Adeline Düßmann – Biographie

Adeline Margarete Düßmann wird am 1. März 1874 als erstes Kind von Berend Hinrich Rüsselmann und Tabete Rüsselmann in Ganderkesee geboren. Sie ist die ältere Schwester von Catharine Elise Rüsselmann. Darüber hinaus hat sie mit Berta Anna Rüsselmann, Johann Hinrich Rüsselmann und Bernhard Hermann Rüsselmann drei jüngere Halbgeschwister aus der zweiten Ehe ihres Vaters mit Gesine Catharine Tönjes.

Zwei Wochen vor Adelines Geburt findet im Reichstag in Berlin die erste Lesung eines Gesetzes statt, das angesichts einer seit Ende des Deutsch-Französischen Krieges grassierenden Pocken-Epidemie mit Zehntausenden von Toten die Pocken-Schutzimpfung deutschlandweit zur Pflicht erheben soll. Vorgesehen ist, fortan alle Kinder im Laufe ihres zweiten Lebensjahres zu impfen und den so erworbenen Schutz im Alter von zwölf Jahren noch einmal aufzufrischen. Ohne Pocken-Impfung soll künftig kein Kind mehr in die Schule aufgenommen werden – Eltern oder Vormündern, die den nötigen Nachweis nicht erbringen können, droht eine Geldstrafe in Höhe von 50 Mark oder ersatzweise drei Tage Haft. Auch Erwachsene müssen geimpft sein und die entsprechende Bescheinigung unter anderem bei der Eheschließung oder einem Wohnortwechsel vorlegen.

Die Zustimmung beziehungsweise Ablehnung, das geplante Gesetz betreffend, geht bei der Lesung quer durch alle Fraktionen. Als Befürworter des Entwurfs argumentiert der Arzt Wilhelm Loewe (Deutsche Fortschrittspartei) mit der Pflicht des Staates, seine Einwohner vor der Seuche zu schützen. August Reichensperger von der Zentrumspartei hingegen hält das geplante Gesetz für eine unzulässige Beschränkung der persönlichen Freiheit und verweist auf die möglichen und in seinen Augen nur schwer abschätzbaren Risiken der Impfung: „Wenn der Abgeordnete Loewe soeben gesagt hat, dass im Königreich Württemberg von Millionen seines Wissens niemals jemand mit einer anderen Krankheit durch die Impfung angesteckt worden sei, so kann ich ihm aus meiner Erfahrung sagen, dass in Köln eine Anzahl von Fällen bekannt geworden ist, in welche die unheilvollsten Folgen an eine Impfung sich angereiht haben.“

Ähnlich skeptisch äußert sich der SPD-Abgeordnete Otto Reimer aus Schleswig-Holstein. Er sieht im Impfzwang zudem ein soziales Problem. So bevorzuge die Gesetzesvorlage die besitzenden Klassen, die ihre Kinder privat bei einem Arzt ihrer Wahl für teures Geld impfen lassen könnten: „Sie haben es nicht nötig, die nach Eiter und Materie duftenden Impfsäle zu besuchen und dort die Luft einzuatmen.“ Indes, aller Widerstand der Gegner hilft nichts, bei der entscheidenden Sitzung am 14. März 1874 stimmen 160 Abgeordnete für das umstrittene Gesetz und nur 122 Abgeordnete dagegen. In Kraft tritt es am 1. April 1875.

Wie Millionen andere Bürger beugen sich höchstwahrscheinlich auch Adelines Eltern der ihnen auferlegten Pflicht und melden ihre Tochter irgendwann im Laufe des Jahres 1875 zur Pocken-Schutzimpfung an. Ob aus Überzeugung oder lediglich, um der ansonsten drohenden Geldstrafe zu entgehen, lässt sich aus heutiger Sicht kaum seriös beantworten. Schon bald darauf dürften die Gedanken und Gespräche innerhalb der Familie aber wieder um andere Themen kreisen – allen voran um die im Frühjahr 1876 anstehende Geburt des nächsten Kindes. Deren genauen Umstände liegen heute im Dunkeln, das Ergebnis ist jedoch eine Tragödie. Fünf Tage nach der Niederkunft am 24. März 1876 stirbt Mutter Tabete Rüsselmann am Kindbettfieber, und auch Adelines neugeborener Schwester ist kein langes Leben beschieden: Catharine Elise Rüsselmann stirbt am 13. November desselben Jahres, als Todesursache nennt das Kirchenbuch der Gemeinde Ganderkesee „Krämpfe“.

Zu diesem Zeitpunkt ist Adelines Vater bereits seit fünf Monaten wieder neu verheiratet. Eine für damalige Verhältnisse gar nicht einmal so unübliche Blitz-Hochzeit, die Adeline quasi einen fliegenden Wechsel von der Mutter zur Stiefmutter ermöglicht. Dass sie an Erstere bleibende Erinnerungen behält, erscheint vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich.

Mit Vater, Stiefmutter und den zwischen 1877 und 1883 geborenen Halbgeschwistern wächst Adeline auf dem elterlichen Hof auf und besucht von 1880 an die örtliche Volksschule. Mag dieser von der Lage her heute nicht mehr exakt bestimmbare Hof als Brinksitzerei auch verhältnismäßig klein sein, so befindet er sich doch allem Anschein nach schon seit Generationen im Familienbesitz: Bereits Adelines Ur-Urgroßvater Egbert Rüsselmann wird im Kirchenbuch von Ganderkesee als Brinksitzer geführt – was darauf hindeutet, dass er einst die gleiche Stelle bewirtschaftet hat. Ur-Ururgroßvater Menke Rüsselmann wiederum war Besitzer eines Hofes in Schlutter und nebenbei als Hollandgänger unterwegs. Auch die Familie von Adelines Mutter stammt aus Schlutter, sie lässt sich dort bis zu ihrem Ur-Ururururgroßvater Harm Behrmann (1617 bis 1676) zurückverfolgen.

Im September 1884 gibt es noch einmal einen Todesfall in der Familie: Der ältere der beiden Halbbrüder, Johann Hinrich, stirbt im Alter von dreieinhalb Jahren, ohne dass das Kirchenbuch eine konkrete Ursache nennt. Wohin es Adeline dann ab Frühjahr 1888 nach Schulabschluss und Konfirmation verschlägt und bei welcher Gelegenheit sie ihren künftigen Ehemann Diedrich Düßmann aus der südlich von Ganderkesee gelegenen Bauerschaft Sethe kennenlernt, vermag wiederum niemand mit Gewissheit zu sagen. Beide heiraten am 27. November 1900. Als Adeline sich im August des folgenden Jahres wegen dessen Auswanderung in die USA von Halbbruder Bernhard Hermann verabschieden muss, ist sie bereits mit Tochter Gesine schwanger – sie kommt im Dezember 1901 zur Welt. Mit Adele (Januar 1905) und Bertha folgen bis November 1908 zwei weitere Töchter. Drei Monate vor Berthas Geburt stirbt in Ganderkesee kurz vor seinem 62. Geburtstag Adelines Vater Berend Hinrich Rüsselmann.

Wo genau Adeline und Diedrich am Vorabend des Ersten Weltkriegs ihre drei Töchter aufziehen, lässt sich heute ebenfalls nicht mehr exakt bestimmen. Adelines Ehemann – seit Frühjahr 1900 SPD-Mitglied und somit im August 1914 in puncto Kriegsziele und Kriegskredite vermutlich ähnlich hin und her gerissen wie die meisten seiner Genossen – arbeitet als Maurer bei einem Vorläufer der Deutschen Linoleumwerke in Delmenhorst. Ob er als bei Kriegsbeginn 40-Jähriger noch zur kaiserlichen Armee eingezogen wird oder sich eventuell sogar freiwillig an die Front meldet, ist innerhalb der Familie nicht mehr bekannt.

Unabhängig von der Frage, ob Ehemann Diedrich am Krieg teilnimmt oder nicht, sind die Jahre ab 1914 für Adeline eine schwierige Zeit, erkrankt sie doch schwer an der Lunge. Ob es sich dabei um Tuberkulose handelt oder um eine andere Funktionsstörung, lässt sich nur vermuten. Auch die vom Arzt empfohlene Luftveränderung – weg aus der Nähe des Industrie-Standorts Delmenhorst – hilft wenig. Adeline stirbt am 19. Juli 1923, vier Jahre nach dem Umzug der Familie auf einen am nördlichen Dorfausgang von Hurrel liegenden Hof und auf dem Höhepunkt der dem verlorenen Krieg folgenden Hyperinflation. Beerdigt ist Adeline wenige Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.