Anna Mathilde Ahrens wird am 19. Juni 1891 als fünftes Kind von Johann Diedrich Rüdebusch und Beke Margarete Rüdebusch auf dem elterlichen Hof in Kirchkimmen geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Johann Rüdebusch, Gesine Mathilde Vosteen, Friedrich Wilhelm Rüdebusch und Georg Diedrich Rüdebusch und die ältere Schwester von Dietrich Rüdebusch und Bertha Tönjes.
Fünf Tage vor Annas Geburt ereignet sich in Münchenstein bei Basel die bis heute größte Eisenbahn-Katastrophe der Schweiz. Dabei bricht kurz vor der Einfahrt in den örtlichen Bahnhof eine vom französischen Konstrukteur Gustave Eiffel entworfene Brücke unter dem Gewicht eines aus Basel kommenden, von zwei Lokomotiven gezogenen Personenzugs ein. Neben den Lokomotiven stürzen drei Güterwagen und vier Passagierwaggons in die Hochwasser führende Birs, einen Nebenfluss des Rheins. Ein fünfter Waggon bleibt am Brückenkopf hängen und wird in zwei Teile zerrissen. Die Passagiere in den nachfolgenden Waggons haben Glück im Unglück: Weil sowohl Kupplungen als auch Bremsleitungen reißen, bricht der Luftdruck zusammen, das bringt sie rechtzeitig zum Stehen.
„Ein grauenhaftes Schreien erfüllte die Luft“, schildert ein mit dem Leben davongekommener Heizer am folgenden Tag den dramatischen Moment, und weiter: „Ich sah, wie Passagiere zu den Fenstern hinauskrochen und in die Birs sprangen. Einige mögen sich gerettet haben, andere sind ertrunken.“ Weil durch den Einsturz der Brücke auch die über den Träger laufenden Telegrafenleitungen zerstört sind, können die Überlebenden nur zu Fuß Hilfe aus der näheren Umgebung herbeiholen. Den Helfern bietet sich ein erschütterndes Bild: Überall zwischen den Trümmern aus zerborstenen Wagenteilen und den Überresten der Brücke liegen Tote und Verletzte. Insgesamt fordert der Unfall 73 Menschenleben. Das letzte, von der Strömung fortgespülte Opfer wird erst zehn Tage später geborgen.
Die juristische Aufarbeitung zieht sich nahezu ein Jahr lang hin. Zunächst führt ein Zivilgericht in Basel das Unglück auf eine grobe Fahrlässigkeit der Betreibergesellschaft zurück, weil zehn Jahre zuvor bei einem Hochwasser entstandene Schäden an der Brücke nicht ordnungsgemäß behoben worden seien. Das Schweizerische Bundesgericht entscheidet allerdings in letzter Instanz anders: Für den Einsturz sei weder die leichte Bauweise der Brücke verantwortlich noch eine mangelnde Bauüberwachung in der Folgezeit. Daraufhin verzichtet die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage. Gleichwohl setzt die Schweizer Regierung strengere Bau-Vorschriften durch und lässt zudem sämtliche Eisenbahnbrücken des Landes auf ihre Tragfähigkeit überprüfen.
Eisenbahn-Unfälle sind im ausgehenden 19. Jahrhundert durchaus keine Seltenheit – wenn sie auch meist nicht so tragisch enden wie in Münchenstein. Beim Zusammenstoß von vier Zügen im US-Bundesstaat Connecticut am 4. Dezember 1891 etwa gibt es mehrere hundert Verletzte, aber nur zwei Todesopfer. Bei zwei schweren Unglücken auf deutschen Schienen (unter anderem dem Eisenbahnunfall von Kirchlengern und dem Zusammenstoß einer Rangierlokomotive mit einem Schnellzug in der Nähe von Görlitz) sterben in Annas Geburtsjahr insgesamt zwölf Menschen, 21 weitere werden verletzt. Der Verkehr auf der Bahnstrecke Bremen-Oldenburg, die seit 1867 rund sechs Kilometer nördlich von ihrem Zuhause entlangführt, verläuft dagegen1891 wie auch in den folgenden Jahren frei von größeren Zwischenfällen.
Inwieweit die genannten und weitere Unfälle jener Epoche in Annas Umfeld registriert werden, lässt sich nur vermuten. Ihre Familie sieht sich in dieser Zeit mit eigenen, ganz privaten Tragödien konfrontiert: Zwei Söhne (Friedrich Wilhelm und Georg Diedrich) sind 1885 und 1886 noch im Säuglingsalter verstorben, im Februar 1900 erliegt zudem Vater Johann Diedrich einer Lungenentzündung. Im Jahr darauf heiratet die ältere Schwester Gesine Mathilde Hermann Hinrich Vosteen aus Bergedorf und verlässt sehr wahrscheinlich den 1679 erstmals urkundlich erwähnten Rüdebusch-Hof – bei dessen Bewirtschaftung neben Mutter Beke Margarete zunächst vor allem der 1877 geborene Bruder Johann gefordert sein dürfte. Grunderbe ist allerdings der 1892 geborene Sohn Dietrich.
Wohin es Anna nach Schulentlassung und Konfirmation zunächst verschlägt, liegt heute im Dunkeln. Vielleicht nach Hurrel? Dort lebt die Familie ihres Onkels Johann Rüdebusch, auf dessen Hof (heute: Birgit Ganteföhr) sie in ihrer Kinder- und Jugendzeit sicher des Öfteren zu Gast ist. Vermutlich lernt sie so frühzeitig ihren künftigen Ehemann Heinrich Ahrens kennen, einen gleichaltrigen Schulkameraden ihrer Kusine Frieda Rüdebusch. Nicht auszuschließen, dass sie anfangs sogar auf seinem Hof (heute: Rolf Ahrens und Sonja Kosmann) in Stellung ist, gehört dieser doch zu einem der größeren Betriebe im Dorf.
Sind die zwei zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 bereits ein Paar? Falls ja, so verschiebt sich die geplante Hochzeit mit jedem weiteren Kriegsjahr weiter in die Zukunft – sicher auch deshalb, weil Heinrich Erzählungen aus der Familie zufolge zwischenzeitlich bei einem an der Front erlittenen Gasangriff schwer verwundet wird. Mit ihm vor dem Traualtar steht Anna erst am 8. April 1919, fünf Monate nach dem Waffenstillstand von Compiègne. Zehn Monate später bringt sie mit Herbert Friedrich ihr erstes Kind zur Welt, das aber bereits Ende Februar 1920 wieder stirbt. Woran, geht aus dem Kirchenbuch der Gemeinde Hude nicht hervor.
Dem nächsten Kind Henriette (September 1921) folgen mit Wilhelm Hermann (März 1925) und Helmut (November 1928) noch zwei Söhne. Wilhelm Hermann kommt allerdings wie sein älterer Bruder ebenfalls nicht über das Säuglingsalter hinaus, und noch vor Helmuts Geburt verschlechtert sich die durch den Krieg angegriffene Gesundheit von Heinrich Ahrens deutlich. Deshalb verpachten er und Anna ihren Hof 1927 an Wilhelm und Johanne Hohlen und siedeln auf einen zu diesem Zweck errichteten Altenteiler-Hof (heute: Erika und Gerhard Ahrens) in der Nachbarschaft über. Solange es Heinrichs Zustand zulässt, betreiben dort beide weiter in geringem Umfang Landwirtschaft. Letztlich erholt sich Heinrich jedoch nicht mehr, er stirbt im Juli 1938 im Alter von nur 52 Jahren.
Zu diesem Zeitpunkt hat Tochter Henriette ihr Elternhaus bereits verlassen, sie ist zunächst bei Hinrich Janzen in Hurrel in Stellung und später bei Wilhelm Imholze in Sandersfeld. Anna bleibt allein mit dem jüngsten Sohn Helmut auf dem Altenteiler-Hof zurück und erlebt dort Anfang September 1939 den von den Nationalsozialisten unter Adolf Hitler vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieg. An ihm nehmen ganz am Schluss noch Schwiegersohn Heinrich Poppe – seit 1942 mit Henriette verheiratet – und auch Helmut teil. Beide geraten in Kriegsgefangenschaft, Helmut allerdings nur kurz. Er beginnt unmittelbar nach seiner Rückkehr im Sommer 1945 eine landwirtschaftliche Lehre in Bookhorn. Allein ist Anna dadurch jedoch keineswegs, kommen doch in den von Not und Mangel gekennzeichneten ersten Nachkriegsjahren gleich mehrere Flüchtlingsfamilien bei ihr unter.
Von den noch im Krieg zur Welt gekommenen Enkelkindern Gerda (Februar 1943) und Heino (Juni 1944) bleibt Anna nur letzteres: Gerda ist bereits nach wenigen Tagen verstorben und dürfte Anna in den folgenden Jahren an das traurige Schicksal ihrer zwei älteren Brüder und der beiden erstgeborenen Söhne erinnern. Dass in den 1950er und 1960er Jahren aus Henriettes Ehe noch zwei weitere Enkel und aus Helmuts Ehe mit Emilie Kron sogar zehn Enkel hervorgehen, erlebt sie nicht mehr mit: Anna stirbt am 1. Juni 1950 – nur zwei Wochen nach Helmuts und Emilies Hochzeit – und wird vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.