Anna Maria Catharina Clauss wird am 6. Juni 1820 als viertes Kind von Johann Hermann Tietjen und Margarete Tietjen in Oberlethe geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Anna Catharina Wempe, Anna Margareta Tietjen und Catharina Margareta Tietjen und die ältere Schwester von Anna Margareta Catharina Tietjen und Beata Sophia Tietjen.
Zwei Tage nach Annas Geburt tritt im Deutschen Bund die Wiener Schlussakte in Kraft. Sie ergänzt die schon 1815 auf dem Wiener Kongress verabschiedete Deutsche Bundesakte und gibt dem aus 37 Fürstentümern und den vier freien Städten Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt bestehenden Staatenbund seine endgültige verfassungsrechtliche Gestalt. Diese ist nach wie vor monarchisch geprägt – liberale und demokratische Ideen, wie sie im Zuge der Französischen Revolution erstmals auch in Deutschland aufgekommen waren, sind nicht gefragt. Ganz im Gegenteil: Im Falle einer „Widersetzlichkeit der Unterthanen“ in einem der Mitgliedsstaaten behält sich der ansonsten sehr dezentral organisierte Bund das Recht vor, direkt einzugreifen (Artikel 25 bis 28).
Von Beginn an zu den Mitgliedern des Deutschen Bundes gehört Annas Heimatstaat Oldenburg, der 1815 formal in den Rang eines Großherzogtums erhoben wurde und seither aus drei territorial nicht verbundenen Teilen besteht: dem Kernland mit der rund 6.000 Einwohner zählenden Hauptstadt Oldenburg, dem Fürstentum Lübeck und dem Fürstentum Birkenfeld. Letzteres ist erst nach dem Wiener Kongress hinzugekommen, sehr zum Verdruss von Peter Friedrich Ludwig. Oldenburgs Ende 1813 aus dem russischen Exil zurückgekehrter Herrscher hatte nach dem Ende der Franzosenzeit darauf gehofft, Ostfriesland und das Emsland seinem Herzogtum angliedern zu können. Weil beide Regionen 1815 an das Königreich Hannover fallen, lehnt er die Anrede Großherzog zeitlebens ab. Erst nach Peter Friedrich Ludwigs Tod im Mai 1829 nimmt Sohn und Nachfolger Paul Friedrich August den Titel offiziell an.
Zu diesem Zeitpunkt besucht Anna bereits seit über zwei Jahren die 1791 gegründete Volksschule Oberlethe. Wie es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im damals mehr als 80 Kinder beherbergenden, nur rund 40 Quadratmeter großen Schulgebäude zugeht, darüber gibt das Buch „Wardenburg“ von Wolfgang Stelljes Auskunft: „Der Fußboden, aus Straßensteinen und Kieseln hergestellt, war sehr holperig und schadhaft. Nicht viel besser war der Zustand des alten Ofens, welcher dauernd rauchte und den Unterricht störte. Die Kinder saßen an fünf langen Tischen. Breite Bänke ohne Rücklehne dienten als Sitzgelegenheit. Weil zwei Reihen der Kinder Rücken an Rücken saßen, konnte der Schulhalter die Arbeiten der Kinder sehr schwer übersehen. Auf weiteren Bänken an der Wand hatten die kleinen Kinder Platz zu nehmen.“
Wo genau in Oberlethe Annas als Heuerleute arbeitende Eltern wohnen, liegt heute im Dunkeln. Fest steht allerdings, dass Anna lediglich mit zweien ihrer insgesamt fünf Geschwister aufwächst: Sowohl Anna Margareta (Dezember 1816) als auch Catharina Margareta (Dezember 1819) und Anna Margareta Catharina (Februar 1823) sterben bereits im Säuglings- beziehungsweise Kleinkindalter.
Als im Juli 1838 auch die jüngste, 1824 geborene Schwester Beata Sophia stirbt, hat Anna den elterlichen Haushalt vermutlich längst verlassen. Am 24. November 1843 heiratet sie Johann Diedrich Clauss, mit dem sie zehn Kinder bekommt: Hermann (Juli 1844), Johann Hermann (Oktober 1845), Heinrich (Oktober 1847), Johann Hinrich (September 1849), Catharine (November 1851), Anna Marie (August 1853), Gerhard (Juni 1855), Marie (Juli 1857) und Johann Diedrich (Dezember 1863). Das zehnte Kind ist eine im Juli 1859 tot zur Welt gekommene und namenlos bleibende Tochter. Auch drei der übrigen neun Kinder (Hermann, Gerhard und Johann Diedrich) sterben jeweils vor ihrem dritten Geburtstag.
Anna und Johann Diedrich leben während all dieser Jahre in Oberlethe – vermutlich wie Annas Eltern als Heuerleute. Von zwei Kindern ist der weitere Lebensweg bekannt: Sohn Heinrich Clauss wandert um 1895 nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Marie Catharine nach Amsterdam aus und arbeitet dort als Stuckateur, Tochter Anna Marie geht im rund 20 Kilometer entfernten Hurrel auf dem Hof von Hermann Wübbenhorst (heute: Birgit Ganteföhr) in Stellung und heiratet 1874 den späteren Hoferben Diedrich Wübbenhorst.
Annas Ehemann Johann Diedrich stirbt im Mai 1878 im Alter von nur 58 Jahren in Oberlethe – kurz nach der Geburt von Anna Maries Tochter Aline, die wie alle vier Kinder aus deren ersten Ehe der Volksseuche Tuberkulose zum Opfer fällt. Wo Anna die nächsten Jahre verbringt, ist nicht mehr in Erfahrung zu bringen. Irgendwann nach Anna Maries Heirat mit Johann Rüdebusch im Februar 1882 – Diedrich Wübbenhorst ist 1881 ebenfalls an Tuberkulose gestorben – nimmt ihre Tochter sie jedoch bei sich auf ihrem Hof an der Ortstraße auf. Damit beginnt die letzte Phase in Annas Leben, das laut späteren Erzählungen ihrer Enkelin Frieda Barkemeyer ein zu jener Zeit medizinisch kaum zu behandelnder Kehlkopfkrebs am 1. Dezember 1909 äußerst qualvoll beendet. Beerdigt ist Anna wenige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.