Anna Sophie Catharine Tönjes wird am 31. Mai 1817 als fünftes Kind von Johann Hinrich Schütte und Margarete Schütte auf dem von ihren Eltern gepachteten Hof in Hurrel (heute: Ingo Stöver und Sara Bolte) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Johann Martin Schütte und Tönjes Hinrich Schütte und die jüngere Halbschwester von Anne Schütte.
Zweieinhalb Wochen vor Annas Geburt heiratet Erzherzogin Leopoldine – Tochter des österreichischen Kaisers Franz I. – in Wien Portugals Kronprinzen Pedro von Bragança. Wie bei so manch anderer Fürstenhochzeit jener Epoche haben sich die Brautleute zuvor nie gesehen, in diesem speziellen Fall stehen sie auch bei der Trauung nicht Seite an Seite: Pedro lebt seit 1807 mit den Mitgliedern des portugiesischen Königshofs im fernen Brasilien. Als Stellvertreter für die Zeremonie in der Augustinerkirche agiert Leopoldines Onkel Karl von Österreich-Teschen. Eingefädelt haben die Hochzeit Pedros Vater João VI. und Österreichs mächtiger Außenminister Klemens Fürst von Metternich, die sich von dieser Verbindung politische Vorteile erhoffen. Franz I. hingegen zeigt sich im Vorfeld wenig begeistert, da er über den moralisch eher zweifelhaften Lebenswandel und die Epilepsie seines künftigen Schwiegersohnes informiert ist.
Die 20-jährige Leopoldine selbst ahnt von alldem wenig. Sie kennt nur ein Porträtbild des ein Jahr jüngeren Prinzen und begibt sich Mitte August frohgemut auf die beschwerliche Schiffsreise nach Rio de Janeiro. Der äußere Eindruck bei der Ankunft im November 1817 hält, was er versprochen hat, doch ansonsten entwickelt sich Leopoldines Leben in der Fremde schon bald zu einem Alptraum. In äußerst bewegten Zeiten – 1822 löst sich die ehemalige Kolonie Brasilien von Portugal und Pedro steigt zum Kaiser des Landes auf – kämpft Leopoldine fast permanent mit Heimweh und dem schwülen, für sie völlig ungewohnten Klima. Bis Ende 1825 bringt sie sieben Kinder zur Welt, ist also ab 1818 in jedem Jahr schwanger. Hinzu kommen die immer unberechenbarer werdenden Launen ihres Ehemanns, der mehr Zeit mit seiner Geliebten Domitília de Castro verbringt als mit ihr und dessen 1824 unehelich geborene Tochter Isabel Leopoldine ebenfalls mitzuversorgen hat. Zwei ihrer Söhne sterben noch im Säuglingsalter, ebenso wie weitere uneheliche Kinder Pedros. Leopoldine selbst stirbt im Dezember 1826 an den Folgen einer Fehlgeburt.
Auf welch schmalem Grat zwischen Leben und Tod angehende Mütter beziehungsweise ihre neugeborenen Kinder Anfang des 19. Jahrhundert häufig wandeln, zeigt sich knapp 10.000 Kilometer nordöstlich von Rio de Janeiro auch in Annas Familie. Johann Hinrich Schütte ist zweimal verheiratet – seine erste Frau Gesche stirbt kurz nach der Geburt des zweiten Kindes – und wird zwischen 1805 und 1824 neunmal Vater. Mit Anna und Johann Martin vollenden nur zwei Kinder überhaupt ihr erstes Lebensjahr. Von den anderen sieben erhalten lediglich zwei einen Namen: Anne und Tönjes Hinrich. Bei der Geburt der übrigen fünf ist offenbar von vornherein absehbar, dass sie keine Überlebenschance haben.
Über die Ursache lässt sich nur spekulieren. Ausgeschlossen ist zumindest bei den fünf letztgenannten Kindern eine Infektion mit Mycobacterium bovis durch den Verzehr nicht abgekochter Kuhmilch – damals neben der klassischen, ebenfalls durch Mykobakterien übertragenen Tuberkulose eine der häufigsten Todesursachen in den ersten Monaten nach der Geburt.
Anna hat insofern Glück, als dass ihr die Mutter erhalten bleibt. Sie wächst mit beiden Elternteilen und ihrem sieben Jahre älteren Bruder Johann Martin in Hurrel auf und besucht mit den anderen Dorfkindern die Volksschule in Lintel. An die Geburt der im Juni 1821 namenlos verstorbenen Schwester dürfte sie – wenn überhaupt – nur schemenhafte Erinnerungen haben, an den im Mai 1824 immerhin drei Tage lang lebenden Bruder und die vorangegangene Schwangerschaft ihrer Mutter vermutlich etwas stärkere. Ob und wann Anna nach dem Schulabschluss zwischenzeitlich ihr Elternhaus verlässt, um auf einem anderen Hof in Stellung zu gehen, ist nicht überliefert.
Dass Anna einmal den 1833 von ihrem Vater gekauften elterlichen Betrieb übernehmen wird, lässt sich zum Zeitpunkt des Kaufes noch nicht absehen. Mit einiger Sicherheit wird ursprünglich Johann Martin als Hoferbe vorgesehen sein. Doch auch Annas letzter überlebender Bruder stirbt im Mai 1836 im Alter von nur 25 Jahren. Über die Todesursache gibt das Kirchenbuch der Gemeinde Hude keine Auskunft.
Elf Monate nach Johann Martins Tod heiratet Anna Hinrich Tönjes, einen Neffen von Johann Hinrich Schüttes erster Ehefrau Gesche. Er ist ein abgehender Sohn des in direkter Nachbarschaft gelegenen Hofes von Berend Tönjes (heute: Heiko Pflug).
Was die Überlebensrate der aus ihr hervorgehenden Kinder betrifft, so steht Annas Ehe unter einem besseren Stern als die beiden Ehen ihres Vaters: Zwischen April 1838 und Juli 1861 kommen mit Johann Heinrich, Johann, Bernhard, Meta, Diedrich, Hinrich Junior, Hermann, Anna Sophia, Catharine und Sophie zehn Kinder zur Welt, von denen außer Hermann und Anna Sophia alle das Erwachsenenalter erreichen. Vier Monate vor Sophies Geburt, am 2. März 1861, stirbt allerdings Annas Ehemann Tönjes Hinrich im Alter von nur 52 Jahren. Auch dort schweigt sich das Huder Kirchenbuch über die Todesursache aus.
Gemäß Jüngstenrecht in der Gemeinde Hude bereitet Anna in den kommenden Jahren ihren im Dezember 1849 geborenen Sohn Hinrich Junior auf die Hofnachfolge vor. Der Weg, den daraufhin gleich drei seiner Geschwister gehen, ist durchaus typisch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Sie wandern aus. Alle drei zieht es nach Chicago im US-Bundesstaat Illinois – wobei nicht klar ist, ob Johann oder Bernhard den Anfang macht. Informationen der Oldenburger Gesellschaft für Familienkunde zufolge stirbt Johann dort am 2. März 1873, während Bernhard 1892 nach wie vor in der seit 1860 von 100.000 auf über eine Million Einwohner gewachsenen Metropole lebt. Sophie wiederum kommt dort mit ihrem künftigen, ebenfalls aus Hurrel stammenden Ehemann Heinrich Wilkens im Frühjahr 1893 an.
Die Auswanderung ihrer jüngsten Tochter erlebt Anna nicht mehr mit: Sie stirbt am 4. Januar 1892 wenige Monate vor ihrem 75. Geburtstag und wird einige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.