden Selbstversorger-Haushalt angesichts der beengten Räumlichkeiten durchaus das eine oder andere Platzproblem, doch ohne groß zu klagen arrangiert man sich mit den gegebenen Verhältnissen.

Dass die Zeiten nicht besser werden, macht die zunehmend aggressivere Außenpolitik des NS-Regimes nach den im Geburtsjahr von Margret gefeierten Olympischen Spielen von Garmisch-Partenkirchen und Berlin deutlich. Anfang September 1939 beginnt mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg – ohne Diedrichs Mitwirkung, der inzwischen 37 Jahre alt ist und anders als mancher Altersgenosse auch in den folgenden Jahren keine Einberufung mehr zur Wehrmacht erhält. Im Dezember 1942 wird er mit der Geburt von Tochter Erika ein letztes Mal Vater, bevor wenige Wochen später die in der Schlacht von Stalingrad erlittene Niederlage einen wichtigen Wendepunkt des Krieges markiert. Spätestens nach der Landung der Alliierten in der Bretagne ist dann die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht nur eine Frage der Zeit.

Die ersten Nachkriegsjahre sind für Diedrich und seine Familie nicht weniger hart als für die meisten ihrer Nachbarn, doch immerhin geht es für ihn beruflich nahtlos weiter: Auch in der britischen Besatzungszone werden Eisenbahner benötigt, ab 1949 in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland sowieso. Allerdings nicht so lange wie heutzutage. Für Diedrich ist sogar besonders früh Schluss: Angesichts seines sich verschlimmernden Herzasthmas scheidet er bereits 1955 mit 53 Jahren als „Bundesbahnbetriebsaufseher a. D.“ aus dem Dienst. Da zu diesem Zeitpunkt nur noch die jüngste Tochter Erika ständig im Elternhaus lebt, hätte Diedrich sein seit 23 Jahren bewohntes Domizil am liebsten gekauft. Darauf jedoch lässt sich die Bahn nicht ein – Hinrike, Erika und er müssen ausziehen.

Ein neues Zuhause findet die Familie mit Hilfe des Huder Auktionators Heinrich Degen im Hurreler Sand, im Wohnhaus der Kriegswitwe Anna Hobbie (heute: Detmar Drieling) Deren Tochter Eva hatte kurz zuvor Dietz Drieling aus Hiddigwardermoor geheiratet, woraufhin Anna nun ebenfalls nach Hiddigwardermoor ziehen will und einen Mieter sucht. Der Vertrag kommt zustande, doch schon bald nach dem Einzug ändern sich die Bedingungen: Anna Hobbie korrigiert ihre Pläne und kehrt nach Hurrel zurück. Diedrich, Hinrike, Erika und der jüngste Sohn Dieter, der als Schlachter in Delmenhorst arbeitet und an den Wochenenden regelmäßig nach Hause kommt, beschränken sich deshalb notgedrungen auf die Nutzung des Untergeschosses.

In der Hurreler Nachbarschaft, zu der neben Anna Hobbie unter anderem deren Bruder Wilhelm Witte und Ehefrau Gretchen sowie die Familien von Erwin und Johanne Franz gehören, fühlt sich Diedrich trotz der beim Einzug so nicht erwarteten räumlichen Einschränkungen sehr wohl. So schätzt er die regelmäßigen gegenseitigen Besuche, von allen Beteiligten nur liebevoll „Visite“ genannt. Und er verspürt als Pensionär noch einmal landwirtschaftlichen Ehrgeiz: Der neu angeschafften Kuh „Sidda“ schenkt er seine ganz besondere Aufmerksamkeit und belegt mit ihr bei den regelmäßigen Leistungsprüfungen des Huder Milchkontrollrings mehrfach vordere Plätze.

Weil letztlich doch der Wunsch überwiegt, ein Haus für sich alleine zu haben, suchen Diedrich und Henrike ab 1960 nach einer Alternative. Fündig werden sie in Vielstedt, wo sie sich Anfang 1961 auf dem Grundstück von Johann und Gerda Ruge einmieten. Tochter Erika macht den Umzug zunächst noch mit, zieht aber nach ihrer im August 1961 gefeierten Hochzeit mit Jürgen Brüning in eine eigene Wohnung nach Hude.

Auch in Vielstedt fühlt sich Diedrich von Beginn an wohl und genießt unter anderem die gemeinsame Gartenarbeit mit Hinrike. Eine Zeit, die aber vergleichsweise früh endet: Diedrich stirbt am 4. Juli 1971, zehn Tage vor seinem 69. Geburtstag. Beerdigt ist er vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.