Anni Diers – Biographie

Anni Mathilde Diers wird am 21. März 1912 als sechstes Kind von Johann Bleckwehl und Sophie Bleckwehl auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Andrea Mielke-Rüscher) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Johann Hinrich Bleckwehl, Martha Osterthun, Alma Rüdebusch und Emma Mathilde Bleckwehl. Darüber hinaus hat sie noch eine im Januar 1905 geborene Schwester, die aber am Tag ihrer Geburt namenlos verstorben ist.

In der letzten März-Woche des Jahres 1912 sterben kurz hintereinander zwei Männer, deren Name noch heute Millionen Menschen ein Begriff ist und deren Ende nicht unterschiedlicher hätte sein können. Zum einen am 30. März der Abenteuer-Schriftsteller Karl May: Obwohl durch seine Romanfiguren Winnetou und Kara Ben Nemsi weit über seine sächsische Heimat hinaus berühmt, mangelt es May lange Zeit an Anerkennung. Manche Zeitgenossen sehen in ihm in erster Linie einen Schwindler und ehemaligen Zuchthäusler, andere wiederum sprechen seinen Texten jede literarische Qualität ab.

Erst in den letzten Lebensjahren schreibt May komplexer und erreicht so zunehmend ein erwachseneres Publikum – auch durch seine Hinwendung zum Pazifismus. Am 22. März 1912 hält er in Wien den pazifistischen Vortrag „Empor ins Reich der Edelmenschen“ und wird dafür von über 2.000 Zuhörern begeistert gefeiert. Als May kaum nach Radebeul in die „Villa Shatterhand“ zurückgekehrt mutmaßlich einer Bleivergiftung erliegt, deutet die österreichische Friedensaktivistin Bertha von Suttner den tosenden Beifall für seine letzte öffentliche Rede in einem Nachruf unter anderem als „Protest gegen die Bosheits- und Verleumdungskampagne, die gegen ihn geführt worden und aus der er voll rehabilitiert hervorgegangen war“.

Nur einen Tag vor May stirbt Robert Scott – wobei es sich bei diesem Datum ebenfalls um eine Mutmaßung handelt, denn die Leiche des britischen Polarforschers wird erst mehr als sieben Monate später von einem Suchtrupp in der Antarktis gefunden. Scotts letzter Eintrag in sein Tagebuch, in dem er den gegen den Norweger Roald Amundsen verlorenen Wettlauf zum Südpol und den dramatischen Rückweg durch die Eis-Hölle dokumentiert hat, datiert vom 29. März 1912. Wohl selten haben sich Menschen nach einer Niederlage einsamer und verzweifelter gefühlt als Scott und seine Begleiter Henry Bowers, Edgar Evans, Lawrence Oates und Edward Wilson in den letzten Wochen ihres Lebens.

Als Scotts Expeditionsteam im November 1912 gefunden wird, beginnt in Hurrel gerade die kalte Jahreszeit, und Anni erlebt ihren ersten Winter – der aber anders als der für deutsche Verhältnisse sehr kühle Herbst eher milde ausfällt und den sie kaum bewusst wahrnehmen dürfte. Zu ihren frühesten Erinnerungen könnte dagegen gehören, wie sie in der Werkstatt ihres Vaters sitzt und ihm beim Reparieren oder Anfertigen von Schuhen zusieht. Johann Bleckwehl ist zwar im Hauptberuf Landwirt, doch da sein an der Bremer Straße liegender Hof nur rund acht Hektar umfasst, bietet ihm das Schuhmacher-Handwerk einen willkommenen Nebenverdienst.

Mit der unbeschwerten Kindheit ist es im August 1914 schlagartig vorbei: Der Erste Weltkrieg beginnt, und neben Dutzenden anderen jungen Männern und Familienvätern aus dem Dorf nimmt auch Johann Bleckwehl daran teil. Anni und ihre Schwestern Martha und Alma – die beiden anderen Geschwister sind schon vor Annis Geburt verstorben – bekommen ihn in den folgenden Jahren nur selten zu Gesicht, können ihn aber Ende 1918 wohlbehalten in die Arme schließen.

Noch bevor der Krieg mit dem Waffenstillstand von Compiègne zu Ende geht, wird Anni in die Volksschule Hurrel eingeschult. Zu den in etwa gleichaltrigen Mitschülern in der bis 1920 von Georg Adolf Meyer und danach von Alexander Hasselhorn geleiteten Schule gehören unter anderem Elli Rüdebusch, Erna Barkemeyer, Erna Lange, Adele Stolle, Hanna Mönnich, Henny Wilkens, Henny Barkemeyer, Gustav Stolle, Adolf Pape, Gerhard Janzen, Rudolf Pape, Georg Rüdebusch, Gustav Rüdebusch und Adolf Sparke.

Kurz nach Ende der deutschen Hyperinflation stirbt im Januar 1924 Annis an Herzasthma leidende Mutter. Über die Jahre nach Annis Schulabschluss und Konfirmation, die auch in Hurrel vom Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und dem davon begünstigten Aufstieg der Nationalsozialisten überschattet werden, ist heute so gut wie nichts mehr bekannt. Bis auf ein Detail, dokumentiert durch eine im Juli 1933 versendete Postkarte an ihre ehemalige Schulkameradin Hanna Mönnich: Zu dieser Zeit lebt und arbeitet Anni eine Zeitlang in Plau am See im südlichen Mecklenburg. Wie es sie ausgerechnet dorthin verschlagen hat, was genau sie dort macht und wie lange ihr Aufenthalt dauert, weiß knapp 90 Jahre später allerdings niemand mehr im Detail zu berichten.

Bald nach ihrer Rückkehr lernt Anni ihren späteren Ehemann Johann Diers kennen. Johann stammt aus Kortebrügge in der Nähe von Wiefelstede und arbeitet in den 30er Jahren unter anderem auf dem Aschenbeck-Hof in Barel. Gut möglich deshalb, dass der Kontakt über Annis frühere Schulkameradin Elli Rüdebusch zustande kommt, die 1936 den dortigen Hoferben Fritz Aschenbeck heiratet.

Anni und Johann heiraten am 1. März 1940 – zu einem Zeitpunkt also, an dem schon sechs Monate lang der Zweite Weltkrieg durch Europa tobt. Erzählungen aus der Familie zufolge wird Johann unmittelbar nach der Hochzeitsfeier zur Wehrmacht eingezogen und verbringt die nächsten Jahre in Frankreich. Gegen Ende des Krieges gerät er in amerikanische Gefangenschaft und wird anschließend in einem Lager in den USA interniert.

Bis Johann 1948 endlich zurückkehrt, bewirtschaftet Anni den elterlichen Betrieb allein mit ihrem Vater. Letzterer stirbt im Oktober 1947 und erlebt die Geburt seines ersten und einzigen Enkelkindes Marlene am 11. Februar 1949 nicht mehr mit. Die von den Eltern Anni und Johann freudig herbeigesehnte Niederkunft in einem Oldenburger Krankenhaus gerät jedoch zu einem Drama, das Anni nur wenige Stunden später das Leben kostet: Sie verblutet aus heute nicht mehr rekonstruierbaren Gründen auf der Entbindungsstation und wird fünf Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beigesetzt.