Anna Catharine Rüdebusch – Biographie

Anna Catharine Rüdebusch wird am 16. März 1885 als einziges Kind von Heinrich Schwarting und Gesine Schwarting auf dem elterlichen Hof in Sandersfeld (heute: Ingo und Elke Haverkamp) geboren. Mit Dietrich Osterloh und Elise Catharine Siemers hat sie noch zwei ältere Halbgeschwister aus der ersten Ehe ihrer Mutter mit Hermann Osterloh.

In den Wochen und Monaten nach Annas Geburt legen zwei Männer unabhängig voneinander den Grundstein für eine Erfindung, die die Welt im Laufe der folgenden Jahrzehnte nachhaltig verändert. Am 3. April 1885 erhält der Stuttgarter Ingenieur Gottlieb Daimler ein Patent auf einen von ihm „Standuhr“ getauften Viertakt-Motor. Damit gelingt es Daimler im Sommer desselben Jahres, zum ersten Mal in der Geschichte ein Zweirad mit Motorkraft anzutreiben. Während er sein „Fahrzeug mit Gas- beziehungsweise Petroleum-Kraftmaschine“ zum Patent anmeldet und verschiedene Versuchsfahrten unternimmt, tüftelt in Mannheim Konkurrent Carl Benz mit Hochdruck am Patent-Motorwagen Nr. 1. Dessen erste öffentliche Fahrt am 3. Juli 1886 markiert den Startschuss ins Automobil-Zeitalter.

Von der Erfindung bis zur Durchsetzung ist es jedoch ein steiniger Weg. Angesichts der noch mangelnden Praktikabilität der von ihnen konstruierten „Stinkekästen“ müssen die Auto-Pioniere zunächst viel Hohn und Spott von Zeitgenossen über sich ergehen lassen. Hätten ihre Ausfahrten sie von Oldenburg oder Bremen bis nach Sandersfeld und Hurrel geführt, die Reaktionen des nur an Pferdekutschen gewöhnten Publikums wären vermutlich ganz ähnlich ausgefallen. Und wer in Annas unmittelbarer Umgebung kann sich bei ihrer Geburt schon vorstellen, dass eines Tages in weniger als 400 Meter Entfernung die Fahnen einer Daimler-Benz-Vertragswerkstatt wehen werden?

Wann zum ersten Mal ein Automobil auf der 1825 errichteten Bremer Straße am Schwarting-Hof vorbeituckert, ist nicht überliefert. Vermutlich besucht Anna zu dieser Zeit längst die Volksschule in Kirchkimmen. Auch sonstige Details aus Annas Kinder- und Jugendzeit sind spärlich gesät. Ihr 13 Jahre älterer Halbbruder Dietrich steht als einziger Sohn frühzeitig als Hoferbe fest, während Halbschwester Elise Catharine seit Mai 1898 in Bergedorf verheiratet ist. Ob Anna nach Schulabschluss und Konfirmation zunächst in Sandersfeld bleibt oder auf einem anderen Hof in der näheren Umgebung in Stellung geht, darüber lässt sich nur spekulieren – ebenso darüber, wie sie ihren späteren, zwei Jahre älteren Ehemann Heinrich Rüdebusch aus Hurrel kennenlernt. Letzterer wächst im „Haus op dem Brink“ (heutige Besitzerin: Birgit Ganteföhr) auf.

Trotz der unterschiedlichen Schulbezirke dürften Anna und Heinrich sich schon als Kind begegnet sein. Schließlich liegen ihre Elternhäuser nur zwei Kilometer auseinander. Heinrichs Vater Johann stammt zudem aus Kirchkimmen. Umgekehrt unterhält Annas Familie verwandtschaftliche Beziehungen nach Hurrel: Ein Bruder ihres Vaters, Martin Hermann Schwarting, hat 1884 an der Pirschstraße einen Hof geerbt (heute: Jörg und Monika Wittkopf), und auf dem jetzigen Hof von Gerold und Annegret Sparke lebt bis 1916 Annas Großonkel Gerhard Schweers.

Anna und Heinrich heiraten am 3. Februar 1910. Nach damaligen Moralvorstellungen höchste Zeit, denn nur acht Wochen später kommt Tochter Elli zur Welt. Sohn Georg folgt im Januar 1912, der zweite Sohn Gustav im August 1913. Zu dieser Zeit bewirtschaften Anna und Heinrich den Rüdebusch-Hof gemeinsam mit Annas Schwiegermutter Anna Marie, Schwiegervater Johann ist bereits 1906 gestorben.

Wie Anna die schwierigen Jahre des Ersten Weltkriegs meistert, ist heute in der Familie nicht mehr bekannt. Nachdem Heinrich eingezogen ist, lastet der Großteil der Hofarbeit auf ihren Schultern, daneben muss sie drei kleine Kinder versorgen – ein Los, das sie nicht nur mit Heinrichs Schwester Frieda Barkemeyer teilt, sondern unterschiedlich stark ausgeprägt auch mit den meisten anderen Frauen des Dorfes. Immerhin haben Frieda und sie das Glück, dass ihre Ehemänner nach Kriegsende in die Heimat zurückkehren.

Nach dem Sturz des Kaiserreichs und der Ausrufung der Weimarer Republik normalisieren sich die Verhältnisse in Deutschland nur sehr langsam. Vor allem in den Städten bleibt die Nahrungsmittelversorgung bis zum Höhepunkt der Hyperinflation so katastrophal, dass Arbeiter der nahegelegenen Weser-Werften auf ihren Hamsterfahrten bis nach Hurrel vordringen und teilweise vom Plündern der Felder abgehalten werden müssen – so ist es zumindest in Erzählungen aus Annas Familie überliefert. Konfrontationen dieser Art sind auch in anderen Regionen an der Tagesordnung und fordern beispielsweise im „Overather Kartoffelkrieg“ Tote und Verletzte.

Ende 1923 wird Anna ein viertes Mal schwanger, am 25. August 1924 macht der dritte Sohn Heino die Familie komplett. Gemäß Jüngstenrecht in der Gemeinde Hude soll er eines Tages den 1521 zum ersten Mal urkundlich erwähnten Hof übernehmen – ein Plan, an dem auch der plötzliche Tod von Heinrich Rüdebusch im August 1933 nichts ändert. Während Heino die Volksschule Hurrel besucht, führt Anna zusammen mit ihrer wenige Wochen vor Heinrichs Tod 80 Jahre alt gewordenen Schwiegermutter Anna Marie und den beiden erwachsenen Söhnen den damals rund 25 Hektar großen Betrieb weiter.

Als Anna im Juli 1936 die Hochzeit von Tochter Elli mit Fritz Aschenbeck aus Barel feiert, stehen in Berlin die Olympischen Sommerspiele vor der Tür. Ein Ereignis, mit dem die seit drei Jahren regierenden Nationalsozialisten aller Welt demonstrieren wollen, dass Deutschland unter der Führung von Adolf Hitler ein „friedliebendes, sozial und wirtschaftlich aufstrebendes Land“ ist. Wie wenig diese Aussage mit der Wirklichkeit zu tun hat, zeigen kurz darauf einmal mehr die Reichspogromnacht, die Zerschlagung der Tschechoslowakei und schließlich die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs.

Bald nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 erhalten Annas Söhne Georg und Gustav ihre Einberufung, ebenso Schwiegersohn Fritz und im weiteren Kriegsverlauf auch der im September 1939 erst 15 Jahre alte Heino. Am Ende kehrt lediglich Fritz zurück: Gustav fällt im Juli 1943, Georg unter bis heute ungeklärten Umständen im August 1944 und Heino im Februar 1945. Einen größeren Blutzoll zahlt keine andere Hurreler Familie, und man kann sich unschwer vorstellen, dass Anna bei Kriegsende der Verzweiflung nahe ist.

Die Einnahme Hurrels durch englische und kanadische Truppen im April 1945 erlebt Anna mit Schwiegermutter Anna Marie, Gustavs Witwe Klara und deren Sohn Harald auf dem Rüdebusch-Hof – den sie unmittelbar darauf verlassen muss, weil die Besatzer dort Quartier nehmen. Aufnahme findet die vierköpfige Gruppe in einem von Gerhard Wieting errichteten Wohnhaus an der Hurreler Straße (heutige Eigentümerin: Inge Molde), wo Anna Marie am 12. Mai 1945 im Alter von 91 Jahren stirbt.

Weil Enkel Harald für eine Übernahme des Betriebs noch viel zu jung ist, verpachtet Anna den Rüdebusch-Hof an Heinrich und Anna Wieting aus Steinkimmen und zieht mit Schwiegertochter Klara und Harald auf den zuvor ebenfalls verpachteten Hof von Klaras Eltern am Piepersweg in Altmoorhausen. Dort erlebt Anna im Juni 1950 eine weitere Familien-Tragödie hautnah mit: Klaras Verlobter Friedrich Edo Stöver, den sie nur wenige Tage später heiraten will, stürzt beim Grünes holen für die eigene Hochzeit aus einem Baum und bricht sich das Genick.

Nachdem sie nach der Hochzeit von Klara mit Walter Dannemann im Januar 1952 zunächst weiter in Altmoorhausen wohnt, verbringt Anna ihre letzten beiden Lebensjahre bei Tochter Elli und Schwiegersohn Fritz in Barel. Dort stirbt sie am 28. Januar 1964 an Altersschwäche und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St. Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.