Käthe Rüscher – Biographie

Käthe Rüscher wird am 30. Mai 1911 als erstes Kind von Heinrich Bruns und Gesine Marie Bruns in Bungerhof geboren. Sie hat mutmaßlich noch einen jüngeren, als Kleinkind verstorbenen Bruder, über den aber in der Familie heute nichts mehr bekannt ist. Darüber hinaus hat sie mit Alma Schierenbeck, Helmut Belz und Gerda Franke noch drei Halbgeschwister aus der zweiten Ehe ihrer Mutter mit Johann Diedrich Belz aus Hasbergen.

Am Tag von Käthes Geburt findet zum ersten Mal das 500-Meilen-Rennen von Indianapolis statt. Sieger Ray Harroun benötigt für die 200 Runden 6 Stunden, 42 Minuten und 11 Sekunden, das entspricht umgerechnet 117 Stundenkilometern. Die Strecke, bis heute eine der schnellsten ihrer Art, besteht nur aus zwei langen und zwei kurzen Geraden, die durch vier hohe Kurven miteinander verbunden sind – es geht also im Wesentlichen um Höchstgeschwindigkeit. Die davon ausgehende Faszination führt in den USA zu einer regelrechten Rennsport-Euphorie und zieht den Bau weiterer Speedway-Strecken nach sich.

Nur einen Tag nach dem Indianapolis-Debüt lockt in der nordirischen Stadt Belfast ein weiteres besonderes Ereignis mehr als 100.000 Schaulustige an. Auf dem Gelände der Werft Harland & Wolff läuft die „Titanic“ vom Stapel, das bis dahin größte jemals gebaute Schiff der Welt. Innerhalb von nur 62 Sekunden rutscht der knapp 54.000 Tonnen wiegende Ozeanriese um 14.15 Uhr Ortszeit bei strahlendem Sonnenschein planmäßig ins Wasser. Eine logistische Meisterleistung, für die unter anderem 23 Tonnen Talg, Schmieröl und Seife benötigt werden – und die den dabei von einem Gerüst rutschenden Dock-Arbeiter James Durbin das Leben kostet.

Bereits in der Bauphase waren 17 Arbeiter tödlich verunglückt. Manchen Zeitgenossen im Umfeld der Werft erscheint es deshalb schon damals so, als läge auf der „Titanic“ ein Fluch. Der Legende zufolge auch deshalb, weil angeblich irgendwann ein Arbeiter gefragt hatte, ob das Schiff wirklich unsinkbar sei, wie immer behauptet wurde. „Nicht einmal Jesus könnte es untergehen lassen“, soll jemand geantwortet haben – für die oft strenggläubigen Iren ein klarer Fall von Gotteslästerung.

Noch vor Käthes erstem Geburtstag im Mai 1912 geschieht das Undenkbare: Auf ihrer Jungfernfahrt nach New York kollidiert die „Titanic“ am 14. April mit einem Eisberg und reißt nahe Neufundland fast 1.500 Passagiere mit auf den Grund des Atlantiks. Ein Ereignis, das weltweit für Schlagzeilen sorgt und auch im Großherzogtum Oldenburg Gesprächsthema sein dürfte. Doch obwohl der „Mythos Titanic“ bis heute fortlebt: Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 gerät das Unglück vorübergehend in Vergessenheit.

Wie Käthe diese Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts erlebt und ob ihr Vater aktiv am Krieg teilnimmt, liegt heute völlig im Dunkeln. Fakt ist jedoch, dass Mutter Gesine Marie – vermutlich nach dem Tod von Heinrich Bruns – Anfang der 20er Jahre ein zweites Mal heiratet. Käthe wächst daraufhin bei Georg und Luise Oetken in Streekermoor auf, wo sie auch die Volksschule abschließt. Anschließend geht sie in Munderloh auf dem Hof von Johann Georg Osterloh in Stellung.

Im Dezember 1931 heiratet Käthe Georg Rüscher aus dem Nachbardorf Altmoorhausen, der als Malergeselle arbeitet. Trotz der auf ihren Höhepunkt zusteuernden Weltwirtschaftskrise scheinen beide über einige Ersparnisse zu verfügen, denn direkt nach der Hochzeit kaufen sie von Heinrich Diedrich Schmidt ein an der Bremer Straße in Sandersfeld gelegenes Wohnhaus (heute: KFZ-Werkstatt Günther Gramberg). Dort kommt im April 1932 Sohn Günther zur Welt. Während das Obergeschoss an das Ehepaar Gustav und Bertha Kleine vermietet bleibt, richtet sich Georg neben den Wohnräumen im Erdgeschoss eine kleine Werkstatt ein und macht sich als Maler selbstständig.

Kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Käthe ein zweites Mal schwanger. Dem im September 1933 geborenen Sohn Harro folgen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch vier weitere Kinder: Inge (September 1934), Werner (März 1936), Walter (Juni 1937) und Hilde (Februar 1939). Irgendwann zwischen der Geburt der nachfolgenden Söhne Heino (September 1940) und Rudolf (Juli 1942) erhält Georg dann seinen Einberufungsbescheid zur Wehrmacht auf den Tisch, fortan ist Käthe allein für Haus und die bis dato acht Kinder verantwortlich.

Unmittelbar vor der Geburt des neunten Kindes erleidet Käthe einen Blutsturz, so dass Tochter Irene im Februar 1944 anders als ihre Geschwister nicht in Sandersfeld, sondern in der Frauenklinik in Oldenburg zur Welt kommt. Erzählungen aus der Familie zufolge ist es nicht die einzige lebensbedrohende Situation, die Käthe während des Krieges zu meistern hat: Bei einem der zahlreichen feindlichen Luftangriffe auf Bremen erhält ihr Haus eines Nachts einen Bombentreffer. Dieser fordert nur deshalb keine Opfer, weil Käthe einer spontanen Eingebung folgend alle Bewohner im Keller hat übernachten lassen.

Zwei Jahre nach Kriegsende macht im Mai 1947 Tochter Helga die Familie komplett. Georg hat in der Zwischenzeit den Malerbetrieb wieder aufleben lassen. Da das Geschäft nach der Währungsreform im Juni 1948 mit Hilfe der beiden ältesten Söhne Günther und Harro rasch wächst, ist Käthes Mitarbeit in allen organisatorischen Belangen bald unentbehrlich.

Die nächste große Bewährungsprobe erwartet Käthe, als Anfang der 50er Jahre gleich fünf ihrer Kinder an Tuberkulose erkranken und teilweise längere Zeit in einer Lungenheilstätte verbringen müssen. Dass auch sie selbst sich mit dem gefährlichen Virus infiziert hat, schiebt sie aus Pflichtgefühl den Daheimgebliebenen gegenüber lange Zeit zur Seite. Bis es schließlich für eine Heilung zu spät ist: Käthe stirbt am 8. Januar 1955 und wird am 12. Januar auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beigesetzt.

Zwei Tage vor Käthes Beerdigung stirbt übrigens der britische Marineoffizier David Blair – jener Mann, der beim Untergang der „Titanic“ im April 1912 eine vielleicht entscheidende Rolle spielt. Als nämlich seine Vorgesetzten ihn vor der Abreise im letzten Moment auf ein anderes Schiff abkommandieren, versäumt Blair es, ihnen den Schlüssel zu einem Bordschrank zu übergeben, hinter dessen verschlossener Tür die Ferngläser der „Titanic“ lagern. Wären sie verfügbar gewesen, hätte sich der verhängnisvolle Zusammenstoß mit dem Eisberg möglicherweise vermeiden lassen.